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Aus der guten, alten Zeit.
An einem trüben November-Nachmittage des Jahres 1783
promenirte der im Kurfürstenthume K. damals allmächtige
Staats- und Konferenzminister Graf v. Warwitz, wie er eS
jeden Tag ;u thun pflegte, auf den Wallen der Rcfldenz.
Anhaltender Regen und Schneegestöber hatten auf Straßen
und öffentlichen Plätzen eine Unzahl von Pfützen gebildet,
und da zu jener Zeit erhöhte Promenaden für die Spazier-
gänger noch nirgends vorhanden waren, so mußte der alte
Herr jeden Zoll trockenen Boden behutsam benutzen, um
nicht Schritt vor Schritt bis über die Knöchel im Schmutz
zu versinken; bei dieser Bemühung aber entfiel ihm sein
langes spanisches Rohr, eben als er einen Wassertümpcl
überschreiten wollte, und der vergoldete Porzellanknopf des-
selben kam in den dicksten Schlamm zu liegen. Laut fluchend
über den grundlosen Weg, wollte der Minister sich nach
seinem Stocke bücken, als ein Soldat, welcher in bescheidener
Entfernung hinter demselben seinen Weg fortgesetzt, schnell
hinzusprang und den Stock aufhob; aber statt ihn dem
Minister zu geben, welcher schon die Hand darnach aus-
streckte, nahm der Musquetier sein baumwollenes Taschen-
tuch, reinigte sorgfältig Stock und Knopf vom Schmutz und
gab ihn dann erst dem Minister, der den Soldaten während
dieser Beschäftigung aufmerksam gemustert und ihn nun barsch
> mit den Worten anrcdetc: „Wie heißt Er?"
„Anton Jokisch!" antwortete der Gefragte, welcher ohne
j alle Verlegenheit den Minister ebenfalls festen Blicks betrachtete.
„Bei welchem Regimente dient Er?"
„Beim Regiment Lohr, Grenadier-Bataillon, zweite )
Kompagnie!"
„Sein Kapitän?"
„Herr Hauptmann von Liebenau."
„Er kann gehen!"
Der Soldat salutirte und ging seines Wegcö, der
Minister aber setzte seine Promenade fort.
Am anderen Morgen in der zehnten Vormittagsstunde,
als der Hauptmann von Liebenau mit seiner Gattin beim
Frühstück saß, überreichte ihm sein Diener ein Schreiben dcS
Ministers von Warwitz, in welchem es hieß:
„Ich erwarte den Kapitän von Liebenau heute
Vormittag um 11 Uhr."
„Donnerwetter, was will denn der Herr Minister von
mir?" rief befremdet der Hauptmann und gab die lakonische
Einladung seiner Gattin.
„Höre, August!" sprach diese lächelnd. „Mir war im
Traume diese Nacht eine Heerde Schafe zur rechten Seite,
das bedeutet Glück, gieb Acht, Dich erwartet eine Ueber-
raschung."
„Nun, wenn es nur etwas Erfreuliches ist," ent-
gegnete dieser.
„Ja, gewiß steht Dir ein Avancement bevor," fuhr die j
Frau Hauptmännin fort. „Wir sind ja von meiner Mutter
Seite mit dem gräflichen Hause Warwitz verwandt."
„Ach, der fragt den Teufel nach der Verwandtschaft
und hat von mir noch nicht die geringste Notiz genommen,"
brummte der Hauptmann still für sich und legte die Gala-
Uniform an, besah sich vom Kopf bis Fuß genau im Spiegel,
rückte den sorgsam gepflegten und bepuderten Zopf zurecht
und trat dann den Weg nach dein Palais des Ministers an.
Der Minister empfing den sofort nach dessen Anmeldung
in das Kabinet desselben eingeführten Hauptmann im grün-
sammtcncn Schlafpclz und mit der dampfenden Türkcnpfcifc,
das sicherste Zeichen, daß der alte Herr bei guter Laune, da
er sonst nie im Morgen-Negligö zu sprechen war.
Nachdem er den Hauptmann genöthigt, auf einem hohen |
Polsterstuhl ihm gegenüber Platz zu nehmen und einige starke
Züge Tabaksqualm von sich gestoßen, begann er, diesen bedeut-
sam anblickcnd:
„Sic haben einen Soldaten in Ihrer Kompagnie, RamcnS
Anton Jokisch?"
„Ercellcnz, zu Befehl!"
„Wie steht derselbe angeschrieben?" fuhr der Minister fort.
„Er ist brav und treu und hat noch nie Arrest gehabt,"
entgegnctc der Hauptmann, der am wenigsten eine Frage
nach einem seiner Musquctiere erwartet hatte.
„Dann streichen Sie ihn heute noch aus der Kompagnie-
liste," sprach der Minister. „Er soll Holzhofverwalter werde»."
„Aber, Ercellcnz!" rief der Hauptmann nicht wenig
überrascht, „der Kerl ist ein Stockwcnde und kann weder
lesen noch schreiben."
„Darauf kommt's hier auch gar nicht an," bemerkte
ruhig der Minister. „Wenn er nur ehrlich ist, die Stelle !
Aus der guten, alten Zeit.
