KUNSTCHRONIK
Neue Folge. XXIX. Jahrgang 1917/1918 Nr. 4. 26. Oktober 1917
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 10 Mark
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an e. A Seemann, Leipzig, Hospitalstr.ila.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
FRANZ KUGLER,
PREUSSENS ERSTER KUNSTDEZERNENT
Von Wilhelm Waetzoldt
Vor hundert Jahren wurde das Preußische Kultus-
ministerium gebildet und am 3. November 1817 Karl
Freiherrn v. Stein zum Altenstein unterstellt. Eine
Geschichte dieser Zentralbehörde würde ein lehrreiches
Bild aus der inneren Politik Preußens und seiner Ver-
waltung geben, soweit sie Kirche und Schule, Wissen-
schaft und Kunst betrifft. Im Rahmen einer solchen
Geschichte müßte auch das Wirken des Mannes seine
Stelle finden, der, vielseitig begabt und in verschie-
denen Lebensweisen tätig, als erster das Dezernat für
Kunstangelegenheiten in Händen gehabt hat. Das
Ministerialjubiläum lenkt den Blick auf Franz Kugler,
den Beamten.
Als der junge, aus Stettin kommende Student der
Philologie beim alten Schadow sich zum Zeichenunter-
richt anmeldete, faßte dieser statt jeder Antwort den
Kopf des Jünglings fest ins Auge, betastete dann den
Schädel und bat schließlich um erneuten Besuch, um
die auffallende Kopfform zu messen. Dieses mächtige,
schöngewölbte Haupt, wie es Bernhard Afingers Büste
vor dem neuen Museum zeigt, gehörte einem Men-
schen, der nicht im Spezialistentum aufgegangen ist,
sondern Totalität besessen hat, sowohl in Breite und
Tiefe des Wissens als mehr noch in Gleichmaß und
Fülle der Kräfte und Anlagen.
Aus dem hübschen Knaben, der auf Land- und
Wasserausflügen sentimentale Waldhornweisen über
Pommerns stille Flüsse blies, aus dem Konfirmanden,
der für seine Kirche unverzagt einen Christuskopf
kopierte, aus dem Jüngling, der von Heine, Uhland
und Eichendorff entflammt, das Lied: »An der Saale
hellem Strande« gedichtet und unter F. H. von der
Hagens Leitung deutsche Minnesänger gelesen und
Miniaturen durchgepaust hatte, war in Berlin ein
Gelehrter geworden, dem die junge Kunstwissenschaft
ihre ersten Handbücher und eine bahnbrechende Dar-
stellung des romanischen Stiles in Sachsen, dem das
deutsche Volk die wahrhaft volkstümliche Geschichte
Friedrichs des Großen zu danken hatten. Fünfund-
dreißigjährig wurde Kugler, damals Professor an der
Akademie der Künste, von dem zweiten preußischen
Kultusminister A. Friedrich von Eichhorn im Jahre 1843
in das preußische Kultusministerium berufen, in dem
er das Kunstreferat verwaltete, 1849 zum Vortragenden
Rat aufrückte und bis zu seinem frühen Tode 1858
rastlos tätig war. Diese fünfzehn Jahre bezeichnen
die Höhe seines Lebens und seiner Schaffenskraft.
Kugler hatte das Glück, allmählich um seine liebens-
würdige, von geheimrätlicher Würde nicht ganz freie I
Person eine Schar schöpferischer, geist- und lebens-
voller Freunde und Schüler zu versammeln, zu denen
Jacob Burckhardt, Fritz Eggers, Wilhelm Lübke, Richard
Lucae, Theodor Fontane und andere gehörten. Paul
Heyse, der als Student in diesen Kreis eintrat, hat in
seinen »Jugenderinnerungen« die zwanglose, in allem
Äußeren bescheidene, in allen geistigen Dingen wähle-
rische Geselligkeit im Hause seines späteren Schwieger-
vaters anschaulich geschildert. —
Die Aufgabe, die im Kultusministerium des ersten
Kunstdezernenten wartete, war groß: »es galt« — so
hat Kugler selbst sie formuliert — »die äußeren Ver-
hältnisse der Kunst, ihre Stellung zum Leben und im
Leben, die Forderungen des Künstlers an die Außen-
welt und die Forderungen dieser an ihn, zu erwägen
und an der Ordnung dieser Verhältnisse mitzuarbeiten.«
An eine wirkliche Organisation der Kunstangelegen-
heiten war nur zu ilrnk°n auf der Grundlage reicher,
auch das Ausland umfassender Erfahrungen. Eine
weitsichtige Verwaltung schickte Kugler daher 1845
weg vom grünen Tisch in die Welt, von den Akten
zu den lebendigen Dingen; Kugler hatte den Auftrag,
sich in Frankreich und Belgien, in zweiter Linie in
England und Italien, über die Fragen der staatlichen
Kunstpflege und Kunstförderung zu unterrichten.
