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Die Künstlerin über ihr Werk

»Wenn ich male, geschieht es, daß ich in den Pausen kritischer Betrach-
tung der Arbeit auf der Staffelei diese für einen Moment durch das Auge
eines Anderen sehe. Der Andere ist weder anwesend, noch bleibt er
derselbe Andere. Es kann jemand sein, der mir irgendwann etwas über
meine Bilder sagte. Und oft war es nicht mal etwas besonders Gutes oder
Kluges, ein zu billiges Lob eines Besuchers oder eine abfällige Bemer-
kung. Es kann aber auch ein gutes Wort der drei oder vier Kunstfreunde
sein, deren Urteil mir wichtig ist. Worte, die da irgendwo im Gehirn auf-
gespeichert sind, ins Bewußtsein ungerufen aufsteigen, und die blitz-
schnell eine Verwandlung bewirken: eine Verwandlung durch das imagi-
näre Auge des Anderen, eine Verwandlung der Distanz zur Bildebene,
ohne daß ich mich vom Platze rühre. Merkwürdig bleibt es, daß der
Betrachterwechsel nie durch eine Gruppenvorstellung, durch irgendeinen
Gedanken an eine Gesellschaft, eine Jurykommission oder sonst ein gleich-
gestimmtes oder gleichgeschaltetes Schaupublikum zustandekommt.
Es ist das Einschalten eines ganz bestimmten Auges, eines Jemand, der
von diesem Blau, von jenem Rot, von meiner >Marotte<, alte Fruchtschalen
zu malen, sprach. Oder - es soll dann immer ein Kompliment sein >Wie
kann eine Frau so männlich malen!<, als seien Farbauftrag oder Farb-
kühnheit oder das Format eines Bildes nach Geschlechtern statt nach der
Qualität zu beurteilen. Vor allem dieses freundliche Sätzchen: »Alles Dinge
der fraulichen Welt! < Dann fehlt nur noch der Rundfunkkommentator, der
im Programm »Aus der Welt der Arbeit! meine Bilder mit Geschirrspülen
und Porzellanvitrinen in Verbindung bringt.
Ich mißtraue diesen Erinnerungsfetzen. Es sind meine Stopsignale. Sie
bewirken jedesmal die gleiche Reaktion: Das Rot wird ausgekratzt, die
Fruchtschale verschwindet unter dick aufgespachtelter Farbe. Als wäre
Zerstörungslust das einzig Erforderliche in dieser Phase des Malens.
Das Wegkratzen, Übermalen ist das Auslöschen jeglicher Wortgebilde
aus dem Bewußtsein. Nur das Auge und das im Unterbewußtsein Verhar-
rende bestimmen, wie die Arbeit fortgesetzt wird. [...] Dann entwickelt sich
etwas auf der Malfläche, das wie wesenhaft ist und die Fähigkeit besitzt,
mich als Wesen anzuschaun, ein Arbeiten Aug in Aug, bis ein Gleichstand,
ein Gleichklang fühlbar wird, eine Entspannung, die äußerste körperliche
Ermüdung ist, ich selbst >ausgemalt<. Das Bild ist abgeschlossen.
 
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