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Dornröschen.

Ein Mährchen, wie man sie in hundert Jahren den Kindern erzählt.

Es war einmal ein König und eine Königin. Denen
wurde nach langer kinderloser Ehe ein Mädchen geboren, welches
in geistiger wie in körperlicher Beziehung eine außerordentlich
glückliche Mischung des Stoffes an den Tag legte. Gleichwohl
scheinen bei seiner Entstehung eigenthümliche tellurische Einflüsse
gewaltet zu haben und, sei es in Folge des damaligen außer-
gewöhnlich niederen Standes des Grundwassers oder des über-
mäßigen Ozon-Gehaltes, welchen die Luft in den aus alter
Zeit herrührenden Räumlichkeiten des königlichen Schlosses ent-
hielt — genug ihre somatisch-psychische Jnclination gravitirte
nach einem gewissen soporösen Zustande, der nur eines geringen
Anlasses bedurfte, um in volle Bewußtlosigkeit überzugehen.
Der Leibarzt des Königs, ein vortrefflicher Kenner der Natur-
gesetze, machte früh genug auf die möglichen Complicationen
aufmerksam, welche aus dieser Disposition sich entwickeln konnten,
und auf seinen Rath hin erließ der Minister des königlichen
Hauses mit Genehmigung des Königs ein nur in jener Zeit
mögliches Verbot, welches als unberechtigter Eingriff in die
privatrcchtlichen Verhältnisse der Unterthanen jedoch schon damals
nicht geringes Befremden erregte und auch in der damals noch
sehr bescheidenen Presse des fraglichen Landes die lebhaftesten
Angriffe erfuhr.

Es war eine landesherrliche allerhöchste Verordnung, ans
etlichen Paragraphen bestehend, deren wesentlichste Bestimmung
dahin lautete, daß bei Meldung einer sehr ergiebigen Geldstrafe
der Gebrauch der Nähmaschinen — einer damals noch ziemlich
neuen Erfindung — innerhalb der Landesgrenzen untersagt war.

Der Leibarzt hatte nämlich geltend gemacht, daß nicht
nur das Rotationsgeräusche, sondern auch der sich aus den
Eisentheilen der Maschine entwickelnde Magnetismus eines jener
Reizmittel bildeten, welche für den Zustand der Prinzessin be-
denklich werden konnten. Umsonst hielten sofort die Betheiligten
Massenversammlungen mit protestirenden Resolutionen — eine
in jener Zeit noch im Gebrauch gewesene Art der Erzeugung
dessen, was man öffentliche Meinung nannte — umsonst petitio-
nirten sümmtliche Hausfrauen in unzähligen Adressen — auch

eine damals noch beliebte Art, eine öffentliche Frage in Fluß
zu bringen. — Die königliche Verordnung blieb bestehen und
wurde, soweit die mangelhafte Polizeiorganiiation jener Zeit |
es möglich machte, auch zum Vollzüge gebracht.

Wie es indessen.mit allen derartigen Prohibitivmaßrcgeln :
zu gehen pflegt, trotz aller Strenge der äußeren Vollzugsorgane
entging eine Nähmaschine der Vernichtung und diese befand sich
noch dazu in einem Zimmer der k. Hofburg bei der Hofleib-
schnciderin, welche sich im Vertrauen auf ihre hohe Stellung
und ihre nahen Beziehungen zur Königin um das Verbot nicht
kümmerte und ihre Nähmaschine nach wie vor schnarren ließ.

Die Prinzessin wurde zwar im Ganzen sehr strenge er-
zogen und sorgfältig überwacht, allein hin und wieder gelang
es ihr doch, sich der Aufsicht ihrer Hofdamen zu entziehen und
ans ein Stündchen ihrem eigenen Willen nachzugchcn.

Wer möchte auch einem jungen Mädchen solche kleine
Selbstständigkeiten verübeln?!

So kam eines Tages die Prinzessin in das Atelier der
Hofleibschnciderin. Diese war damit beschäftigt, eine neue Robe
zu erfinden.

Mit lebhaftem Interesse ging die Prinzessin ans die über-
raschenden Intentionen ein, welche die Lcibschneiderin in leichtem,
wissenschaftlichem Vortrage entwickelte. Die Ideen der Kleider-
künstlerin fanden den vollen Beifall ihres jugendlichen Geistes.
Nun sollten vor den Augen der Prinzessin die einzelnen Thcile
der Robe zusammengefügt werden. Die Nähmaschine kam in
Gang — aber kaum hatte die Nadel ihre emsige Arbeit be-
gonnen, so erfüllte sich der Ansspruch des Arztes und die .

Prinzessin versank in tiefen Schlaf. Die Hofleibschnciderin
wollte rasch um Hilfe eilen, aber auch auf sie wirkte der Schlaf
contagiös, sie schlief unter der Thüre ein. Dieser soporöse Zu-
stand pflanzte sich wie eine Schallwelle langsam aber sicher fort.
Auch die Unterleibschneiderinnen, die Beschließerinnen, die Wachen,
die Lakeien schliefen ein. Das Fluidum wirkte von Raum zu
Raum, von Gang zu Gang, in der Küche, im Stall, in den
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"Dornröschen. Ein Mährchen, wie man sie in hunert Jahren den Kindern erzählt"
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Fliegende Blätter
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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

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Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

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Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

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Künstler/Urheber (GND)
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Digitales Bild
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Fliegende Blätter, 57.1872, Nr. 1426, S. 158

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