Seinen umfangreichen Reisebericht legte er 1846 unter
dem Titel vor: Ȇber die Anstalten und Einrichtungen
zur Förderung der bildenden Künste und der Conser-
vation der Kunstdenkmäler in Frankreich und Belgien.«
Sein Lob und seine Kritik der romanischen Kunst-
verhältnisse zeigen einen freien, weder in Chauvinis-
mus, noch in blinder Verehrung des Fremdländischen
befangenen Geist. Kugler erkannte die Bedeutung des
durchgebildeten, geschmackvollen und auf alter Tradi-
tion beruhenden französischen Kunsthandwerkes an
und wußte den Wert der für die Ausbildung der
Handwerker vorhandenen Schulen einzuschätzen.
Heute, wo »die Zukunft der Vorbildung unserer
Künstler« wieder eine Streitfrage bildet, interessiert
es, daß Kugler mehr noch als mit den französischen
mit den damaligen Verhältnissen in Belgien sym-
pathisierte, weil dort eine ausgesprochen dezentrali-
sierende Tendenz herrschte, die den alten städtischen
Gemeinwesen größte Selbständigkeit in Fragen des
Kunstunterrichtes ließ, vor allem aber wegen der in
Belgien herrschenden Abneigung gegen »akademische
Oberherrschaft« und wegen des Festhaltens an einer
für Handwerker und Künstler gemeinsamen Erziehungs-
grundlage. Kuglers Kritik traf freimütig das der
Nationalleidenschaft der »Gloire« entsprechende aus-
gebildete Konkurrenzwesen, das den Unterricht an den
französischen Kunstschulen und Akademien tyrannisiert,
wobei es charakteristisch ist, daß mit den großen Prei-
Neue Folge. XXIX. Jahrgang 1917/1918 Nr. 4. 26. Oktober 1917
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 10 Mark
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leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an e. A Seemann, Leipzig, Hospitalstr.ila.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
FRANZ KUGLER,
PREUSSENS ERSTER KUNSTDEZERNENT
Von Wilhelm Waetzoldt
Vor hundert Jahren wurde das Preußische Kultus-
ministerium gebildet und am 3. November 1817 Karl
Freiherrn v. Stein zum Altenstein unterstellt. Eine
Geschichte dieser Zentralbehörde würde ein lehrreiches
Bild aus der inneren Politik Preußens und seiner Ver-
waltung geben, soweit sie Kirche und Schule, Wissen-
schaft und Kunst betrifft. Im Rahmen einer solchen
Geschichte müßte auch das Wirken des Mannes seine
Stelle finden, der, vielseitig begabt und in verschie-
denen Lebensweisen tätig, als erster das Dezernat für
Kunstangelegenheiten in Händen gehabt hat. Das
Ministerialjubiläum lenkt den Blick auf Franz Kugler,
den Beamten.
Als der junge, aus Stettin kommende Student der
Philologie beim alten Schadow sich zum Zeichenunter-
richt anmeldete, faßte dieser statt jeder Antwort den
Kopf des Jünglings fest ins Auge, betastete dann den
Schädel und bat schließlich um erneuten Besuch, um
die auffallende Kopfform zu messen. Dieses mächtige,
schöngewölbte Haupt, wie es Bernhard Afingers Büste
vor dem neuen Museum zeigt, gehörte einem Men-
schen, der nicht im Spezialistentum aufgegangen ist,
sondern Totalität besessen hat, sowohl in Breite und
Tiefe des Wissens als mehr noch in Gleichmaß und
Fülle der Kräfte und Anlagen.
