Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

DOI Artikel:
Neues vom Kaiser-Friedrich-Museum
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0027

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXIX. Jahrgang 1917/1918 Nr. 3. 19. Oktober 1917

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 10 Mark
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 1 la.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchionik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

NEUES VOM KAISER-FRIEDRICH-MUSEUM

Das Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin hat seiner
bedeutenden Sammlung von Trecentisten des Südens
und Nordens einen neuen und höheren Wertakzent
aufgesetzt. Den bestehenden Kabinetten sind je ein
Interimskabinett angefügt worden, welche durch mo-
bile Holzwände an den Enden des Vestibülumgangs
des oberen Gemäldestockwerkes entstanden. Auf dem
schwärzlichen Schieferton dieser eingestellten Wände
wird dem Goldgrund der Gemälde seine alte stille Glut
glücklich zurückgegeben. Man möchte wünschen,
daß auch später bei größerer Raumfreiheit nach dem
Auszug einiger Abteilungen in das Deutsche Museum
der genuesischen Vestibülkälte dieses Raumes durch
eine Umwandlung jenes Provisoriums in eine Immo-
bilität diese belebende Wärme zugeführt wird. Anlaß
gab zur Erweiterung der italienischen Trecentisten
vornehmlich eine Leihgabe, mit der jedoch die leb-
hafte Hoffnung verbunden ist, sie dauernd den Be-
ständen der Sammlung zurechnen zu dürfen. Es ist
Giottos Tod der Maria aus Ognisanti, über den Ghi-
berti bereits berichtet und Vasari das besondere Lob
Michelangelos hinzufügt. Die literarischen Quellen
und Schicksale des Bildes hat Perkins, der auf das
Bild aus der englischen Sammlung Bromley zu
Capesthorne, wohin es aus der bekannten Sammlung
des Kardinals Flesch in der Mitte des ig. Jahrhun-
derts gekommen war, wieder aufmerksam geworden
war, nachdem es zuletzt Waagen dort als Giotto an-
erkannt hatte, in der Rassegna d'Arte 1914 (p. 193)
ausführlich behandelt. Dem Predellenformat gewinnt
Giotto für diesen Vorgang mit seinen reichen Assi-
stenzfiguren eine Gliederung ab, die über Fra Ange-
lico bis auf Ghirlandajo bindend geblieben ist, und
deren weise Beherrschung in der Verteilung der Mas-
sen dieser Zentralkomposition deutlich den Stil der
Croce-Fresken verrät. In das getragene Tempo dieser
stummen Weihe, welche die Bindung der Massen
atmet, spielen alle Regungen individuellen Lebens
hinein und steigen vom stillsten Schmerz zu jener
florentinischen Lebhaftigkeit und Eindringlichkeit auf,
mit der ein Engel den Weihrauch anbläst. Die Farbe,
die vorzüglich erhalten ist, bewegt sich in einer mil-
den Blumigkeit. Mit jenem Meisterwerk würde die
Sammlung der italienischen Trecentisten einen leben-
digen Mittelpunkt bekommen und ihr, wie die neue
glückliche Aufstellung zeigt, einen geschlossenen Ein-
druck sichern. Aus einer Dresdener Erbschaft ist an
das Museum eine Madonna gekommen, die man
einem Nachfolger des Simone Martini gibt, der aber
florentinische Eindrücke aufgenommen hat. Weitere
Bereicherung hat dieses Kabinett durch die inter-

essante Beweinung des Giovanni da Milano erfahren,
von dem das Kupferstich-Kabinett die bedeutende
Zeichnung einer Kreuzigung besitzt. Außerdem hat
aus dem Depot eine Darstellung aus der Legende
der hl. Margaretha hier wieder ihren Platz finden
können, deren Stil der Art des Sano di Pietro nahe
steht. In dem neuen Kabinett sind die Sienesen ver-
einigt. Zu den bekannten Werken des Duccio, Martini,
Ugolino u. a. ist aus dem Depot eine Kreuzigung
hinzugekommen, die der Schule Lorenzettis angehört.

Am anderen Ende des Vestibülumgangs sind in
dem neuen Kabinett die nordischen Trecentisten zu-
sammengestellt worden mit der großartigen Madonna
mit dem Stifter Erzbischof Ernst von Prag, böhmische
Schule um 1350, als Mittelpunkt. Zu den reich-
haltigen Werken der niederrheinischen und west-
fälischen Schule kommt eine bedeutende Neuerwer-
bung: ein dreiteiliger Altar aus der Kirche zu
Heiligenstadt im Eichsfeld, der seine Aufstellung in
dem Durchgangsraum zur Basilika finden mußte.
Das Triptychon (1,37x2,95) weist durch die perspek-
tivische Konsequenz, mit welcher der reiche Baldachin
über der Kreuzigung des Mittelbildes und über den
Heiligenfiguren der Flügel durchgeführt ist, den Meister
(1380) in eine nahe Abhängigkeit von der böhmischen
Tafelmalerei, während die Detailzeichnung, besonders
im Nackten, manche Derbheiten aufweist, welche aber
von einem zartbewegten Kolorit der Gewänder, den
starken Farbakzenten der Architektur und dem kräftigen
Goldgrund glücklich niedergehalten werden. Das
zweite Kabinett bringt dann aber in der Neuaufstellung
der vier Tafeln des Meisters der Darmstädter Passion
eine sehr erfreuliche Überraschung. Bisher in den
unteren Räumen der deutschen Plastik im schlechten
Licht versteckt, kommt hier der ganze Reichtum der
koloristischen Skala dieses wenig gekannten Meisters
zur vollen Geltung. Zwischen den Tafeln dieses
Meisters von 1440 haben die beiden Werke von
Konrad Witz Platz gefunden und weisen mit ihrem
starken und leuchtenden Kolorit auf den Gegensatz
hin, in welchen der Darmstädter Meister zu dem Kolorit
der oberrheinischen Schule, deren Formengebung er
durch Witz vielfach aufgenommen hat, durch seine
Beziehungen zur niederländischen Kunst getreten ist.
Durch diese Aufstellung ist der systematischen Ordnung
der deutschen Malerei eine wertvolle Ergänzung gegeben
worden, da hierdurch eine reichere Vorstellung von der
deutschen Malerei der ersten Hälfte des 15. Jahrhun-
derts außerhalb der Kölner Schule gewonnen ist.

Ein großer Gobelin aus dem Nachlaß Dr. Freund,
ein auffahrender Christus, der dem Barend van Orley
zugeschrieben werden darf, hat noch in diesem Kabinett
vorläufig Platz gefunden.
 
Annotationen