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Die Reise zur Hochzeit.
Trauung den Entschluß gefaßt hätte, sofort und zwar vom
Festmahle weg zu den Eltern zu fahren, um zu sehen, ob
eine plötzliche Krankheit oder sonst ein Unfall sie am Er-
scheinen gehindert. Ihr Sohn, hörten sie mit Rührung
erzählen, sei nur mit halber Andacht bei der feierlichen
Handlung gewesen und auch die Braut habe sie, auf das
schmerzlichste vermißt. Beide hätten keine Ruhe gehabt,
kurz sie seien, wie schon erzählt, vom Hochzeitsmahle weg
mit Extrapost fortgefahren, um zu den geliebten Eltern zu eilen.
„Dann ist auch unsers Bleibens hier nicht, geehrte
und liebe Verwandte!" rief die Frau Räthin mit schnellem
Entschlüsse. „Wir müsien ihnen Nacheilen. Meine Pflicht
als Wirthin ruft mich nach Haus." Alles Einreden der
Familie Robnrg und der übrigen zahlreichen Verwandten
und Freunde hals nichts. Sie blieb unerschütterlich. Man
sah endlich ein, daß sie Recht habe; auch ihr Mann stimmte
ihr bei. Es wurde sofort Extrapost bestellt. Unterdessen
nahm man einige Bissen ein und trank auf das Wohlsein
des jungen Ehepaars und Anderer diverse Gläser Champagner
und erfreute sich dabei im Fluge der vielfachen Beweise der
herzlichsten und liebevollsten verwandtschaftlichen Gesinnung,
die ihnen von allen Seiten entgegengetragen wurde. Nur
zu rasch kam der Wagen; Koffer und Kisten waren bereits
angelangt und wurden verpackt. Nach langem und rühren-
dem Abschied saßen sie wieder im Wagen und fuhren in
ihrem Sonntagsstaate der lieben Hcimath zu.
Nun könnte die Geschichte eigentlich aus sein. Aber
„werde nur nicht ungeduldig, lieber Leser! Es kommt
noch was."
Es war ein schwüler Sommerabcnd; aber sie fühlten
kein Ungemach in der Freude, das junge Ehepaar bei sich
zu finden und bewirthen zu können. Die Frau Räthin
besonders schwelgte in dem Gedanken, die junge Frau einige
Wochen bei sich zu behalten und sie mit Stolz allen Bekannten
vorzuführcn und sich recht mit ihr einzuleben. Auf der
zweiten Station hatten sie zufällig denselben Postillon, der
sie nach Halle hineingcfahren hatte. „Aber Schwager," rief
ihm die Frau Räthin zu, „was hast Du für Streiche ge-
macht! hast uns ja bei einem falschen Hause vorgefahren!"
„Na, da wohnt doch auch ein Geheimrath," antwortete
dieser.
„Ja, aber nicht der rechte."
„Ja, das könnt' ich nicht wissen."
„Was sagst Du nur dazu, Männchen?" wandte sie
sich an ihren Gatten.
„Was ich dazu sage, Trudchen?" antwortete dieser.
„Des Lebens Unverstand mit Wehmuth zu."
„Na, schweig nur, ich weiß schon!" unterbrach sie ihn.
Bald nachher wurde die Frau Räthin wieder in Folge
des genossenen Champagners müde. Sie legte sich wieder
an die Brust des Gatten, er aber in eine Ecke und so
schliefen sie der lieben Hcimath entgegen und wachten nicht |
eher auf, als bis sie um Mitternacht, gerade 24 Stunden
nach ihrer Abfahrt zu Hause ankamcn. Sie nahmen sich,
vor, die jungen Leute nicht etwa zu wecken, sondern die
Bekanntschaft bis zum nächsten Morgen zu verschieben. Aber
wie erstarrten sie fast vor Schreck, als sie von der Magd,
die noch wach war, vernahmen, vor ungefähr drei. Stunden
sei der Herr Doctor mit der jungen Frau ganz unerwartet
angelangt, aber gleich mit demselben Wagen znrückgekehrt,
als er gehört, daß seine Eltern nach Halle abgcreist seien.
„O gerechter, grundgütiger Gott!" seufzte die Frau
Räthin schmerzlich, „wollen denn diese unseligen Mißgeschicke
nicht einmal endigen!"
„Werde nicht ungeduldig, liebes Trudchen!" tröstete
der Herr Rath, „und beherzige den Spruch: „Des Lebens ;
Unverstand mit Wehmuth zu" —
Sie faßten einen kurzen Entschluß, benutzten gleich den
zurückkehrenden Extrapostwagen, eilten dem jungen Paare 1
nach und kamen glücklich gegen 9 Uhr Morgens in Halle
bei Roburgs an, froh, daß das junge Ehepaar nicht etwa
schon wieder abgereist war. Aber schachmatt waren sie von
den vielen Fahrten; sie hatten bis auf die kleine Unterbrechung
in Mutzenbachers Hause über 30 Stunden im Wagen zuge-
bracht. Auch die jungen Eheleute waren von der Tour hin
und zurück sehr angegriffen und ließen sich vor Mittag nicht
sehen. Dann gab es aber eine Freude, ein Erzählen, ein
Lachen und Bedauern, daß bald alle diese Widerwärtigkeiten
vergessen waren.
Der Herr Rath sagte aber zu seinem Weibchen: „Sichst
Du nun, liebes Trudchen, daß ich Recht habe.
Des Lebens Unverstand mit Wehmuth zu genießen,
Ist Tugend und Begriff."
Rebus.
Auflösung in nächster Nummer.
Die Reise zur Hochzeit.
