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EINLEITUNG

durch, gleichgültig ob man das Ganze ver-
gleicht oder die Teile. In der Zeichnung eines
bloßen Nasenflügels müßte man schon das
Wesentliche des Stilcharakters erkennen.

Bei Credi posiert eine bestimmte Person,
was bei Botticelli nicht der Fall ist, trotzdem
ist es nicht schwer zu erkennen, wie die Form-
auffassung beiderseits mit einer bestimmten
Vorstellung von schöner Gestalt und schöner
Bewegung zusammenhängt, und wenn Botti-
celli im schlanken Emporführen der Figur sich
ganz seinem Formideal überläßt, so spürt man
doch auch bei Credi, daß der besondere Fall
von Wirklichkeit ihm kein Hindernis gewesen
ist, in Tritt und Formenmaß seine Natur
zum Ausdruck zu bringen.

Eine ganz besonders reiche Ausbeute bietet
dem Formpsychologen das stilisierte Gefält in
diesem Zeitalter. Mit verhältnismäßig wenigen
Elementen ist hier eine ungeheure Mannig-
faltigkeit stark differenzierten individuellen
Ausdrucks erzeugt worden. Hunderte von Malern haben die sitzende Maria
dargestellt mit dem zwischen den Knien sich einsackenden Gefält und
es ist jedesmal eine Form gefunden worden, hinter der ein ganzer Mensch
steckt. Allein auch in dem malerischen Stil holländischer Kabinettsbilder
des 17. Jahrhunderts, nicht nur in den großen Linien italienischer Renais-
sancekunst hat die Draperie noch die gleiche psychologische Bedeutung.

Terborch hat bekanntlich den Atlas besonders gern und gut gemalt. Man
meint, der vornehme Stoff könne gar nicht anders aussehen als wie er hier
erscheint, und doch ist es nur die Vornehmheit des Malers, die in seinen
Formen zu uns spricht, und schon Metsu hat das Phänomen dieser Falten-
bildungen wesentlich anders gesehen: das Gewebe ist mehr nach Seite des
Schweren empfunden, des Schwerfallenden und Schwerfaltenden, der Grat
hat weniger Feinheit, es fehlt der einzelnen Faltenkurve die Eleganz und
der Faltenfolge die angenehme Lässigkeit, das Brio ist entwichen. Es ist
noch immer Atlas und von einem Meister gemalt, aber neben Terborch ge-
sehen, wirkt der Stoff Metsus beinahe dumpf.

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