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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Kurth, W.: Berliner Ausstellungen
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Voigtländer, Emmy: Zur Italienreise Grünewalds
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https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0104

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Berliner Ausstellungen — Zur Italienreise Grunewalds

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bedacht sein, die wir auch in den geringsten Studien
treffen und die auch ein anderes Bild, den »Schmetter-
lingsfänger« auszeichnet. Von Klinger sieht man das
bekannte Frühbild einer Ansicht Roms in hellstem
Freilicht und von Stuck, nicht ohne aufrichtiges Be-
dauern um die verklungenen Tage seiner guten Zeit,
den schönen »Ovid«. Auch Corinths Wildstilleben aus
dem Jahre 1910 weckt mit seiner reifen Meisterschaft
etwas, das wie Erinnerung klingt. Der starke Wille, die
Folge von weichen Tierfellen im hellen Licht nicht
nur als ein geschmeidiges malerisches Ensemble, son-
dern als wirkliche Existenz zu fassen, verbindet sich
hier mit einer Schönheit der Farbe und einer Ge-
schlossenheit des Tons, die etwas Altmeisterliches be-
sitzt. Ein frühes Bildnis einer Frau mit Korallen-
kette, 1889, in der Haltung noch etwas modellhaft,
bereitet aber in der störrischen Kraft schon auf den
nicht ganz einfachen Entwicklungsgang des Meisters
vor, der aber gerade darum wohl bessere Ziele fand
als der leichte von Stuck.

Im Salon Cassirer zeigt Ulrich Hübner eine Kollek-
tivausstellung. Ohne besondere Kenntnis der Jugend-
entwicklung dieses Künstlers gewinnt doch gerade
angesichts dieser Ausstellung, meist Werke der letzten
Zeit, das Empfinden deutlicheren Gehalt, daß ihm,
kurzen Wortes, die Dinge zu leicht gefallen sind.
Denn nicht möchte man glauben, daß dieses glück-
liche Temperament, das überall wohl seinen Stoff
finden würde und dem Travemünde und Potsdamer
Havel- und Parkgegend keine besonderen Bekennt-
nisse entlocken, aus übermütiger Bildlust sich den
Weg zum Erlebnis so glatt und leicht gemacht hat.
Schon seine Komposition holt gefällig das »Motiv«
heraus, und das malerische Erlebnis haftet meist am
interessanten Gegensatz von Schwarz und Weiß, auf
den die Farbe oft nur kolorierend zugetan wird, so
daß sie leicht einen kunstgewerblichen Charakter be-
kommt, wenn sie die rote Einfassung eines gelben
Hauses mit grünen Läden interpretiert. Mit einem
bengalischen Licht, einer anilinhaltigen Farbe wird
man uns schwer die Reize des Parks von Sanssouci
nahebringen; und Potsdams Nikolaikuppel im Blau-
nebel von Monet gesehen und Lübecks Dom in Farben
umrissen von Münch könnten das glückliche Tempe-
rament in Gefahr bringen. Man darf hoffen, daß der
Künstler die Ruhe der Anschauung und die Qualität der
Beobachtung, die wir in seinen früheren Arbeiten schätzen
gelernt haben, wiedergewinnt. w. KURTH.

ZUR ITALIENREISE GRÜNEWALDS

Von Dr. Emmy Voiotländer

Der Umstand, daß vor kurzem (in Nr. 7 der
Unterhaltungsbeilage der Täglichen Rundschau) dem
größeren Publikum einer Tageszeitung die Italienreise
Grünewalds als sichere Tatsache vorgesetzt wurde,
läßt eine erneute Untersuchung dieser Behauptung,
die von Hagen in Kunstchronik N. F. XXVIII. 73 ff.,
341 ff., 368, 413 bisher unwidersprochen aufgestellt
wurde, berechtigt erscheinen. Hauptstütze des Be-

weises ist die »Übereinstimmung« der Figuren des
Schergen in der Münchner Geißelung Christi und des
Henkers aus der Predella des Pesello in Florenz,
die Grünewald damals in St. Croce gesehen haben
könnte. Ist nun tatsächlich die Übereinstimmung der
Figuren so zwingend, daß sich die Figur Grünewalds
auf keine andere Weise erklären und herleiten ließe?
Zugegeben bleibt die äußere Ähnlichkeit der Bein-
stellung und der Kopfhaltung. Ein genaueres Ein-
gehen aber auf die Entwicklung dieser scheinbar
ähnlichen Stellungen ergibt ganz grundlegende Unter-
schiede. Bei Grünewald ist sie aus dem Schreiten.
entwickelt, bei Pesellino aus dem Stehen. Der Henker
steht parallel zur vorderen Bildfläche, holt nach rechts
hin zum Schlag aus und wirft dementsprechend sein
Körpergewicht nach dieser Seite, so daß das linke
Bein entlastet wird. Mit vollzogener Tat wird er
wieder in die Ausgangsstellung zurückkehren. Der
Scherge Grünewalds tritt mit einem mächtigen Satz
über die Füße Christi hinweg schräg in den Bild-
raum von vorne aus hinein, durch die Wucht des
Schrittes knickt die ganze rechte Körperhälfte in
scharfer Gegenbewegung von Oberkörper und Knie
in sich zusammen. Die andere Armhaltung als bei
Pesellino ist durchaus nicht belanglos, sondern be-
dingt eine viel schärfere Drehung des Rückens nach
links. Der Scherge wird sich weiter bewegen, und
sein Opfer mitzerren mit der linken Hand, die Rechte
ist bereit, mit dem Ende des Strickes zuzuschlagen.
Die ganze Gestalt ist von solch einheitlichem wilden
Schwung erfüllt, und so elastisch durchfedert, daß es
kaum wahrscheinlich erscheint, daß Grünewald sich
die Anregung zu seiner Bewegungsfigur von einer
Standfigur holen mußte. Als ebensowenig genügende
Unterlage für eine zwingende Annahme, daß Grüne-
wald das Bild von Pesello unbedingt gesehen haben
muß, ergeben sich die anderen Übereinstimmungen.
Es ist vielmehr nichts in dem Bild, was sich nicht
viel ungezwungener aus deutscher Tradition und so-
gar aus bestimmten deutschen Bildern erklären ließe,
wenn denn durchaus nach Vorbildern gesucht werden
muß. So erhebt in der rechten hinteren Ecke der
Kreuztragung Christi aus dem Frankfurter Altar von
Holbein d. Ä. ein Geselle den Arm zum Schlage,
»sodaß Unterarm und Brust unter eine gemeinsame
gerade Linie gebracht werden«. Man braucht also
nicht nach Florenz zu gehen, um für den schlagen-
den Schergen links bei Grünewald das Vorbild zu
suchen. In anderen Passionsbildern Holbeins, wie
dem Donaueschinger Altar, schlagen sie sogar mit
beiden Armen in dieser Weise los. In der Geiße-
lung in Donaueschingen finden sich rechts an ent-
sprechender Stelle wie bei Grünewald zwei ruhig
stehende Figuren; ebenfalls ein behäbiger Mann und
einer mit einem Turban, der jenem die Hand auf
die Schulter legt. Auch das Format der Bildtafel,
ihre gedrängte Füllung mit aus dem Dunkeln ent-
wickelten Figuren, das charakteristische Durchein-
anderhuschen der Beine, sind alles Bildelemente, die
sich insbesondere bei Holbein d. Ä. finden, den
H. A. Schmid ja auch als Lehrer Grünewalds hin-
 
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