Trauung den Entschluß gefaßt hätte, sofort und zwar vom
Festmahle weg zu den Eltern zu fahren, um zu sehen, ob
eine plötzliche Krankheit oder sonst ein Unfall sie am Er-
scheinen gehindert. Ihr Sohn, hörten sie mit Rührung
erzählen, sei nur mit halber Andacht bei der feierlichen
Handlung gewesen und auch die Braut habe sie, auf das
schmerzlichste vermißt. Beide hätten keine Ruhe gehabt,
kurz sie seien, wie schon erzählt, vom Hochzeitsmahle weg
mit Extrapost fortgefahren, um zu den geliebten Eltern zu eilen.
„Dann ist auch unsers Bleibens hier nicht, geehrte
und liebe Verwandte!" rief die Frau Räthin mit schnellem
Entschlüsse. „Wir müsien ihnen Nacheilen. Meine Pflicht
als Wirthin ruft mich nach Haus." Alles Einreden der
Familie Robnrg und der übrigen zahlreichen Verwandten
und Freunde hals nichts. Sie blieb unerschütterlich. Man
sah endlich ein, daß sie Recht habe; auch ihr Mann stimmte
ihr bei. Es wurde sofort Extrapost bestellt. Unterdessen
nahm man einige Bissen ein und trank auf das Wohlsein
des jungen Ehepaars und Anderer diverse Gläser Champagner
und erfreute sich dabei im Fluge der vielfachen Beweise der
herzlichsten und liebevollsten verwandtschaftlichen Gesinnung,
die ihnen von allen Seiten entgegengetragen wurde. Nur
zu rasch kam der Wagen; Koffer und Kisten waren bereits
angelangt und wurden verpackt. Nach langem und rühren-
dem Abschied saßen sie wieder im Wagen und fuhren in
ihrem Sonntagsstaate der lieben Hcimath zu.
Nun könnte die Geschichte eigentlich aus sein. Aber
„werde nur nicht ungeduldig, lieber Leser! Es kommt
noch was."
Es war ein schwüler Sommerabcnd; aber sie fühlten
kein Ungemach in der Freude, das junge Ehepaar bei sich
zu finden und bewirthen zu können. Die Frau Räthin
besonders schwelgte in dem Gedanken, die junge Frau einige
Wochen bei sich zu behalten und sie mit Stolz allen Bekannten
vorzuführcn und sich recht mit ihr einzuleben. Auf der
zweiten Station hatten sie zufällig denselben Postillon, der
sie nach Halle hineingcfahren hatte. „Aber Schwager," rief
ihm die Frau Räthin zu, „was hast Du für Streiche ge-
macht! hast uns ja bei einem falschen Hause vorgefahren!"
„Na, da wohnt doch auch ein Geheimrath," antwortete
dieser.
„Ja, aber nicht der rechte."
„Ja, das könnt' ich nicht wissen."
„Was sagst Du nur dazu, Männchen?" wandte sie
sich an ihren Gatten.
„Was ich dazu sage, Trudchen?" antwortete dieser.
„Des Lebens Unverstand mit Wehmuth zu."
„Na, schweig nur, ich weiß schon!" unterbrach sie ihn.
Bald nachher wurde die Frau Räthin wieder in Folge
des genossenen Champagners müde. Sie legte sich wieder
an die Brust des Gatten, er aber in eine Ecke und so
schliefen sie der lieben Hcimath entgegen und wachten nicht |
eher auf, als bis sie um Mitternacht, gerade 24 Stunden
nach ihrer Abfahrt zu Hause ankamcn. Sie nahmen sich,
vor, die jungen Leute nicht etwa zu wecken, sondern die
Bekanntschaft bis zum nächsten Morgen zu verschieben. Aber
wie erstarrten sie fast vor Schreck, als sie von der Magd,
die noch wach war, vernahmen, vor ungefähr drei. Stunden
sei der Herr Doctor mit der jungen Frau ganz unerwartet
angelangt, aber gleich mit demselben Wagen znrückgekehrt,
als er gehört, daß seine Eltern nach Halle abgcreist seien.
„O gerechter, grundgütiger Gott!" seufzte die Frau
Räthin schmerzlich, „wollen denn diese unseligen Mißgeschicke
nicht einmal endigen!"
„Werde nicht ungeduldig, liebes Trudchen!" tröstete
der Herr Rath, „und beherzige den Spruch: „Des Lebens ;
Unverstand mit Wehmuth zu" —
Sie faßten einen kurzen Entschluß, benutzten gleich den
zurückkehrenden Extrapostwagen, eilten dem jungen Paare 1
nach und kamen glücklich gegen 9 Uhr Morgens in Halle
bei Roburgs an, froh, daß das junge Ehepaar nicht etwa
schon wieder abgereist war. Aber schachmatt waren sie von
den vielen Fahrten; sie hatten bis auf die kleine Unterbrechung
in Mutzenbachers Hause über 30 Stunden im Wagen zuge-
bracht. Auch die jungen Eheleute waren von der Tour hin
und zurück sehr angegriffen und ließen sich vor Mittag nicht
sehen. Dann gab es aber eine Freude, ein Erzählen, ein
Lachen und Bedauern, daß bald alle diese Widerwärtigkeiten
vergessen waren.
Der Herr Rath sagte aber zu seinem Weibchen: „Sichst
Du nun, liebes Trudchen, daß ich Recht habe.
Des Lebens Unverstand mit Wehmuth zu genießen,
Ist Tugend und Begriff."
Rebus.
Auflösung in nächster Nummer.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Rebus"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Thema/Bildinhalt (normiert)
Maul <Motiv>
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 42.1865, Nr. 1035, S. 148
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg