174 ArINgard und die Linie.
„Hein!" schrie Armgard, „das kann ich nicht!"
„lfoho," lachte der Großvater in seinem verschnörkelten Lehn-
stuhl, „sie wird sich schon besinnen."
„lsehe," lachte der Linienschisfsleutnant, „mich nicht lieben?
Lächerlich! Unwiderstehlich!"
„töihihi", kicherten die Gonsinen. „Einen Leutnant, der Geld
hat noch obendrein, den schlägt man nicht aus."
„6a, ha", lachte Armgard. „Wie wenig kennt Ihr mich!"
Aber die Eousinen behielten recht — sie nahm den Linienschiffs-
leutnant. Mußte ihn nehmen — als die Türe ins Freie, durch
die auch sie — als die neue Frau - in die Welt gehen würde.
Leben wollte sie! Austoben und leben, was da in ihr
brütete, brodelte und braute, nach Vollendung und Krönung
keuchte. Was war ihr der Linienschiffsleutnant? Ein fremder
Mann. 5chon fühlte sie sich als geschiedene Frau.
Zum drittenmal ward sie eine andere.
Der Kunst stürzte sie sich in die Arme. Schwelgte in Farben
und Linien von heute, begeisterte sich an Kanten und Ecken des
dargestellten menschlichen Körpers. Malerin und Bildhauerin mußte
sie werden. Da mußte die Befreiung ihrer wunden Psyche liegen.
Doch — auch dieses beflügelte Auto ihrer poffnungen erlitt
einen Unfall .... Stein und Farbe waren zu arm für ihre Seele.
Ein ganzes Farbenlager, ein Gebirge hätte nicht genügt, die
Sehnsüchte auszudrücken, die im lfauch ihrer Seele und ihrer Sinne
lebten. Dann aber — kam die Liebe. Sie liebte. Armgard liebte.
Liebte den Maler Bibi Therme.
In ihm sah sie die Kunst verkörpert, die ihr Ideal mar.
llud ihm war sie der Brennpunkt der Liebe: das nackte Weib.
Der schlechte Ruf ging ihm voraus. Darum hatte er ihr
nüßfallen. Glück bei Frauen hatte er auch. Und darum hatte
sic ihn gehaßt. Aber dann liebte sie ihn.
Zum viertenmal wurde sie sich selbst neu. Eine fremde
Frau.... Das war die Liebe.
Als beide einmal iin einsamen Atelier der Rede ihres
Schweigens lauschten und Bibi Therme an dem schmeichlerischen
Würzhauch der Zigarette sog, sah er entsetzt in einer Seitentüre
plötzlich den Linienschiffsleutnant mit einer Pistole stehen.
Ihm schwindelte. Wellen fühlte er, wie sie ihm das Gehirn
wegspülten. - - Armgard merkte nichts. Die lange, regungslos-
steife lllohnröte ihrer chiffonumwickelten Gestalt, gleich einer
Stange roten Siegellacks, schrie weithin wie ein Notsignal. Aber
sie sah — nur Bibi. Der sprang plötzlich auf und rief: „Die
Kunst, die Du liebst I Deine Kunst I Ich muß sie retten, Armgard,
um Deinetwillen! Und die Kunst bin ich!" Damit stürzte er bei
einer zweiten Türe hinaus.
Sie starrte ihm nach ... Da . .. Mord, Blei, ein Schuß, ein
Schrei . . . und Armgard war gewesen! . .. Nicht daß sie tot ge-
wesen wäre, denn der Schuß war sehlgegangen.
Doch — sie war zum fünften mal eine andere geworden.
Sie floh fortab dieses Leben, da es ihr nicht entflohen war.
Die geraden Linien, das Symbol ihrer nicht zu erfassenden Seele,
waren hart und grau für sie geworden. Und da hatte sie die
Linie selbst überschritten, die sie gesucht hatte. Jetzt endlich hatte
sie sich in Wahrheit entdeckt!
Ihr Ideal schwebte über allen Linien. Sie lebte nicht inehr,
aber sie träumte das Leben. Mit den geschlossenen Augen der
Seherin. In solchen Träumen dichtete sie und wurde die Traum-
dichterin Mira Mara!
Galgenhumor. 'Svs^
„Sepp, lvas geht denn vor?" — „Schau' lieber, ivas
n a ch g e h t!"
XI u t c r schic d.
Schreiber: „Hier stimmt etwas nicht, Herr Rat. Ent-
weder habe ich eine Eselei gemacht oder Sie haben sich geirrt!"
sprach Herr Walter rur schöne» Marie:
„l)u liebst die kosen, Du holde,
So nimm von mir gnädig diese, — sieh,
Sie ist von echtestem holde.
„Hein!" schrie Armgard, „das kann ich nicht!"
