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Baer, Franz; Kraus, Franz Xaver [Hrsg.]
Die Wandgemälde in der S. Georgskirche zu Oberzell auf der Reichenau — Freiburg im Breisgau, 1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.7769#0011
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u Anfang des achten Jahrhunderts war
die südwestliche Ecke Deutschlands,
Alamannien, noch nicht viel mein- als
eine Wildniss, und die Bewohner des
Schwarzwaldes, der sich bis an den
Rhein ausdehnte, hatten mit dem Chri-
stenthum und der Civilisation kaum au

einer oder der anderen Stelle Bekanntschaft gemacht: der
Mann, welcher ihnen beides brachte, war Pirminius. Sein
Ursprung ist dunkel, wie so viel in seiner Geschichte. In
Melcis in Rätien — vermuthlich dem Medelser Thal bei Disentis
an der alten Lukmanierstrasse1 — hatte er als Heidenbekehrer
gewirkt, als der Ruf seiner Frömmigkeit, seines Eifers und
seiner Fertigkeit in der lateinischen wie der deutschen
Predigt Sintlaz, einen am Bodensee ansässigen reichen
Alamannen, veranlasste, ihm das Werk der Mission in seiner
verwilderten Gegend anzutragen. Pirmin kam, wie erzählt
wird, nach vorher eingenommener Genehmigung des heiligen
Stuhles wie des fränkischen Hofes2 'ad locum Sintlazis ouva'
und wählte sich unter den ihm von dem Besitzer angebote-
nen Orten diese 'Sintlazes Au', d. i. die Insel im Untersee,
zum Aufenthalt und zum Mittelpunkt seiner Thätigkeit. Diese
Insel war aber damals, wie die alten Quellen berichten und
ein späterer Chronist sich ausdrückt, 'der schlangen, krotten
und grusamlichen würmen ein huli, haimet und besitzung'3,
noch von keinem Menschen bewohnt: jetzt wird sie von Pirmin
von dem Ungeziefer gesäubert, urbar gemacht und bald zu
einem blühenden Garten umgeschaffen: hier wie allenthalben
begann — denn das ist der Sinn der Legende — der ein-
sichtige Benedictinermissionar die Cultur des Menschen mit
der Cultur des Bodens. Nur kurze Zeit war es Pirmin ge-
gönnt auf der Sintlazau (so bis 1056) — oder wie sie auch
hiess der Augia, bald der Augia dives, der Reichenau—
zu wirken (724 — 727?): die Empörung des Alamannenherzogs
Theodebald gegen Karl Martell vertrieb ihn als Anhänger
und vermeintlich politisches Werkzeug des Letztern. Aber
wenn Pirmin auch ging, die Reichenau blieb das als was er sie
gestiftet hatte: das Kloster der Benedictiner war von da ab
Jahrhunderte hindurch der Mittelpunkt christlicher Gesittung
für die ganze Gegend, lange Zeit hindurch bedeutender als

1 Ich stimme liier der wie mir scheint wohlbegründeten Hypothese
Friedrichs (Kirchengesch. Deutschi. II 586) hei.

2 Für diese Angaben, wie überhaupt für Pirmins Thätigkeit, muss
hier auf die einschlägigen Werke von Gelpke, Lütolf und Friedrich ver-
wiesen werden, welchen ich gegen Rettbergs Hyperkritik in Bezug auf die
Anfange der Reichenau beistimme.

3 Gallus Oheim (ca. 1491 — 1508) Ghron. v. Reichenau, herausg. v.
K- A- Barack, Stuttg. 1866, S. 8.

die benachbarten Bisthümer von Constanz und Basel, denen
die Abtei nicht selten die Bischöfe lieferte. Dass Reichenau
seit Pirmins Tagen bereits sein Gotteshaus besass, verstand
sich von selbst: aber wir haben uns diese erste Stiftung als
ein Holzkirch lein zu denken, gleich den meisten Gottes-
häusern der karolingischen Zeit, welche in den eben erst der
Cultur sich öffnenden Gauen Süddeutschlands Inseln gleich zer-
streut vorkommen: wurde ja noch i. J. 1053 in St. Georgen
im Schwarzwalde eine hölzerne Klosterkirche gegründet/1 und
fand noch der hl. Altmann von Passau um die Mitte des
11. Jahrhunderts beim Antritte seines bischöflichen Ami es
fast nur Holzkirchen in seinem Sprengel vor'. Nach Her-
stellung des Stiftungsbaues wird eine St. Kilians-Kapelle er-
wähnt, in welcher 781 Abt Johannes beigesetzt wird0; doch ist
freilich die Quelle für diese Angaben spät. 799 erhält Karls
des Grossen Schwager und Bannerherr Gerolt , der im Kampfe
gegen die Ungarn gefallen, sein Grab auf Reichenau 'in dem
münster in dem kor zu der rechten sitten', wie ebenfalls
Oheim berichtet7, nach welchem8 bald darauf an dem untern,
westlichen Ende der Insel, durch Eginio, einen Verwandten der
Königin Hildegard, die Kirche des hl. Petrus und Paulus
in Niederzell gebaut wurde, in der er selbst 802 sein Grab
fand. Auf festern Boden kommen wir mit dem Jahre 813,
wo der berühmte Abt Hatto I, zugleich Bischof von Basel,
nach seiner Rückkehr von einer im Auftrag des Kaisers nach
Constantinopel unternommenen Gesandtschaft die Münster-
kirche in Mittelzell neu baute1'. Auch dieser Bau,
welcher bereits 816 soweit vorgeschritten war, dass er einge-
weiht werden konnte, war jedenfalls noch ein sehr bescheidenes
Werk und gewiss auch noch eine einfache Holzkirche. Bald
darauf erstieg, unter dem berühmten Walafried Strabo
(842—849), die Abtei den Höhepunkt ihres Einflusses und
ihrer literarischen Bedeutung, einen Höhepunkt, von dem sie
jedoch mit dem Sinken der karolingischen Macht auch rasch
herabsank. Erst unter Abt Hatto III, welcher 891 durch
König Arnulf auf den erzbischöflichen Stuhl von Mainz er-
hoben wurde, wird wieder die Bauthätigkeit auf der Insel
rege. Hermannus Contractus verzeichnet z. J. 888 den Bau
der Kirche zu Oberzell, welche Anfangs nach ihrem Grün-
der Hatto's Zelle, dann aber St. Georg genannt wurde.

4 Freiburger Diöcesanarchiv 1865. I 355.

3 Vergl. ScaiNAASE Gesch. der bild. Künste IV 2, 4-03. Raun Gesch.
der bild. Künste in der Schweiz. Zürich 1876, S. 181.
0 Oheim, S. 42.

7 Oheim, S. 44. Hermannus Contractus z. .1. 790. MG. SS. V 101.

8 Oheim, S. 35. Neugart Episc. Consl. 1 87.

9 Herm. Gontr. ■/.. J. 816: Augiae basilica S. Mariae a Heitone ab-
bate et episcopo construeta et dedicata est. Oheim. S. 50.

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