HEFT 12
EDITH TER MEER: DIE FRAUENKLEIDUNG IM ROKOKO
295
liehen Reif69). Dann nimmt dieser an Umfang ab.
In Dresden, um die Jahrhundertmitte, ist der Um-
fang der von den Bürgerinnen getragenen Reifröcke
recht bescheiden, ja man könnte fast meinen, daß
manche ihn ganz aufgaben. Man trug damals wohl
den mit Hüftculs versehenen „demi-panier“89 90). Für
die Stadttracht bürgerte sich aber allmählich eine
noch leichtere Rockstütze ein, die „consideration“,
die man zwischen oberen und unteren Rock band91).
Des großen Reifrockes bediente sich die Bürger-
liche nur für ihre große Toilette, wie wir sie bei den
Kirchgängerinnen in Dresden (S. 233 Abb. 2, Fig. 1;
und S. 265 Abb. 34) sehen. Dieser Reif ist jetzt nicht
mehr rund, sondern oval. Noch nicht zehn Jahre spä-
ter hat er sich in der Galatracht durch die aufgesetz-
ten Buffanten zu solcher Unförmigkeit ausgewachsen,
wie sie die Wiener und Münchener Belottos bezeugen
(S. 236 Abb. 11 u. 12). Von Reifröcken, die so kurz
waren, daß sie das Strumpfband sehen ließen, und in
englischen Zeitungen (1753) die Zielscheibe des
Spottes wurden92 * * 9), ist um dieselbe Zeit in Dresden
nichts zu sehen.
Zwischen 1760 und 1775 ließ man den großen Reif
wieder kleiner werden. — Die Röcke von Belottos
Ansichten von 1765 (S. 237 Abb. 13) sind weniger
oval und ohne große Hüftculs. Die Schwellung ist
von den Hüften auf das Gesäß verlegt, dies wird
durch den hier zu einem Bausch gerafften Schweif,
den wir uns dick gefüttert oder mit steifem Papier
unterlegt zu denken haben, erreicht.
Zur Zeit der Marie Antoinette schwillt der Reif-
rock der Galatracht von ihr begünstigt wieder bis ins
Ungeheuerliche an. Ein Porträt kaiserlicher Damen
in Schönbrunn von Schütz um 1782 zeigt die rie-
sigen Dimensionen des kuppelförmigen Reifrockes
(Abb. 54). Daneben wurde er aber auch weiter mit
den sattelförmigen Hüftschwellungen getragen93). —
89) Das Karikaturbild v. Boitard zeugt davon, daß
man um 1745 sich in England in d. bürgerl. Promenaden-
tracht noch immer oder schon wieder großer Reife be-
diente.
90) Franzos, auch „jansenistes“, vgl. Goncourt und Rac.
91) Genaue Beschreibung des Apparates bei Hotten-
roth, Handbuch, S. 811. — Vgl. auch Goncourt und Ra-
cinet. — Vgl. Rosenberg. Text zu Taf. 251.
92) Was sich übrigens um die Jahrhundertwende noch-
mals wiederholte, wie die Karikaturen Rowlandsons be-
zeugen.
9S) Diese Verunstaltung des weiblichen Körpers fand
bei manchen Zeitgenossen eine abfällige Kritik. 1787
schreibt Pezzl in seiner Skizze von Wien (1. c. 4. Bd.
S. 505 ff.): ,,da die ganze vornehme Welt sich in die
abscheulichen Buffanten stürzte und mit einer steifen,
lächerlichen Breite prahlte, hatten die Stubenmädchen
allein Mutterwitz genug, ihre hübschen Figürchen nicht
Während wir in Dresden um die Jahrhundertmitte
in der Alltagstracht der Mägde keinen größeren Reif
finden, haben wir uns ihre Sonntagstracht wohl mit
Reif vorzustellen, denn sonst brauchte die sächsische
Kleiderordnung von 1750 „denen Dienst-Mägden“
das Tragen der Fischbein- oder Steifröcke „nicht
gänzlich zu untersagen“. Man gewährte ihnen nur
einen kleinen Cul, den sie mit „Commode“ bezeich-
neten91). Die Stubenmädchen in Brands „Kauf-
rufen“ von 1775 und der Stich von Quellenhaintz95).
„Wiener Stubenmädchen“ zeigen indessen, wie der
Reif bald selbst zur Alltagstracht der Stubenmädchen
gehörte.