Aus dem hübschen Knaben, der auf Land- und
Wasserausflügen sentimentale Waldhornweisen über
Pommerns stille Flüsse blies, aus dem Konfirmanden,
der für seine Kirche unverzagt einen Christuskopf
kopierte, aus dem Jüngling, der von Heine, Uhland
und Eichendorff entflammt, das Lied: »An der Saale
hellem Strande« gedichtet und unter F. H. von der
Hagens Leitung deutsche Minnesänger gelesen und
Miniaturen durchgepaust hatte, war in Berlin ein
Gelehrter geworden, dem die junge Kunstwissenschaft
ihre ersten Handbücher und eine bahnbrechende Dar-
stellung des romanischen Stiles in Sachsen, dem das
deutsche Volk die wahrhaft volkstümliche Geschichte
Friedrichs des Großen zu danken hatten. Fünfund-
dreißigjährig wurde Kugler, damals Professor an der
Akademie der Künste, von dem zweiten preußischen
Kultusminister A. Friedrich von Eichhorn im Jahre 1843
in das preußische Kultusministerium berufen, in dem
er das Kunstreferat verwaltete, 1849 zum Vortragenden
Rat aufrückte und bis zu seinem frühen Tode 1858
rastlos tätig war. Diese fünfzehn Jahre bezeichnen
die Höhe seines Lebens und seiner Schaffenskraft.
Kugler hatte das Glück, allmählich um seine liebens-
würdige, von geheimrätlicher Würde nicht ganz freie I
Person eine Schar schöpferischer, geist- und lebens-
voller Freunde und Schüler zu versammeln, zu denen
Jacob Burckhardt, Fritz Eggers, Wilhelm Lübke, Richard
Lucae, Theodor Fontane und andere gehörten. Paul
Heyse, der als Student in diesen Kreis eintrat, hat in
seinen »Jugenderinnerungen« die zwanglose, in allem
Äußeren bescheidene, in allen geistigen Dingen wähle-
rische Geselligkeit im Hause seines späteren Schwieger-
vaters anschaulich geschildert. —
Die Aufgabe, die im Kultusministerium des ersten
Kunstdezernenten wartete, war groß: »es galt« — so
hat Kugler selbst sie formuliert — »die äußeren Ver-
hältnisse der Kunst, ihre Stellung zum Leben und im
Leben, die Forderungen des Künstlers an die Außen-
welt und die Forderungen dieser an ihn, zu erwägen
und an der Ordnung dieser Verhältnisse mitzuarbeiten.«
An eine wirkliche Organisation der Kunstangelegen-
heiten war nur zu ilrnk°n auf der Grundlage reicher,
auch das Ausland umfassender Erfahrungen. Eine
weitsichtige Verwaltung schickte Kugler daher 1845
weg vom grünen Tisch in die Welt, von den Akten
zu den lebendigen Dingen; Kugler hatte den Auftrag,
sich in Frankreich und Belgien, in zweiter Linie in
England und Italien, über die Fragen der staatlichen
Kunstpflege und Kunstförderung zu unterrichten.
Seinen umfangreichen Reisebericht legte er 1846 unter
dem Titel vor: Ȇber die Anstalten und Einrichtungen
zur Förderung der bildenden Künste und der Conser-
vation der Kunstdenkmäler in Frankreich und Belgien.«
Sein Lob und seine Kritik der romanischen Kunst-
verhältnisse zeigen einen freien, weder in Chauvinis-
mus, noch in blinder Verehrung des Fremdländischen
befangenen Geist. Kugler erkannte die Bedeutung des
durchgebildeten, geschmackvollen und auf alter Tradi-
tion beruhenden französischen Kunsthandwerkes an
und wußte den Wert der für die Ausbildung der
Handwerker vorhandenen Schulen einzuschätzen.
Heute, wo »die Zukunft der Vorbildung unserer
Künstler« wieder eine Streitfrage bildet, interessiert
es, daß Kugler mehr noch als mit den französischen
mit den damaligen Verhältnissen in Belgien sym-
pathisierte, weil dort eine ausgesprochen dezentrali-
sierende Tendenz herrschte, die den alten städtischen
Gemeinwesen größte Selbständigkeit in Fragen des
Kunstunterrichtes ließ, vor allem aber wegen der in
Belgien herrschenden Abneigung gegen »akademische
Oberherrschaft« und wegen des Festhaltens an einer
für Handwerker und Künstler gemeinsamen Erziehungs-
grundlage. Kuglers Kritik traf freimütig das der
Nationalleidenschaft der »Gloire« entsprechende aus-
gebildete Konkurrenzwesen, das den Unterricht an den
französischen Kunstschulen und Akademien tyrannisiert,
wobei es charakteristisch ist, daß mit den großen Prei-