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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Hagen, Oskar: Einheit der künstlerischen Persönlichkeit, Grünewald, Italien: ein kritischer Diskurs über Stilbildungsfaktoren
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https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0130

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235

Einheit der künstlerischen Persönlichkeit, Orünewald, Italien — Nekrologe

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Untersuchung, auf das ich nun noch einmal zurückkomme.
Ich war davon ausgegangen, daß die Gesamtkonfigura-
tion der beiden in Frage stehenden Bilder — welche die
Übereinstimmung um so zwingender erscheinen läßt, als
sie in Deutschland völlig neu, in Italien prinzipiell gewöhn-
lich ist— beweisende Kraft habe; daß diese unterstützt werde
durch die zahlreichen Italianismen in Grünewalds übrigen
Werken und andere Anzeichen, welche einen Aufenthalt
im Süden höchst wahrscheinlich machen. Die Abweichungen
gegenüber dem Florentiner Vorbild erklären sich teils aus
der Auseinandersetzung, teils aus dem Erinnerungsbild,
teils aus dem veränderten Motiv (auf das ich sehr nach-
drücklich hingewiesen habe, was aber die Autorin, wie so
vieles, ignoriert). Frl. Dr. Voigtländer aber rollt nun noch
Holbein auf. Die deutsche Tradition; das sei doch »viel
ungezwungener«.

Ja wer bestreitet denn die Mitwirkung der deutschen
Tradition!? Hätte die Dame meine Ausführung richtig
verstanden, so hätte ihr doch der entscheidende Passus
Aufklärung genug geben können. Ich wiederhole also:
Wir kennen kein Werk, das vor Italien entstanden ist.
Sogleich die allerersten Werke seiner Hand 'zeigen uns
also Grünewald als einen, der mit der Synthese von ur-
tümlich Ererbtem, daheim wie auf der Wanderschaft Er-
worbenem und Genieeigenstem bereits soweit fertig ist,
daß seine Entwicklung von nun ab in festen Bahnen ist.
Hierauf beruht der imponierende einheitliche Charakter für
unser Auge vor allem, von dem Frl. Dr. Voigtländer sich tren-
nen zu müssen fürchtet, wenn sie, unvoreingenommen,einem
einfach-sachlichen, direkten und analogischen Vernunftschluß,
dessen sämtliche Prämissen bis auf die Schlußsteine, die
eine logische Verknüpfung endlich gestatten, a priori ge-
geben sind. Würde uns der Zufall ein voritalienisches
Werk in die Hände spielen, so fürchte ich, würde sie nun
nicht etwa der Behauptung, er wäre in Italien gewesen,

1) Ja, wer der Holbeinfrage in chronologisch-geogra-
phischer Beziehung nachgeht, wird die Italienreise vielleicht
gerade durch die eigenartige Folgerichtigkeit, mit der die
allmählich und unabhängig voneinander gewonnenen
Forschungsergebnisse ineinandergreifen, für notwendig er-
achten. Die Verspottung hat Grünewald 1503 in der
Frankfurter-Mainzer Gegend gemalt. Nebeneinander er-
scheinen darin italienische und holbeinische Einflüsse. Auch
ist der Zwanzigjährige nicht im Alter eines »Lehrbuben«.
Glaser hat sogar von umgekehrter Beeinflussung Holbeins
durch Grünewald als dem entscheidenden Resultat des
Zusammentreffens der beiden gesprochen. Durchaus mög-
lich ! Danach sitzt die Holbeingewöhnung so fest bei
Grünewald und hält so lange vor, ist jetzt bereits so mit
Eigenenf durchsetzt, daß man sagen muß: Grünewald muß
in Augsburg bereits bei Holbein gelernt haben. Als
Fünfzehn-^ bis Sechzehnjähriger war er wohl lehrfähig, und
Aschaffenburg selbst besaß keine ausreichende Maler-
tradition. Nehmen wir an, daß der Junge die üblichen
drei Jahre etwa in Augsburg blieb, so kommen wir
mit dem Ende gerade in die Zeit, wo Holbein seine Werk-
statt'auflöst und rheinabwärts fährt! Die Gelegenheit zur
Gesellschaft war da; Augsburg war ferner der Haupt-
ausgangspunkt der direkten Verkehrsstraße nach Ober-
italien; Dürers eben erscheinende Holzschnitte konnten
zeigen, was die neue Reiseroute an Vorteilen bot; das
Jubeljahr, tmit j seinem Ablaß lockte. — Daß Grünewald
dann zunächst nach der Heimkehr in seine Heimatgegend
ging,^ liegt nahe. Und so war es auch natürlich, daß er
als junger Meister seinem Lehrer Proben ablegte und mit
ihm in Frankfurt zusammenarbeitete.

zustimmen, sondern sie würde erst recht behaupten, daß
dieses nun gewiß anders geartete Werk jedem Begriff von
der Einheit der künstlerischen Persönlichkeit widerspreche!