An einem trüben November-Nachmittage des Jahres 1783
promenirte der im Kurfürstenthume K. damals allmächtige
Staats- und Konferenzminister Graf v. Warwitz, wie er eS
jeden Tag ;u thun pflegte, auf den Wallen der Rcfldenz.
Anhaltender Regen und Schneegestöber hatten auf Straßen
und öffentlichen Plätzen eine Unzahl von Pfützen gebildet,
und da zu jener Zeit erhöhte Promenaden für die Spazier-
gänger noch nirgends vorhanden waren, so mußte der alte
Herr jeden Zoll trockenen Boden behutsam benutzen, um
nicht Schritt vor Schritt bis über die Knöchel im Schmutz
zu versinken; bei dieser Bemühung aber entfiel ihm sein
langes spanisches Rohr, eben als er einen Wassertümpcl
überschreiten wollte, und der vergoldete Porzellanknopf des-
selben kam in den dicksten Schlamm zu liegen. Laut fluchend
über den grundlosen Weg, wollte der Minister sich nach
seinem Stocke bücken, als ein Soldat, welcher in bescheidener
Entfernung hinter demselben seinen Weg fortgesetzt, schnell
hinzusprang und den Stock aufhob; aber statt ihn dem
Minister zu geben, welcher schon die Hand darnach aus-
streckte, nahm der Musquetier sein baumwollenes Taschen-
tuch, reinigte sorgfältig Stock und Knopf vom Schmutz und
gab ihn dann erst dem Minister, der den Soldaten während
dieser Beschäftigung aufmerksam gemustert und ihn nun barsch
> mit den Worten anrcdetc: „Wie heißt Er?"
„Anton Jokisch!" antwortete der Gefragte, welcher ohne
j alle Verlegenheit den Minister ebenfalls festen Blicks betrachtete.
„Bei welchem Regimente dient Er?"
„Beim Regiment Lohr, Grenadier-Bataillon, zweite )
Kompagnie!"
„Sein Kapitän?"
„Herr Hauptmann von Liebenau."
„Er kann gehen!"
Der Soldat salutirte und ging seines Wegcö, der
Minister aber setzte seine Promenade fort.
Am anderen Morgen in der zehnten Vormittagsstunde,
als der Hauptmann von Liebenau mit seiner Gattin beim
Frühstück saß, überreichte ihm sein Diener ein Schreiben dcS
Ministers von Warwitz, in welchem es hieß:
„Ich erwarte den Kapitän von Liebenau heute
Vormittag um 11 Uhr."
„Donnerwetter, was will denn der Herr Minister von
mir?" rief befremdet der Hauptmann und gab die lakonische
Einladung seiner Gattin.
„Höre, August!" sprach diese lächelnd. „Mir war im
Traume diese Nacht eine Heerde Schafe zur rechten Seite,
das bedeutet Glück, gieb Acht, Dich erwartet eine Ueber-
raschung."
„Nun, wenn es nur etwas Erfreuliches ist," ent-
gegnete dieser.
„Ja, gewiß steht Dir ein Avancement bevor," fuhr die j
Frau Hauptmännin fort. „Wir sind ja von meiner Mutter
Seite mit dem gräflichen Hause Warwitz verwandt."
„Ach, der fragt den Teufel nach der Verwandtschaft
und hat von mir noch nicht die geringste Notiz genommen,"
brummte der Hauptmann still für sich und legte die Gala-
Uniform an, besah sich vom Kopf bis Fuß genau im Spiegel,
rückte den sorgsam gepflegten und bepuderten Zopf zurecht
und trat dann den Weg nach dein Palais des Ministers an.
Der Minister empfing den sofort nach dessen Anmeldung
in das Kabinet desselben eingeführten Hauptmann im grün-
sammtcncn Schlafpclz und mit der dampfenden Türkcnpfcifc,
das sicherste Zeichen, daß der alte Herr bei guter Laune, da
er sonst nie im Morgen-Negligö zu sprechen war.
Nachdem er den Hauptmann genöthigt, auf einem hohen |
Polsterstuhl ihm gegenüber Platz zu nehmen und einige starke
Züge Tabaksqualm von sich gestoßen, begann er, diesen bedeut-
sam anblickcnd:
„Sic haben einen Soldaten in Ihrer Kompagnie, RamcnS
Anton Jokisch?"
„Ercellcnz, zu Befehl!"
„Wie steht derselbe angeschrieben?" fuhr der Minister fort.
„Er ist brav und treu und hat noch nie Arrest gehabt,"
entgegnctc der Hauptmann, der am wenigsten eine Frage
nach einem seiner Musquctiere erwartet hatte.
„Dann streichen Sie ihn heute noch aus der Kompagnie-
liste," sprach der Minister. „Er soll Holzhofverwalter werde»."
„Aber, Ercellcnz!" rief der Hauptmann nicht wenig
überrascht, „der Kerl ist ein Stockwcnde und kann weder
lesen noch schreiben."
„Darauf kommt's hier auch gar nicht an," bemerkte
ruhig der Minister. „Wenn er nur ehrlich ist, die Stelle !
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Aus der guten, alten Zeit"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 42.1865, Nr. 1023, S. 54
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg