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Raffael. Das Sposalizio und die Grablegmng.

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aber Raffael sucht doch überall innerhalb des Typischen persönlich zu
unterscheiden. Und wie fein ist das Fassen der beiden Hände bei dem
Priester differenziert.

Die Begleitfiguren sind so umgeordnet, dass sie nicht zerstreuend,
sondern konzentrierend wirken. Fast kühn ist die Durchbrechung der
Symmetrie mit dem Stabbrecher in der rechten Ecke, den Perugino
als Figur auch hat, aber mehr rückwärts unterbringt.

Das allerliebste Tempelchen im Hintergrund ist weit hinauf-
geschoben, so hoch, dass es mit den Figuren in keinen Linienkonflikt
kommen soll. Hier spricht wieder Peruginos reinlicher Stil. Er hat
das auch auf dem grossen Fresko der Schlüsselverleihung in Rom so
gehalten. Figürliches und Architektonisches treten auseinander wie
Wasser und Öl. Die Menschen sollen auf der ebenmässigen Folie
eines Fliesenbodens in reiner Silhuette sich abzeichnen.

Wie anders lautet die Geschichte der Vermählung Mariä, wenn
ein Florentiner sie erzählt. Da geht es laut her, man will bunte modische
Kleider sehen, das Publikum steht und gafft und statt der weichmütig
resignierten Freier findet man eine Bande fester Kerle, die mit Fäusten
auf den Bräutigam einhauen. Wahrhaftig, es scheint eine tüchtige
Keilerei loszugehen, und man wundert sich, dass Joseph still hält. Was
soll das? Das Motiv kommt schon im 14. Jahrhundert vor1) und erklärt
sich juristisch: die Schläge sollen das Eheversprechen eindrücklich
machen. Vielleicht erinnert sich jemand dabei an die gleiche Scene in
Immermanns Oberhof, wo das Motiv aber schon rationalistisch dahin um-
gedeutet ist, dass der künftige Eheherr wissen solle, wie Schläge thun.

In dieses Florenz kommt Raffael, um eine zweite Schule durch-
zumachen. Man erkennt ihn kaum mehr, wenn er nach drei bis vier
Jahren die Grablegung der Galerie Borghese bringt. Er hat alles auf-
gegeben, was er besass, die sanfte Linie, die klare Anordnung, die milde
Empfindsamkeit; Florenz hat ihn ganz aufgewühlt: die Probleme des
Nackten und der Bewegung stehen im Vordergrund. Lebendiges Ge-
schehen, mechanische Kraftleistungen, starke Kontraste möchte er geben.
Der Eindruck Michelangelos und Lionardos arbeitet in ihm. Wie ärmlich
musste er sich Vorkommen mit seiner umbrischen Weise gegenüber
solchen Leistungen!

Das Bild der Grablegung ist eine Bestellung aus Perugia gewesen.
Sicher aber lautete der Auftrag nicht auf diese Scene, sondern auf eine

x) Vgl. Taddeo Gaddi (S. Croce). Dazu Ghirlandajo (S. M. novella) und Franciabigio
(S. Annunziata).
 
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