11. Das Halstuch. Das Halstuch ist ein ausgespro-
chen bürgerliches Tracht-Element. Es findet sich zu-
erst im 18. Jahrhundert und ist wahrscheinlich mit
dem Neglige aus England nach Frankreich und
Deutschland gekommen. In Frankreich auf den Sti-
chen von Laueret (S.238 Abb. 16) und Rigaud um
1730 findet es sich noch nicht zum negligierten Kleid,
wohl bei Boitard 1745 in England zur Robe (S. 235
Abb. 6 Fig. 2 u. 8). 1757 sagt Diderots Encgclopedie:
„Fichu, c’est une partie des vetements des femmes en
deshaibille... de toile blanche ou peinte.“ In der Tat
wurde das Halstuch in Frankreich nie zum Galakleid
getragen (S. 235 f. Abb. 8, 10 u. 14), um 1760 in
Wien (S. 236 Abb. 11 u. 12).
In Deutschland hat das Halstuch zunächst nur
einen dekorativen Zweck, denn es wird zuerst noch
zusammen mit dem Brüstgen getragen (S. 268 Abb.
45). Bald tritt es jedoch an dessen Stelle. Man trägt
es schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts in al-
lerlei Farben und Stoffarten, wie das Frauenzimmer-
Lexikon besagt. Die bürgerlich einfachen Frauen tra-
gen es in den 20er Jahren in Deutschland ziemlich
hoch geschlossen vorn in den Latz (Stecker) hinein-
gesteckt (Richters Trachtenbilder), in den 40er
Jahren in Frankreich in den Schürzenlatz hineinge-
schlagen (S. 268 Abb. 46). Auch wird es gern auf der
Brust verschlungen und mit den Zipfeln dann ent-
weder in den Schürzenlatz oder in die Kanten des
Leibchens hineingeschoben (Abb. 52 u. S. 234 Abb. 5).
In Dresden um diejahrhundertmitte ist es immer
weiß. Um 1760 in Wien gehört ein verziertes, wei-
durch jenes abenteuerliche Gerüst gleich Packeseln auf
beyden Seiten zu verunstalten ...“
94) s. Gespräch von d. Leipziger Jungemägden, dar-
innen sioh das über die Ablegung des Reifenrockes beg
den Mägden höchstvergnügte Näther-Mädgen Henriettgen
gegen eine gewesene Junge-Magd Lorgen ungemein küt-
zelt [Leipzig] 1750.
95) Abb. bei Blümmel und Gugitz: Altwienerisches und
bei Gugitz: Wiener Stubenmädchen-Literatur, Zeitschr. f.
Bücherfreunde VI 4. H.
EDITH TER MEER: DIE FRAUENKLEIDUNG IM ROKOKO
295
liehen Reif69). Dann nimmt dieser an Umfang ab.
In Dresden, um die Jahrhundertmitte, ist der Um-
fang der von den Bürgerinnen getragenen Reifröcke
recht bescheiden, ja man könnte fast meinen, daß
manche ihn ganz aufgaben. Man trug damals wohl
den mit Hüftculs versehenen „demi-panier“89 90). Für
die Stadttracht bürgerte sich aber allmählich eine
noch leichtere Rockstütze ein, die „consideration“,
die man zwischen oberen und unteren Rock band91).
Des großen Reifrockes bediente sich die Bürger-
liche nur für ihre große Toilette, wie wir sie bei den
Kirchgängerinnen in Dresden (S. 233 Abb. 2, Fig. 1;
und S. 265 Abb. 34) sehen. Dieser Reif ist jetzt nicht
mehr rund, sondern oval. Noch nicht zehn Jahre spä-
ter hat er sich in der Galatracht durch die aufgesetz-
ten Buffanten zu solcher Unförmigkeit ausgewachsen,
wie sie die Wiener und Münchener Belottos bezeugen
(S. 236 Abb. 11 u. 12). Von Reifröcken, die so kurz
waren, daß sie das Strumpfband sehen ließen, und in
englischen Zeitungen (1753) die Zielscheibe des
Spottes wurden92 * * 9), ist um dieselbe Zeit in Dresden
nichts zu sehen.
Zwischen 1760 und 1775 ließ man den großen Reif
wieder kleiner werden. — Die Röcke von Belottos
Ansichten von 1765 (S. 237 Abb. 13) sind weniger
oval und ohne große Hüftculs. Die Schwellung ist
von den Hüften auf das Gesäß verlegt, dies wird
durch den hier zu einem Bausch gerafften Schweif,
den wir uns dick gefüttert oder mit steifem Papier
unterlegt zu denken haben, erreicht.
Zur Zeit der Marie Antoinette schwillt der Reif-
rock der Galatracht von ihr begünstigt wieder bis ins
Ungeheuerliche an. Ein Porträt kaiserlicher Damen
in Schönbrunn von Schütz um 1782 zeigt die rie-
sigen Dimensionen des kuppelförmigen Reifrockes
(Abb. 54). Daneben wurde er aber auch weiter mit
den sattelförmigen Hüftschwellungen getragen93). —
89) Das Karikaturbild v. Boitard zeugt davon, daß
man um 1745 sich in England in d. bürgerl. Promenaden-
tracht noch immer oder schon wieder großer Reife be-
diente.
