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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 35.1920

DOI Artikel:
Schmidt, Eduard: Ein Akroter des "peisistratischen" Athenatempel
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https://doi.org/10.11588/diglit.44574#0115
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Eduard Schmidt, Ein Akroter des »peisistratischen« Athenatempels.

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EIN AKROTER
DES »PEISISTRATISCHEN« ATHENATEMPELS.

Wer von der Beschäftigung mit den archaischen »Korai« der Akropolis her-
kommt, wird den Torso einer Nike Nr. 694 des Akropolis-Museums (Abb. 1, 2, 9) *)
als anders geartet empfinden. Er wirkt schlichter, die Formbehandlung ist von
überraschender Kraft und Frische. Schattenbildende Motive, die dort die gesamte
Oberfläche des Gewandes überziehen, sind bei ihm sparsam verteilt. Dafür heben
sich die wenigen Falten kraftvoll plastisch ab, und die Zickzackfältelung des Randes
ist in so großen Zügen wie bei keiner der Korai vorgetragen.
Die Besonderheit der Nike 694 hat man dahin gedeutet, daß sie an das Ende
der archaischen Epoche gehöre: es sei die schlichte Natürlichkeit der Tempelskulp-
turen von Olympia darin vorgebildet 2).. Dabei fiel auf, daß das Werk in mancher
Beziehung zweifellos altertümlicher Typik folgt: in der »Knielauf«-Stellung, der
Wendung des Kopfes geradeaus gegen den Beschauer, in der Form der aufgebogenen,
dem Rücken nur gleichsam anklebenden Flügel — alles dies im Gegensatz zu einer
andern Nike der Akropolis Nr. 690 (Abb. 7, 8), die doch nach der Wiedergabe von
Gewand und Haar selbst noch archaisch ist.
Aber auch der Gewandstil des Torsos 694 ist archaisch. Das wird klar bei jedem
Versuch, die Abweichung von der archaischen Formensprache irgendwie zu fassen.
Man stelle die Statuette Akr. 688 daneben 3). Sie ist ein sicheres Beispiel für das Ein-
dringen neuer Elemente am Ende der archaischen Entwicklung; ein archaischer Typus
der stehenden weiblichen Gewandfigur — mit dem Mantel über beiden Schultern —
ist durchsetzt mit wulstigen Falten, wie sie sich in der Wirklichkeit aus der Natur
des schweren Wollstoffes ergeben. Es sind eben diese Falten, die an dem Peplos der
olympischen Giebel zu voller Herrschaft gelangen. Bei der Nike 694 wird man ver-
gebens nach Ähnlichem suchen. — Oder man mag die Frauengestalten von Olympia
selbst vergleichen. Eine Gewandpartie an Brust und Schulter der Lapithin R (Olym-
pia IIITaf. 32) scheint der Nike694 in der Tat nahezukommen. Aber aus der Gegen-
überstellung wird deutlich, wie die Faltenzüge bei der Lapithenfrau in »natürlicher«
Unregelmäßigkeit verlaufen, während sie bei der Nike nach archaischem Gesetz, nur
Schritt für Schritt die-Richtung ändernd, angeordnet sind 4). Wir bemerken weiter

>) Vgl. Brunn-Bruckmann Taf. 526 r. oben. Seitdem
ist ein Stück des r. Oberschenkels dazugekommen.
2) Arndt zu Br.-Br. 526 r. oben. — Lechat, Sculpt.
av. Phidias 369 fi. und Au Musee de l’Acropole
176 Anm. 2, 3; derselbe schon BCH. XII 1888,
437 »archaisme mitige«. — Weniger bestimmt
äußern sich Dickins im Cat. of the Acropolis Mu-
seum (Entstehung um 480 — im Text zu Akr. 140
sogar ohne Einschränkung »pre-Persian«) und
Pavlovsky, Die Skulptur in Attika bis zu den
Perserkriegen (Anfang des 5. Jahrhs. — später
als Akr. 690 — von einem attischen Künstler,

der sich vom »chiotischen« Einfluß freizumachen
strebte). — Die Fundumstände, die Dickins an-
führt, entscheiden nicht, da in der betreffenden
Gegend die Schichten nicht ungestört sind: Kav-
vadias-Kawerau, Ausgrab, der Akropolis 40.
3) Schrader, Auswahl arch. Marmorsk. 39/40.
4) Die letzten gegen die Körpermitte hin gehen nicht
von der Schulter aus, sondern von dem Gewand-
saum des Obergewandes, dessen Borte offenbar
gemalt war. — Die letzten beiden links sind unter
der r. Achsel in gleichlaufenden Kurven hin-
durchgeführt.
 
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