Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
68

Kapitel II

gang zu einer impressionistisch zu nennenden Malweise. Zu diesem Zeitpunkt
war Karl Buchholz schon tot; er hatte Ende Mai 1889 Selbstmord begangen. Paul
Baum war bereits 1887 aus Weimar weggegangen, kam jedoch 1890 bei einem
Studienaufenthalt in Frankreich und Belgien zu ganz ähnlichen Bildfmdungen
wie seine ehemaligen Weimarer Kollegen, so daß er fiir diese Jahre noch als Ver-
treter der Weimarer Malerschule angesehen werden darf. Theodor Hagen rück-
te nun in den engeren Kreis der Weimarer Malerschule auf. Hagen überwandt
seine noch in den 1870er und ‘80er Jahren gehegte Vorliebe fiir erhabene Al-
penlandschaften aus Tirol und pittoreske Stadtansichten aus der RJhein- und
Lahngegend; nun begann auch er, einfachste thüringische Hügelzüge, eine Rei-
he Fichtenstämme oder eine lehmige Kahlschlagfläche für bildwürdig zur er-
achten. Die braune Gesamttonigkeit und die kräftigen, nicht selten altmeister-
lich wirkenden Helldunkelkontraste wichen einer aufgehellten, durchlichteten,
an Pastelltöne erinnernden Farbigkeit.

Die Auseinandersetzung mit dem französischen Impressionismus bewirkte
zum einen, daß die Protagonisten der Weimarer Malerschule anfingen, mit hel-
len, ungedämpften Buntfarben zu malen, einen dynamischen, meist fleckigen
oder strichelnden Farbauftrag zu entwickeln und sich verstärkt fur Lichtphä-
nomene zu interessieren. Darüber hinaus kam es zu einer gesteigerten Entfal-
tung jener schon seit den 1870er Jahren entwickelten reduktiven Tendenzen -
als hätten die gezeigten französischen Arbeiten als Katalysator gewirkt. Der aus-
schnitthafte und fragmentarische Charakter der Darstellungen, auch der auf
Weitsichtigkeit hin angelegten Landschaften, wird deutlich betont. Auf bildliche
Geschlossenheit und Ausgewogenheit der Bildhälften wird weitgehend ver-
zichtet. Extreme Nahsicht und gesteigerte Weitsicht werden zu üblichen Darstel-
lungsformen. Die ausschnitthafte Wirklichkeitserfahmng des Menschen fand
zunehmend Eingang in die Gestaltung des gemalten Bildes.

In den 1870er und ‘80er Jahren war die Weimarer Malerschule auf der Höhe
der Zeit; nun, zu Beginn der 1890er Jahre, war sie ihr ein Stück voraus: Zum er-
sten Mal im Umfeld einer deutschen Kunstschule wurde von einer Gmppe von
Malern eine impressionistische Landschaftsmalerei entwickelt, die das Bild
gmndsätzlich nicht mehr als Umsetzung einer vorgefaßten kompositorischen
Ordnung sondern als Wiedergabe eines vorgefundenen Wirklichkeitsausschnitts
in seiner momentanen Erscheinung verstand. In Weimar waren seit beinah zwei
Jahrzehnten die Landschaftsmaler bemüht gewesen, sich einen unvoreinge-
nommenen Blick auf die Natur zu erarbeiten und alle bildliche Wirkung mit dem
Einsatz sparsamster kiinstlerischer Mittel zu erzielen. Dies machte sie empfäng-
 
Annotationen