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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]; Verein für Historische Waffenkunde [Mitarb.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — N.F. 3.1929-1931

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Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde, Neue Folge Band 3 (12), Juni 1931, Heft 11
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https://doi.org/10.11588/diglit.69976#0301

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HEFT 11

LITERATUR

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Frithjof van Thienen. — Das Kostüm der Blütezeit
Hollands 1600—1660. Berlin 1930. Deutscher Kunst-
verlag1). (Kunstwissenschaftliche Studien Bd. VI.)
Vor mehr als Jahresfrist hat uns der junge holländische
Kunsthistoriker Frithjof van Thienen ein wertvolles und
gediegenes Werk beschert, das, aus einer Dissertation er-
weitert, sich auf breiter kunst- und kulturgeschichtlicher
Grundlage mit dem scheinbar so bekannten Kostüm der
kunstgeschichtlich bedeutsamen Epoche Hollands von 1600
bis 1660 auseinandersetzt. Und es zeigt sich auch hier
wieder, was nur Eingeweihte schon wußten, wie dürftig es
bisher um die wahre Kenntnis von Wesen, Entwicklung
und Zusammenhängen des Kostüms dieser holländischen
Blütezeit bestellt war. Huf ein reiches bildliches, literari-
sches und archivalisches Quellenmaterial gestützt, unter-
sucht der Verfasser zunächst im 1. Teil seines Buches (Ana-
lyse) in drei Absätzen von je zwanzig Jahren jeweils das
Männer- und das Frauenkostüm getrennt. Nach Paul Posts
bewährtem Vorgang und seiner wohl längst als unumgäng-
lich erkannten Untersuchungsmethode, wird hier die ge-
samte Bekleidung in ihre Einzelteile „vom Kopf bis zum
Fuß“ zerlegt, um für jedes Kostümstück seine Herkunft.
Bedeutung, Dauer und Abwandlung zu erforschen. Durch
solche schrittweis systematische Methode führt uns der Ver-
fasser einen sicheren Weg mit deutlich markierten „Meilen-
steinen“ durch die scheinbar unübersehbare Fülle der
kostümlichen Erscheinungsformen. Die zeitlichen Grenzen
vom Anfang des 17. Jahrhunderts bis in die 60er Jahre sind
keineswegs willkürlich gewählt, denn sie bezeichnen, wie
Verf. feststellt, den kostümgeschichtlich wichtigen Über-
gang vom alten „spanischen“ Kleidstil zu dem „eigentlichen
modernen Kostüm, das um 1660 mit der Aufnahme des
Justaucorps, u. a. Elementen, eine neue Periode einleitet“,
die z. T. bis in unsere Tage weiterlebt.
Die Beschränkung des Stoffes auf „das sichtbar getra-
gene Kostüm der erwachsenen Zivilisten besserer Kreise“
ist durchaus logisch und einleuchtend; andererseits trägt
die Kennzeichnung des für Holland neben der eigentlichen
Weltmode so charakteristischen streng konservativen
„Regenten“-Kostüms (d. h. eigentlich der Vorsteher einer
Wohltätigkeits-Anstalt, also in weiterem Sinne der Pa-
trizier) in einem Sonderkapitel wesentlich zur Klärung der
Zusammenhänge bei.
Entsprechend dem eigenartigen Kleidstil der Epoche
wird die Untersuchung ausführlicher und breiter, wo sie die
spezifischen Zeitformen der vielgestaltigen Halskrausen,
des Wams, Mieders, Mantels, Überkleides usw. behandelt.
Dabei bedeuten die genauen Erklärungen und Definitionen
so wichtiger Typen wie der Heuke, des Vliegers, des exo-
tischen Polenrockes u. a. einen besonderen Gewinn. Unter-
stützt werden diese auf genauester Anschauung und exakten
Belegen aufgebauten Untersuchungen durch gut gewählte
und vorsichtig beigebrachte philologisch-literarische Na-
menbezeichnungen, so daß der Leser in der Lage ist, Na-
men und Sache miteinander in anschauliche Verbindung zu
bringen. Darüber hinaus gibt der Verf. manche glückliche
selbstgewählte Bezeichnung in Fällen, wo etwa noch Zweifel
aufkommen könnten, ähnlich wie es auch schon Post in
seiner grundlegenden Untersuchung über das französisch-
burgundische Männerkostüm mit Erfolg getan hat.
x) Teil I urspr. als Dissertation der Univ. Utrecht 1929, Referent:
Wilhelm Vogelsang, erschienen.

