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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Tietze, Hans: Otto Wagner
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Kurth, W.: Neuerwerbungen des Kupferstichkabinetts Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0166

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307

Otto Wagner f — .Neuerwerbungi

;en des Kupferstichkabinetts Berlin

308

ristische Ausbrüche abgelockt, den Wunsch, die Denk-
mäler dieser alten Kultur, deren Schatten alles Gegen-
wärtige schrecken und lähmen, vernichtet zu sehen,
um neuem Leben eine neue Bahn zu schaffen. Wer
Wien kennt, wird Wagner mit seinem unduldsamen
Radikalismus in tieferem Sinn denen gegenüber im
Rechte finden, die all seine polternden Argumente mit
spielender Dialektik widerlegen.

Dieser Haß gegen Wien war — wer könnte
daran zweifeln — ein verzerrter Widerschein heißer
Liebe. Otto Wagners Können wuchs aus einem der
besten Stücke der Wiener Bautradition heraus, und
selbst als er sich mit hartem Entschluß aus diesem
mütterlichen Boden gerissen hatte, blieb er von dessen
Kräften genährt. Seine ersten Bauten gehen wie die
Sempers von einer Anpassung von Renaissance-Ideen
an moderne Bedürfnisse aus; Großräumigkeit, Klar-
heit der Verhältnisse, Durchsichtigkeit der Gesamt-
disposition zeichnen den Künstler schon damals aus.
Nach seiner inneren Wandlung, die ihm ein Um-
bilden der Renaissancemotive zur unerträglichen Stil-
lüge machte, knüpfte er dort an, wo ihm die natür-
liche Entwicklung der Baukunst abzubrechen schien.
In den Bauten der Wiener Stadtbahn, in der Anstalts-
kirche am Steinhof und in anderen Spätwerken sind
vielfach Anregungen aus Klassizismus und Empire
fruchtbar geworden; der dem architektonischen Indi-
vidualismus an der Jahrhundertwende entsprechende
stark persönliche Bauschmuck verbrämt einen Baukern,
dessen Sinn auffallend an die Aufgaben von vor
hundert Jahren erinnert. Wie damals das Bedürfnis,
die struktiven Beziehungen des Baus nicht zu ver-
hüllen, wie damals der Drang, Architektur in den
metaphysischen Sehnsuchten der Zeit zu verankern,
den tastenden Einzelgeschmack zum künstlerischen
Ausdruck der Gemeinschaft zu erhöhen; wie damals
empfing das Bauen aus Ehrlichkeit und Größe sein
ethisches Unterpfand. Otto Wagners Bauten sind voll
dieser Ehrlichkeit und Größe; die klare Überein-
stimmung von Grundriß, Aufbau und Raumverteilung,
die Betonung des Baugerippes machen sich nun
schärfer geltend als früher, aber was im Grau der
Theorie so unfruchtbar erscheint, wirkt im wärmeren
Lichte der Wirklichkeit doch ganz anders lebendig.
Auch diese späten Bauten Otto Wagners gewinnen
ihren wahren künstlerischen Wert aus der Echtlötig-
keit seiner Persönlichkeit, in der die heimatliche
Tradition, völlig zu neuer Fruchtbarkeit umgewandelt,
unter allem Bewußtsein mitschuf. Wie könnte es
sonst sein, daß jedes seiner reifen Werke wie ein
Stück Selbstverständlichkeit in den Wiener Boden ein-
gewachsen ist; die Bahnhofgebäude der Stadtbahn
wirkten von Anbeginn an trotz der Originalität
mancher Eisenkonstruktion und des »Jugendstils«
ihrer Ornamentik so bodemtändig wie die Alt-Wiener
Zinshöfe und die Biedermeierlandhäuser der Vororte;
die Nadelwehr in Nußdorf, das Postsparkassengebäude,
die kühn aufstrebende Kuppelkirche auf dem Steinhof
sind längst neue Wahrzeichen Wiens geworden. Daß
ihre Neuheit gelegentlich einen volkstümlichen Spott-
namen herausforderte, beweist gerade, daß sie das

Volk als innerlich zugehörig empfand und daß in
ihnen — weil sie eben nicht knechtische Nachahmung
schon bestehender Formen sind — der Geist der
Stadt wieder einmal künstlerisch fruchtbar geworden
ist. Der Bürgermeister Dr. Lueger, von dem man
sagte, daß er diesen Geist bis in seine verborgensten
Falten hinein kenne, hat Otto Wagner mächtig ge-
fördert und seine Kraft zur Erneuerung der Stadt
herangezogen; die nach ihm kamen, haben diesen
Reichtum — sehr zum Schaden Wiens — ungenützt
verkümmern lassen. Was er erdachte, der wachsenden
Großstadt die künftigen Züge sinnvoll vorzuzeichnen,
ist auf dem Papier geblieben. HANS TIETZE.

NEUERWERBUNGEN
DES KUPFERSTICHKABINETTS BERLIN

Das Kupferstichkabinett in Berlin stellt von seinen
Erwerbungen des letzten Jahres eine ansehnliche Reihe
bedeutender Zeichnungen alter Meister aus. Von den
Zeichnungen der deutschen Schule interessieren be-
sonders zwei Zeichnungen von Wolf Huber. In der
Ansicht einer Stadt hat die romantisierende Phantasie
Hubers das topographische Stadtbild so verklärt, daß
die letzten realen Merkmale der dreiseitigen Um-
gebung von Wasser und einer großen Holzbrücke,
wie sie aus der Florianslegende Altdorfers bekannt ist,
den Namen Passau nur mit Vorsicht zu nennen er-
lauben. Datiert aus dem Jahre 1542 und mit jener
fliegenden Feder hingeschrieben, die im verwegenen
Spiel die Statik der Objekte herausfordert, erreicht der
Meister auf diesem Blatt durch breite Lasuren eine
malerische Geschlossenheit und eine koloristische
Inszenierung wie besonders in den zentrifugalen
Lichtgarben der untergehenden Sonne, die bisher in
seinen Naturstudien nicht bekannt war. Mit breiten
Tonlagen das Licht auf dem Papier einzufangen, ist
mehr die Technik seiner Kompositionsskizzen, während
die Naturstudien mit einer krausen Umrißlinie aus-
kommen. Die zweite Zeichnung, Christus in Geth-
semane, hat die breiten Tonlagen und das schüttende
Licht seiner bekannten Skizzen auf farbigem Papier
mit Weißhöhung. Interessante Arbeiten, darunter eine
Venus mit Amor von Peter Floetner in seiner kühl
abwägenden Strichführung, von Beham, N. M. Deutsch
reihen sich an. Von niederländischen Zeichnungen
aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, für die ein
steigendes Interesse zu bemerken ist, konnte das Kabinett
die sehr wertvolle Zeichnung einer großen Kompo-
sition von J. Gossaert erwerben. Der energischen
Gruppierung von Reitern und Fußvolk in dieser Be-
kehrung Pauli an den Rändern mit der einsinkenden
Mitte wird die noch rein lineare Technik Gossaerts
ohne jede lasierende Bindung ebenso gerecht wie der
reich bewegten Detailform. Für die affektvolle Sprache
seiner Gebärden häuft Gossaert in seiner Linie Kurve
auf Kurve, deren Spiel dann in manchen ornamen-
talen Beigaben freieres Feld gegeben wird. Es gewinnt
überhaupt den Anschein, daß, entgegen der deutschen
Zeichnungstechnik um die Mitte des 16. Jahrhunderts,
die niederländische, obwohl sie kaum über das
 
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