„lfoho," lachte der Großvater in seinem verschnörkelten Lehn-
stuhl, „sie wird sich schon besinnen."
„lsehe," lachte der Linienschisfsleutnant, „mich nicht lieben?
Lächerlich! Unwiderstehlich!"
„töihihi", kicherten die Gonsinen. „Einen Leutnant, der Geld
hat noch obendrein, den schlägt man nicht aus."
„6a, ha", lachte Armgard. „Wie wenig kennt Ihr mich!"
Aber die Eousinen behielten recht — sie nahm den Linienschiffs-
leutnant. Mußte ihn nehmen — als die Türe ins Freie, durch
die auch sie — als die neue Frau - in die Welt gehen würde.
Leben wollte sie! Austoben und leben, was da in ihr
brütete, brodelte und braute, nach Vollendung und Krönung
keuchte. Was war ihr der Linienschiffsleutnant? Ein fremder
Mann. 5chon fühlte sie sich als geschiedene Frau.
Zum drittenmal ward sie eine andere.
Der Kunst stürzte sie sich in die Arme. Schwelgte in Farben
und Linien von heute, begeisterte sich an Kanten und Ecken des
dargestellten menschlichen Körpers. Malerin und Bildhauerin mußte
sie werden. Da mußte die Befreiung ihrer wunden Psyche liegen.
Doch — auch dieses beflügelte Auto ihrer poffnungen erlitt
einen Unfall .... Stein und Farbe waren zu arm für ihre Seele.
Ein ganzes Farbenlager, ein Gebirge hätte nicht genügt, die
Sehnsüchte auszudrücken, die im lfauch ihrer Seele und ihrer Sinne
lebten. Dann aber — kam die Liebe. Sie liebte. Armgard liebte.
Liebte den Maler Bibi Therme.
In ihm sah sie die Kunst verkörpert, die ihr Ideal mar.
llud ihm war sie der Brennpunkt der Liebe: das nackte Weib.
Der schlechte Ruf ging ihm voraus. Darum hatte er ihr
nüßfallen. Glück bei Frauen hatte er auch. Und darum hatte
sic ihn gehaßt. Aber dann liebte sie ihn.
Zum viertenmal wurde sie sich selbst neu. Eine fremde
Frau.... Das war die Liebe.
Als beide einmal iin einsamen Atelier der Rede ihres
Schweigens lauschten und Bibi Therme an dem schmeichlerischen
Würzhauch der Zigarette sog, sah er entsetzt in einer Seitentüre
plötzlich den Linienschiffsleutnant mit einer Pistole stehen.
Ihm schwindelte. Wellen fühlte er, wie sie ihm das Gehirn
wegspülten. - - Armgard merkte nichts. Die lange, regungslos-
steife lllohnröte ihrer chiffonumwickelten Gestalt, gleich einer
Stange roten Siegellacks, schrie weithin wie ein Notsignal. Aber
sie sah — nur Bibi. Der sprang plötzlich auf und rief: „Die
Kunst, die Du liebst I Deine Kunst I Ich muß sie retten, Armgard,
um Deinetwillen! Und die Kunst bin ich!" Damit stürzte er bei
einer zweiten Türe hinaus.
Sie starrte ihm nach ... Da . .. Mord, Blei, ein Schuß, ein
Schrei . . . und Armgard war gewesen! . .. Nicht daß sie tot ge-
wesen wäre, denn der Schuß war sehlgegangen.
Doch — sie war zum fünften mal eine andere geworden.
Sie floh fortab dieses Leben, da es ihr nicht entflohen war.
Die geraden Linien, das Symbol ihrer nicht zu erfassenden Seele,
waren hart und grau für sie geworden. Und da hatte sie die
Linie selbst überschritten, die sie gesucht hatte. Jetzt endlich hatte
sie sich in Wahrheit entdeckt!
Ihr Ideal schwebte über allen Linien. Sie lebte nicht inehr,
aber sie träumte das Leben. Mit den geschlossenen Augen der
Seherin. In solchen Träumen dichtete sie und wurde die Traum-
dichterin Mira Mara!
Galgenhumor. 'Svs^
„Sepp, lvas geht denn vor?" — „Schau' lieber, ivas
n a ch g e h t!"
XI u t c r schic d.
Schreiber: „Hier stimmt etwas nicht, Herr Rat. Ent-
weder habe ich eine Eselei gemacht oder Sie haben sich geirrt!"
sprach Herr Walter rur schöne» Marie:
„l)u liebst die kosen, Du holde,
So nimm von mir gnädig diese, — sieh,
Sie ist von echtestem holde.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Galgenhumor" "Die Rose"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1910 - 1910
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 132.1910, Nr. 3375, S. 174
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg