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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Tietze, Hans: Die Familienpapiere des Giovanni da Udine
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0151

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Die Familienpapiere des Giovanni da Udine — Nekrologe

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und schwerfällig vor uns ausbreitet; verklärend steht
hinter dem alten Philister der Künstler, der sich in
jungen Jahren ein kleines, aber unentbehrliches Glied der
stolzesten Auslese der italienischen Kunst fühlen durfte.

Diese Familienpapiere Giovanni da Udines sind
nicht tadellos erhalten. Aus dem einen Faszikel fehlt
das Testament des Malers vom 22. Februar 1660, das
Joppi a. a. O. S. 23ff. vollinhaltlich veröffentlicht hat;
daß es erst in den Wirren dieser letzten Monate ver
schwunden ist, glaube ich nicht, weil kaum jemand
auf jenem verlassenen Hausboden den Wert des Stücks
nach der Aufschrift des Umschlags »Testamente» di
Zuanne Raccamador pittor« erkannt hätte und weil
ich selbst das ganze Bündel aus einer Staubschicht
hob, die reichlich Jahre alt war. Dagegen hat eine
wüste Hand den Lederdeckel des großen Eintragbuchs
von 1542 heruntergerissen; jetzt ist es in die perga-
mentnen Vorsatzblätter eingeheftet, auf die Giovanni
allerhand Zeichnungen gekritzelt hat. Er tat es mit
zerstreuter, spielender Hand, aber doch mit der Hand
des Meisters; die hier abgebildete Studie verrät den
Künstler, der in die Loggien und andere Räume Tier-
bilder von packender Lebendigkeit ausgestreut hat.
* *

Das ganze Material wurde in der Biblioteca Com-
munale in Udine in Sicherheit gebracht.

NEKROLOGE

Am Abend des 1. April starb infolge eines Straßen-
bahnunfalls in Berlin der Herausgeber der »Internationalen
Bibliographie der Kunstwissenschaft« Dr. jur. et phil.
Ignaz Beth. 1877 zu Przibram in Böhmen geboren, ver-
lebte er seine Jugend an verschiedenen österreichischen
Orten und erhielt die ersten entscheidenden Anregungen
in Krakau, wo er als Schüler von Sokolowski sich dem
kunstgeschichtlichen Studium widmete und von den dort
zahlreich vorhandenen Denkmälern altdeutscher Kunst den
Ansporn erhielt, sich jenem Gebiete zuzuwenden, das ihn
auch später stets an erster Stelle beschäftigen sollte.

In Wien und München, vornehmlich aber an der Ber-
liner Universität unter Heinrich Wölfflin erweiterte Beth
seine altdeutschen Studien und konnte auf Grund seiner
umfassenden Materialkenntnis bald als einer der besten
Kenner auf diesem Gebiete angesehen werden. Seine
eigene künstlerische Tätigkeit, für die er neben den kunst-
historischen Studien immer noch Muße zu finden wußte,
kam seinem intuitiven Verständnis der künstlerischen Pro-
bleme sehr zugute. Der Wert seiner Arbeit über die
»Baumzeichnung in der deutschen Graphik des 15. und 16.
Jahrhunderts«, mit der er 1909 den Herman-Grimm-Preis
erhielt, beruhte zu einem großen Teil auf den von ihm
selber in Faksimile nachgebildeten Baumtypen, die in syste-
matischer Anordnung die Ausführungen des Textes anschau-
lich machen. Von seinen sonstigen Arbeiten seien die
Forschungen über Hans Dürer im »Jahrbuch der kgl.
preußischen Kunstsammlungen«, über eine Herpinhand-
schrift aus dem Kreise des Hausbuchmeisters (ebenda er-
schienen), über Cranach und Wolgemut erwähnt.

Seine altdeutschen Studien dachte er in dem von Fritz
Burger begründeten, jetzt von A. E. Brinckmann heraus-
gegebenen »Handbuch der Kunstgeschichte« abschließend
zusammenzufassen. Leider hat ihn ein zu frühes, unver-
mutetes Ableben daran gehindert, über die ersten Lieferungen
hinauszukommen. Was von seinem Abschnitt: »Oberdeutsch-

land im 15. und 16. Jahrhundert« fertig geworden ist, be-
handelt die bodenständigen Anfänge des schwäbischen
Naturalismus im 15. Jahrhundert, insbesondere bei Hans
Multscher, Lucas Moser und Konrad Witz. Die lebendige,
von starker künstlerischer Empfindung getragene Dar-
stellungsweise in diesen Kapiteln läßt es außerordentlich
bedauern, daß es Beth nicht vergönnt sein sollte, das ihm
besonders am Herzen liegende Manuskript abzuschließen.

