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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Cohen, Walter: Ludwig Scheibler
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Dresdner Brief, [1]
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Kurth, W.: Ausstellung in der freien Sezession Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0188

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351

Dresdner Brief — Ausstellung der Freien Sezession Berlin

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wie Scheibler kamen und mit jedem Ernst und aller
Gewissenhaftigkeit sich dem Studium der Monumente
hingaben. Er hat nie nach dem »unechten Strahlen-
kranz der Allwissenheit« (K. Woermann, Rep. 20,
S- 423) gestrebt, und in dieser Selbstbescheidung liegt
es nicht zum mindesten begründet, daß er, wie er den
Begriff des Kenners mit neuem Leben erfüllte, als
Kenner unvergessen bleibe. WALTER COHEN.

DRESDNER BRIEF

Eine umfängliche Ausstellung neuer reli-
giöser Kunst findet man in der Galerie Arnold, in
der Hauptsache eine Wiederholung der Ausstellung,
die der stellvertretende Direktor der Mannheimer Kunst-
halle Dr. Hartlaub für diese zusammengebracht und
dort vor einigen Wochen gezeigt hat. Ob man an-
gesichts dieser 84 Gemälde und 100 Blätter graphi-
scher Kunst überhaupt von religiöser Kunst sprechen
kann, ist eine Gewissensfrage. Näher kommt man der
Wahrheit jedenfalls, wenn man sagt: moderne Malerei
und Graphik, die sich an christlichen und biblischen
Stoffen versucht hat. Das gibt im Vorwort zum Aus-
stellungskatalog auch Dr. Hartlaub zu. Er erklärt da,
das Streben der heutigen jungen Künstler gehe da-
hin, in voller, ja gesteigerter Bewußtheit sich über
das Wirkliche in seiner Bedingtheit und in seiner zu-
fälligen Beziehung zum Auge zu erheben. Aber was
den alten Primitiven, den alten gläubigen Meistern
Gott befahl, die selbstverständliche Unbedingtheit,
die die zerstreuten Erscheinungen der Welt einigte
und band, suche das neue Künstlergeschlecht im
eigenen wieder als göttlich verstandenen »Ich«. Hart-
laub fährt fort: »Sie suchen. Wer dürfte sagen, daß
sie schon gefunden hätten! Aber steckt nicht in einer
solchen Auffassung der Freiheit, die den Geist im
Ich als ein Übersinnliches ergreift und über die
Materie setzt, ein Keim religiöser Empfindung sofern
man diesen Begriff im weiten und wörtlichen Sinne
lediglich als Gefühl des Wiederverbundenseins mit dem
Übersinnlichen, nicht unbedingt schon als Frömmigkeit,
Glaube, Heiligung des ganzen Selbstes begreift.«

Mancher religiös Empfindende wird diese Sätze
vom »göttlich verstandenen Ich« und der >Freiheit
als Keim religiöser Empfindung« als Sophismen,
wenn nicht als Schlimmeres empfinden und die Frage,
ob diese neue Art des Fühlens, Sehens und Gestaltens
in irgend einem Sinne auf die christlichen Gegen-
stände angewandt werden dürfe, entschieden ver-
neinen. Und fragt man sich, ob diese neuen Bilder
den wirklich Gläubigen, den zum christlichen Dogma
Stehenden irgend etwas sagen und bedeuten können,
ob sie geeignet sind, in Kirchen als Altarbilder oder
auch nur in den Umgängen aufgehängt zu werden,
so wird man diese Fragen ■— zwei, drei Bilder aus-
genommen — ganz entschieden verneinen müssen.
Richtig ist nur, daß die jungen Künstler, wie selbst
Dr. Hartlaub sagt, suchen; aber gefunden ist noch
verzweifelt wenig. Und wo etwas wirklich religiös
Anmutendes gefunden ist, da stammt es nicht aus
dem Geiste unserer Zeit, sondern ist alten Zeiten
nachempfunden, in denen noch echte Gläubigkeit

und Dogmenfreudigkeit die Künstler zur Gestaltung
drängte. Das gilt z. B. von Dietz Edzards Mariae
Himmelfahrt mit zwei Engeln, einer stark verinner-
lichten Darstellung des alten Vorwurfs, die denn auch
ihren Platz in einem Gotteshause, der Pfarrkirche zu
Retzschka, gefunden hat. Aber dieses Bild mit seinen
asketisch mageren schmalbrüstigen Gestalten hat nichts
zu tun mit »der Freiheit, die den Geist im Ich als
ein Übersinnliches ergreift«, nichts zu tun mit unserer
Zeit, sondern ist gotisch empfunden durch und durch.
Dasselbe gilt von Edzards Christus am Kreuz, weniger
vielleicht von der leidenden Madonna mit dem schlafen-
den Kind im Schoß. Innerlich empfunden sind diese
gotischen Werke jedenfalls. So auch Erich Waskes
Golgatha in grünlich-grauer Farbenstimmung, die
Grablegung und der Christus auf dem sturmbewegten
Meere, Bilder, die starke äußere Erregung aufweisen,
aber wohl auch innere zu bewirken vermögen. Damit
ist aber schon das Überzeugende unter den vorge-
führten Werken so gut wie erschöpft. Alles andere
ist, soweit das religiöse Empfinden gesucht wird,
mehr oder minder gesucht, erquält, es sind farbige
Versuche am ungeeigneten Gegenstand. Die Ostender
Madonna von Erich Heckel — auf zwei Zeltplanen
gemalt — ist herb empfunden, aber ärmlich und
dürftig in Farbe und Linien. Emil Noldes Bilder
aus der Legende der ägyptischen Maria sind schreiend
in den Farben. Ansprechende Stimmungsbilder mit
biblischen Szenen sind noch die Landschaft mit der
klein angedeuteten Ruhe auf der Flucht von E.
Segewitz (Karlsruhe) und der Hiob mit seinem
Kind von A. N. Pellegrini (Basel). Noch können
Carl Caspars Johannes auf Patmos und sein
dreiteiliges Leiden Christi, Jagerspachers Aufer-
stehung und Weißgerbers klagender Jeremias ge-
nannt werden. Farbig und im Rhythmus der Linien
vermag auch noch der Fall unter dem Kreuz von
Josef Eberz etwas zu sagen. Weitere Gemälde be-
weisen schließlich nur, wie würdelos gewisse Maler
an die religiösen Gegenstände im Bewußtsein ihres
Ich herantreten.

Besser als die Malerei vermögen sich die graphi-
schen Verfahren mit den religiösen Gegenständen ab-
zufinden. Wo nicht die Farbe als Selbstzweck er-
scheinen kann, sind die Künstler doch mehr ge-
zwungen, auf das Wesentliche und Innerliche einzu-
gehen, und so wird man Walter Klemms Lukas-
Evangelium in Holzschnitt und Carl Caspars Passion
in Steindruck größere Berechtigung zugestehen dürfen,
sich als religiöse Kunst zu bezeichnen. In der Hauptsache
aber hat die moderne Kunst zunächst noch auf diesem
Gebiete einen elenden Schiffbruch erlitten. ^
(Fortsetzung des Dresdner Briefes folgt)

AUSSTELLUNG
DER FREIEN SEZESSION BERLIN

Zum Geleit gibt auf 47 Seiten der Katalog der
Ausstellung literarische Beiträge von ungefähr einem
Dutzend Autoren. Eine Art Leseraumersatz. Gute und
bekannte Namen kritisieren und ästhetisieren über die
 
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