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Abschluß

i.

Es ist kein glücklicher Vergleich, wenn man die Kunst den Spiegel des
Lebens nennt, und eine Betrachtung, die die Kunstgeschichte wesentlich
als Ausdrucksgeschichte nimmt, ist der Gefahr unheilvoller Einseitigkeit
ausgesetzt. Man kann zugunsten des Stofflichen Vorbringen, was man
mag, so muß doch damit gerechnet werden, daß der Ausdrucksorganismus
nicht immer der gleiche geblieben ist. Natürlich bringt die Kunst im Lauf
der Zeiten sehr verschiedene Inhalte zur Darstellung, aber das allein bedingt
nicht ihre wechselnde Erscheinung: die Sprache selbst nach Grammatik
und Syntax ändert sich. Nicht nur, daß sie an verschiedenen Orten ver-
schieden gesprochen wird — dieses Eingeständnis ist leicht zu erreichen —,
sondern sie hat überhaupt ihre eigene Entwicklung und die stärkste indivi-
duelle Begabung hat ihr zu bestimmten Zeiten immer nur eine bestimmte,
nicht allzuweit über die allgemeinen Möglichkeiten hinausgehende Ausdrucks-
form abgewinnen können. Auch hier wird man freilich einwerfen, das sei
selbstverständlich, die Mittel des Ausdrucks würden nur allmählich ge-
wonnen. Indessen das ist es nicht, was wir meinen: bei vollkommen ent-
wickelten Ausdrucksmitteln wechselt die Art. Anders ausgedrückt: der In-
halt der Welt kristallisiert sich für die Anschauung nicht in einer gleich-
bleibenden Form. Oder um auf das erste Bild zurückzukommen: die An-
schauung ist eben nicht ein Spiegel, der immer derselbe bleibt, sondern
eine lebendige Auffassungskraft, die ihre eigene innere Geschichte hat und
durch viele Stufen durchgegangen ist.

Dieser Wechsel der Anschauungsform im Kontrast des klassischen und
des barocken Typs ist hier beschrieben worden. Nicht die Kunst des 16.
und 17. Jahrhunderts wollten wir analysieren, diese ist etwas viel reicheres
und lebensvolleres, nur das Schema, die Seh- und Gestaltungsmöglichkeiten,
innerhalb deren die Kunst da und dort sich gehalten hat und halten mußte.
Um zu exemplifizieren, konnten wir natürlich nicht [anders verfahren als
das einzelne Kunstwerk heranzuziehen, aber alles was von Raffael und Tizian,
von Rembrandt und Velasquez gesagt wurde, sollte doch nur die allgemeine
Bahn beleuchten, nicht den besonderen Wert des auf gegriffenen Stückes
ins Licht setzen. Dazu müßte mehr und Genaueres gesagt werden. Andrer-
seits ist es aber unvermeidlich, gerade auf das Bedeutende sich zu beziehen:

Die äußere
und die innere
Geschichte
der Kunst

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