Ich wiederhole deshalb noch einmal: Es ist nicht wie
bei Dürer, wo man den Ruck spürt, den der Eintritt in
die fremde Welt mit sich bringt. Der in die Gotik hinein-
klingende Fremdton fehlt bei Grünewald, weil Italien hinter
ihm liegt, ehe wir ihn kennen lernen.

Käme es auf die Einzelfigur an, so läge allerdings
Holbein näher als Pesello; da das aber nicht der Fall ist,
jede Beeinflussungsuntersuchung von den Abweichungen,
nicht von dem Normalen in dem Werke auszugehen hat,
so ist es nur natürlich, daß er die italienischen Figuren
nach seiner oder auch Holbeins Art umstilisiert. Ja, ich
stehe nicht an, zu vermuten, daß die äußere Ähnlichkeit,
welche ja auch zwischen einigen Holbein- oder Breufiguren
und den Florentinern bestehen, für Grünewald ebenfalls Anlaß
gegeben haben mögen, das Pesellobild genauer in Augen-
schein zu nehmen. Daß der Holbeinkreis auch in farben-
technischem oder sonst handwerklich Erlernbarem mitspricht,
habe ich nie bestritten; denn das ist selbstverständlich.1)
Aber ich möchte doch — abermals unter Hinweis auf die
von meiner Kontrahentin geflissentlich übersehene, einzig-
artige Gesamtkomposition — gern wissen, wie die »unge-
zwungene« Erklärung aus »Holbein minus Pesello« eigent-
lich aussehen soll! Es bleibt nämlich vernunftgemäß
nach Ausschaltung Italiens nur diese Möglichkeit: Die
Komposition ist Grünewalds geistiges Eigentum. Ein
Resultat der Figuren kann sie nicht sein. Denn Frl. Dr. Voigt-
länder möchte nun ihren Grünewald aus den heterogensten
Werken Holbeins und seiner Schule hier die eine, da die
andere Figur herauslesen lassen; daß deren Kopulation
immer noch keine für Deutschland neue Komposition von
der einfachen Sicherheit einer italienischen ergäbe, liegt ja
wohl auf der Hand. Und so bliebe denn nur übrig, daß
der Maler bloß ein vages, dekoratives Schema erfunden
und da seine Musterkollektion nach besten Kräften hinein-
gestopft habe.

Wer sich einmal klar gemacht hat, wie ganz und gar
Grünewald (im Gegensatz zu Dürer) aus der Vorstellung
eines Gesamt erlebnisses schafft, das bei freien Erfindungen
als Ganzes da ist, noch ehe die Teile recht erkennbar sind,
dem wird auch der Pesello-Fall und damit die italienische
Reise so ungezwungen und selbstverständlich wie möglich
erscheinen. Die Erinnerung an eine psychologische Aus-
drucksschilderung ruft ihm anläßlich einer seelisch ähnlich
begründeten Aufgabe das Gesehene auch als Form zurück,
und die Ausführung erfolgt auf seine Art, in der noch ein
Teil von Holbein lebt. Das stimmt sowohl zu der Origi-
nalität wie zu der Jugend Grünewalds. Daran werden
weder »grundlegende Unterschiede« noch »andrer Sinn der
Figuren« etwas ändern. Über Aschaffenburg zu reden
habe ich andernorts Gelegenheit.

NEKROLOGE

Georg Papperitz f. Am 26. Februar starb in Mün-
chen der Maler Georg Papperitz. Er war am 3. August
1846 in Dresden geboren, studierte an den Akademien von
Dresden und Antwerpen und bildete sich in Paris, Holland,
England und Italien weiter. In Italien machte Michelangelo
besonders starken Eindruck auf ihn und veranlaßte ihn,
sich auch der Plastik zuzuwenden. Doch hat der Künst-
ler von seinen plastischen Arbeiten wenig in der Öffent-
lichkeit sehen lassen. Nach dem Krieg von 1870/71 ließ
er sich dauernd in München nieder. Die mondänen
 
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