Mit großer Selbstverleugnung und Liebe zur Sache
hat Beth einige Jahre lang die Herausgabe der »Inter-
nationalen Bibliographie der Kunstwissenschaft« besorgt,
leider nicht ohne erhebliche Einbuße an Zeit und Arbeits-
kraft für seine eigentliche, schaffende Tätigkeit als Forscher
und Künstler. Der große, eigene Reiz, der von seiner
Persönlichkeit ausging, wäre allerdings nicht zu erklären
ohne dies Moment einer bis zum Sprunghaften und Sonder-
baren gesteigerten Lebendigkeit und Vielseitigkeit seiner
Interessen und Impulse. Als Mensch paßte er in keines
der herkömmlichen Schemen, weder in das des Gelehrten
noch in jenes des schaffenden Künstlers. Fremden Ein-
drücken leicht zugänglich und fortwährend nach allen
Richtungen angeregt und in Bewegung gehalten durch die
ihn umgebende Welt, war er seinerseits in der Rück-
wirkung auf diese Umgebung eine der anregendsten und
reichsten Naturen, voll von einem ganz persönlichen, selbst-
errungenen Wissen wie von einer sprudelnden Lebensfülle
und Freude am Leben.

Als Gelehrter gab Beth sein Bestes, Intensivstes in der
Erforschung der alten Malerei und Graphik — als Menschen
aber fesselte ihn vor allem die Kunst der Lebenden in der
ganzen Vielseitigkeit und Buntheit ihrer Bestrebungen und
Persönlichkeiten. Er war kein Doktrinär, kein Parteigänger
einer bestimmten Richtung, sondern von einem ausgepräg-
ten, selbständigen-Urteil gegenüber den verschiedensten
Dingen, das von dem Üblichen und Durchschnittlichen sehr
häufig stark abwich. Vor den Paradoxen schreckte er in
künstlerischen Fragen ebensowenig wie in seinen sonstigen
Urteilen über Menschen und Verhältnisse zurück — glei-
chermaßen ausgesprochen und impulsiv in seinen Sym-
pathien wie in seinen Antipathien. Nicht allen, die ihn
als anregenden, amüsanten und witzigen Unterhalter und
Debatter schätzten, gelang es, zum Kern seiner Persönlich-
keit durchzudringen, unter dem Mantel seiher Paradoxe,
Bizarrerien und geistreichen Launen den zuverlässigen, auf-
rechten und geraden Kern seines Charakters wahrzunehmen.
Nur seine unantastbare Ehrenhaftigkeit und menschliche Güte
war allgemein, selbst bei denjenigen, die ihn nur von ferne
kannten, wohlbekannt.

Die eigene Tätigkeit als Maler war dem Dahinge-
gangenen keine Angelegenheit bewußter Ambitionen irgend-
welcher Art, sondern einfach ein starkes Lebensbedürfnis,
dem er nicht in systematischer, zielbewußter Arbeit, sondern
mit einer Art periodisch einsetzender Leidenschaft, dann
aber mit der konzentrierten Energie seines starken, raschen
Wollens nachzukommen pflegte. So ist denn sein male-
risches »Werk« zwar nichts in sich Abgeschlossenes und
Gereiftes geworden, aber immerhin doch etwas, das weit
über eine bloße Liebhaberei oder besseren Dilettantismus
hinausgelangt ist. In vielen seiner Landschaftsstudien ge-
winnt ein einfaches, starkes Erleben der Natur durch eine
selbständig gewonnene, kraftvolle und rasche künstlerische
Niederschrift überzeugende Form. Beth ist als Maler
niemals mit einer größeren Kollektion von Bildern vor die
Öffentlichkeit getreten. Während seiner Pariser Studien-
zeit stehle er zweimal im Herbstsalon aus; auch in der
Berliner Sezession war er gelegentlich mit einigen Arbeiten
vertreten. Eine Gedächtnisausstellung wird gegenwärtig von
der Kunsthandlung Gurlitt vorbereitet. Hermann Voss.
 
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