90) Franzos, auch „jansenistes“, vgl. Goncourt und Rac.
91) Genaue Beschreibung des Apparates bei Hotten-
roth, Handbuch, S. 811. — Vgl. auch Goncourt und Ra-
cinet. — Vgl. Rosenberg. Text zu Taf. 251.
92) Was sich übrigens um die Jahrhundertwende noch-
mals wiederholte, wie die Karikaturen Rowlandsons be-
zeugen.
9S) Diese Verunstaltung des weiblichen Körpers fand
bei manchen Zeitgenossen eine abfällige Kritik. 1787
schreibt Pezzl in seiner Skizze von Wien (1. c. 4. Bd.
S. 505 ff.): ,,da die ganze vornehme Welt sich in die
abscheulichen Buffanten stürzte und mit einer steifen,
lächerlichen Breite prahlte, hatten die Stubenmädchen
allein Mutterwitz genug, ihre hübschen Figürchen nicht
Während wir in Dresden um die Jahrhundertmitte
in der Alltagstracht der Mägde keinen größeren Reif
finden, haben wir uns ihre Sonntagstracht wohl mit
Reif vorzustellen, denn sonst brauchte die sächsische
Kleiderordnung von 1750 „denen Dienst-Mägden“
das Tragen der Fischbein- oder Steifröcke „nicht
gänzlich zu untersagen“. Man gewährte ihnen nur
einen kleinen Cul, den sie mit „Commode“ bezeich-
neten91). Die Stubenmädchen in Brands „Kauf-
rufen“ von 1775 und der Stich von Quellenhaintz95).
„Wiener Stubenmädchen“ zeigen indessen, wie der
Reif bald selbst zur Alltagstracht der Stubenmädchen
gehörte.
11. Das Halstuch. Das Halstuch ist ein ausgespro-
chen bürgerliches Tracht-Element. Es findet sich zu-
erst im 18. Jahrhundert und ist wahrscheinlich mit
dem Neglige aus England nach Frankreich und
Deutschland gekommen. In Frankreich auf den Sti-
chen von Laueret (S.238 Abb. 16) und Rigaud um
1730 findet es sich noch nicht zum negligierten Kleid,
wohl bei Boitard 1745 in England zur Robe (S. 235
Abb. 6 Fig. 2 u. 8). 1757 sagt Diderots Encgclopedie:
„Fichu, c’est une partie des vetements des femmes en
deshaibille... de toile blanche ou peinte.“ In der Tat
wurde das Halstuch in Frankreich nie zum Galakleid
getragen (S. 235 f. Abb. 8, 10 u. 14), um 1760 in
Wien (S. 236 Abb. 11 u. 12).
In Deutschland hat das Halstuch zunächst nur
einen dekorativen Zweck, denn es wird zuerst noch
zusammen mit dem Brüstgen getragen (S. 268 Abb.
45). Bald tritt es jedoch an dessen Stelle. Man trägt
es schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts in al-
lerlei Farben und Stoffarten, wie das Frauenzimmer-
Lexikon besagt. Die bürgerlich einfachen Frauen tra-
gen es in den 20er Jahren in Deutschland ziemlich
hoch geschlossen vorn in den Latz (Stecker) hinein-
gesteckt (Richters Trachtenbilder), in den 40er
Jahren in Frankreich in den Schürzenlatz hineinge-
schlagen (S. 268 Abb. 46). Auch wird es gern auf der
Brust verschlungen und mit den Zipfeln dann ent-
weder in den Schürzenlatz oder in die Kanten des
Leibchens hineingeschoben (Abb. 52 u. S. 234 Abb. 5).
In Dresden um diejahrhundertmitte ist es immer
weiß. Um 1760 in Wien gehört ein verziertes, wei-
durch jenes abenteuerliche Gerüst gleich Packeseln auf
beyden Seiten zu verunstalten ...“
94) s. Gespräch von d. Leipziger Jungemägden, dar-
innen sioh das über die Ablegung des Reifenrockes beg
den Mägden höchstvergnügte Näther-Mädgen Henriettgen
gegen eine gewesene Junge-Magd Lorgen ungemein küt-
zelt [Leipzig] 1750.
95) Abb. bei Blümmel und Gugitz: Altwienerisches und
bei Gugitz: Wiener Stubenmädchen-Literatur, Zeitschr. f.
Bücherfreunde VI 4. H.