Auf dem angegebenen Wege der Zerlegung und Defi-
nition aller Einzelstücke, die er in ihrem Werdegang durch
zwei Generationen begleitet, gewinnt der Verf. den sicheren
Boden, um in dem zweiten Teil seines Buches zu einer Syn-
these der Gesamterscheinungen des bekleideten holländi-
schen Menschen jener Zeit fortzuschreiten. Und hier erntet
der Leser, wenn er den wertvollen und gründlichen Einzel-
untersuchungen des ersten Teils gewiß nicht mühlos und
ohne Kraftanstrengung, wie es solche Analysen erfordern,
gefolgt ist, gleichsam den Lohn seiner Ausdauer.
Dieser synthetische Teil mit dem Untertitel: „Die Stili-
sierung der Gestalt im Kleide" sucht nun von Jahrzehnt zu
Jahrzehnt die stilistische Entwicklung und künstlerische
Wandlung des Formenideals der damaligen holländischen
Tracht und Gesittung greifbar und begreifbar zu machen.
Hier stehen wir wieder vor der entscheidenden und doch so
schwer zu lösenden Frage, ob und wieweit das Kleid und;
der darin wandelnde Mensch in ungezwungener Weise als
Ausdruck des Zeitempfindens und der Zeitgesinnung ge-
wertet werden können. Es sei gleich vorwegbemerkt, daß
der Verf. sich in dankenswerter Weise bemüht, nicht nur
die dargestellte Zeit in möglichst umfassender Weise durch
Paralleler, aus verschiedensten Gebieten des geistigen
Lebens in ihrer Wechselwirkung von und zu dem Kostüm-
wesen zu beleuchten, sondern uns auch durch Analogien aus
späteren Epochen manche Gedankengänge plausibel zu
machen. Dabei bedient er sich bestimmter Begriffe, die
aus einer möglichst naiven unmittelbaren Anschauung der
Dinge entsprungen sind. Das spanisch Steife, Einge-
zwängte, Uniforme, Faltenlose der voraufgehenden Jahr-
zehnte wird z. B. mit der Lockerung und Erweichung kurz
vor 1600 kontrastiert; dem „plastisch aufgedunsenen“ Stil
der Männerkleidung folgt nach 1610 das „Zugespitzte“,
während er das Frauenkleid sich aus dem Geraden und
Kubischen allmählich zum rein Malerischen entwickeln
sieht, bis dann nach 1620 dieser malerische Stil (hier in
engem Anschluß an Wölfflins bekannte Definitionen) all-
mählich immer konsequenter durchgeführt werde. Anschlie-
ßend daran gibt Verf. noch weitere Definitionen des Stils
wie „Einheitlichkeit“, „Einheitlichkeit bis zur Formlosig-
keit“, letzte Konsequenz des Malerischen, Auflösende Wir-
kungen usw. Ein Sonderkapitel ist, was als besonders er-
freulich zu buchen ist, der Betrachtung der Farbe im Kostüm
gewidmet, die uns in wirklich feinsinniger Weise manchen
geschmackspsychologischen Aufschluß über die ganze Zeil
gibt. Dieses Kapitel erscheint mir im hohen Grade lesens-
wert, denn die Kostümforscher sind, ähnlich wie früher
auch manche Kunstgelehrte, allzu leicht geneigt, einseitig
das Formale, die Linie und Silhouette auf Kosten der Farbe
zu betrachten. Daß der Wechselwirkung von Theater und
Mode ein breiter Raum gegeben, daß insbesondere dem
eigentümlichen, literarisch und sittengeschichtlich bedeut-
samen „arkadischen Gewände“ eine ausführliche Darstel-
lung gewidmet wird, erhebt die Arbeit über den engeren
Rahmen einer reinen Kostümgeschichte hinaus. Ein Schluß-
kapitel faßt dann noch einmal „Kleid und Kunst“ in aus-
führlichen Darlegungen und Vergleichen zusammen und gibt
damit auch dem weniger orientierten Laien die Möglichkeit,
manche Zusammenhänge deutlicher mitzuerleben. — Ein
wertvoller Anhang mit archivalischen Beilagen wie „Aus-
steuer einer wohlhabenden Braut 1626“, literarischen Be-
schreibungen aus kuriosen holländischen Romanen arkadi-
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