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Die Badereise.

In die hohe Tatra! Und was das Schönste bei der Sache
war — nicht per Eisenbahn — nein im eigenen Wagen
d. h. so zu sagen im eigenen, in einer Kutsche des alten
Universitätsfreundes Lamprecht! Entzückende Aussicht! Die ganze
längst verlorene Romantik der gelben Postkutschenbesörderung
tauchte urplötzlich durch diese geniale Idee des Herrn Padde
wieder ans! — „Ach, wenn's doch schon an der Zeit wäre",
betete allabendlich die kleine Minna und dankte dabei persön-
lich dem lieben Gott, daß er nun doch für ihre brillante
Censur die wohlverdiente Belohnung erwirkt habe. . . .

Und wie Alles in der Welt kommt, so kam auch der Tag
der Abreise. Alle Fenster der Nachbarhäuser, selbst die Gasse
voller Neugierigen. „Wer reist denn fort?" — „Die Paddels."
— „Wohin?" — „In die hohe Tatra." — „Was ist denn das
für ein Land?" — „Die Glücklichen!" — „Und die schöne
Kutsche!" — —

Und fort ging's! Fort aus dem alten Stadtthor, fort in's
Blaue!..

Am anderen Morgen finden ivir unsere Familie in einer
Geisblattlaube am Kaffeetisch, aber in den Physiognomien der-
selben scheint csegcn Tags zuvor eine gewaltige Aenderung vor
sich gegangen zu sein. Stumm und still und niedergeschlagen
schaut Jedes auf das altmodische blaue Porzellangeschirr, das
sichtlich aus einem dörflichen Glasschrank und seinem Urväter-
Hausrath stammte. Nur Herr Padde scheint wohlgcmnth und
fröhlich. Mit Hellen und heiteren Augen blickte er über den
Blumenflor des in kleinbäuerlichem Geschmack angelegten Gärt-
chens und öffnet endlich den selbstgefällig lächelnden Mund zu
nachstehender Anrede: „Kinderchen, Ihr seid thöricht! Macht
gute Miene zum bösen Spiel und bewundert lieber, anstatt
wider den Stachel zu lecken, die Erfindungsgabe Eures in-
geniösen Papa's, der Euch durch seinen genialen Einfall vor
einer furchtbaren Blamage und Euer gesellschaftliches Prestige
durch einen brillanten coup d’esprit zu retten wußte! Tatra
hin, Tatra her! Hier in Ellerndorf ist's auch ganz hübsch!
Man muß sich nach der Decke strecken! Und damit wir bei
der Rückkehr nicht in Verlegenheit kommen, lernen wir Emils

geographische Notizen auswendig, die er sich nützlicher Weise
über unser vermeintliches Reiseziel gesammelt!"

„Du hast uns wieder schön angeführt", schmollte die kleine
Hausfrau. „Ich seh's ja ein, Alterchen, daß Du im Grunde
Recht hast, allein — wenn's herauskommt —?"

„Pah, wer sollte uns hier in dem weltabgelegensten Nest
ausspioniren", sagte der Postcommissär. „Kaum eine anständige
Chaussee führt hieher, geschweige die Eisenbahn! Darüber be-
ruhigt Euch vollständig, meine Lieben, und fügt Euch nun mit
Anstand in das Unvermeidliche!" . . .

„Ich schämte mich zu Tode", flüsterte Erna ihrer Mutter
zu „wenn —"

„Dies „wenn" ist aber eine ganz alberne Furcht", siel
eifrig der Vater ein, „hie-r in diesem stillen Winkel wird uns
selbst das Auge eines Argus nicht entdecken! Ihr sollt sehen, wir
werden uns in diesen Buchenwäldern noch ganz köstlich amüsiren.
Erna kann nach Herzenslust Mondschein schwärmen, Fritz füllt die
Botanisirtrommel, mit Minna mache ich drüben in der Kiefer-
schonnng einen fiir ihre Bleichsucht höchst ersprießlichen Lungenturn-
kursus durch und Mamachen liest in Muße ihre Romane und stopft
dazu unsere Winterstrümpfe! Und wenn wir heimkommen,
revanchiren wir uns an der tyrannischen Gesellschaft, welche uns
durch ihre Convenienzen zu dieser Nothlüge zwang, durch die
lustigsten Improvisationen von allerlei Reiseabenteuern! Ich
freue mich schon ordentlich darauf und Ihr, wenn Ihr gescheidt
seid, macht's so wie ich! Siehst Du, Mamachen, Du mußt
schon lachen! Warst ja auch gleich bekehrt, als ich Euch in fest-
geschlossener Kutsche erst bis über's Weichbild unserer Stadt
hinausspcdirt hatte und fügtest Dich mit Klugheit und Würde
in dies schlau ersonnene und kühn ausgeführte kalt accompli!
Wißt Ihr, Kinderchen, ich bin ordentlich stolz auf diesen Coup!"

„Wenn nur der Steuerrath nicht dahinter kommt", warf
Erna auf's Neue kleinlaut ein.

„Ah was! Der ist vielleicht schon mitten im Gotthard-
tunnel drinn' und — — Alle Wetter, was ist das?"

Todesschweigen in der Geisblattlaube; Marmorgruppe um den
Kaffeetisch, denn hinter dem Zaun des Nachbargartens klang cs von
\r!:, Hellen bekannten Kinderstimmen: „Wer hat dich

du schöner Wald

„Das sind Steuerraths

ü- Gustel und Toni", flüsterte Fritz.
„Das Ei des Columbus"

,,iüu» »vH«uuua , rief Herr Padde

^ laut und freudig aus und wie Bergeslnst fiel
es ihm von der Brust. Derweile guckte auch
schon das volle lachende Mondscheinantlitz des
Steuerraths durch rothblühende Bohuenrauken
über den Bretterzaun und rief: „Willkommen
auf der hohen Tatra!" Und mit großem Selbst-
bewußtsein replicirte Herr Padde: „Italien,
mein Vaterland, wie schön bist du zu schauen!"
Ein homerisches Gelächter beider Männer folgte,
in welches alsbald die ganze Familie des Steuer-
raths jenseits des Zaunes lustig einstimmte.
Nur die Familie Padde schien sich aus de». Bann
ihrer Versteinerung nicht befreien zu können.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die Badereise"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsdatum
um 1883
Entstehungsdatum (normiert)
1878 - 1888
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 79.1883, Nr. 1988, S. 066

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