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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Ring, Grete: Zu Jan van Scorels Obervellacher Altar
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.6188#0180

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335

Zu Jan van Scorels Obervellacher Altar — Nekrologe — Vermischtes

336

hat eine Reihe der späteren Porträts und Historien-
bilder vom Werk des Scorel abzuspalten versucht.
Abgesehen davon, daß ein Teil der Spätwerke
gesichert ist — die Darstellung im Tempel z. B. durch
Beschreibung bei van Mander — heißt ein solcher
Schnitt den Werdegang eines Übergangsmeisters von
der Art des Scorel von Grund auf mißverstehen.
Es ist gerade das Bezeichnende dieses ersten nordischen
Romanistengeschlechts, daß, während Stilwandlungen
von so grundlegender Bedeutung sonst die Grenze
zweier Generationen angeben, sie sich hier innerhalb
des Entwicklungsganges ein und desselben Meisters
abspielen. Scorels romanistische Bilder streichen,
heißt — wie schon Cohen mit Recht betont (Zeitschr.
f. bild. Kunst. N. F. XXV, p. 32) — an vierzig Jahre
seiner Wirksamkeit ignorieren. Ich wage mich noch
weiter als Cohen, indem ich versuche, dem Meister
das Kasseler Familienbild und das Porträtpaar des P.
Bicker und seiner Gattin (bei Baron Schimmelpenninck
auf Haus de Poll bei Voorst) zurückzugewinnen. Die
Bestimmung auf Heemskerck hat sich als unzu-
treffend erwiesen (vergl. auch Preibisz, Martin van
Heemskerck 1911, p. 110, Anm. 65, zu dem Kasseler
Porträt), und es findet sich in der Bildung und An-
ordnung der Figuren, in der farbigen Haltung wie
in der Gestaltung des Raumes der fraglichen Bilder-
gruppe nichts, was für Scorel — dessen Stil sich
als wandlungsfähig erwiesen hat — unmöglich er-
schiene und die Aufstellung eines Notmeisters >des
Kasseler Familienporträts« unabwendbar nötig machte.
Die genrehafte Ausgestaltung des Porträtthemas scheint
gerade Scorels Tendenzen gut zu entsprechen.

Solange der Fall »Jan van Scorel« auf dem augen-
blicklichen Standpunkt bleibt, d. h. solange der Ober-
vellacher Ruine keine anderen bedeutsameren vor-
romanistischen Werke zur Seite gestellt werden können,
wird man gut tun, ein Teil der legendären Bewun-
derung für den »jungen Scorel« abzuschreiben und
auf den durch die stattliche Reihe seiner Werke seit
langem bekannten, über den allzuvielen Theorien nie
zu Recht geschätzten »späten Scorel« zu übertragen.
Man sollte, wie mir scheint, den Versuch wagen,
»primitiv« und »einfach« nicht immer nur mit dem
Unterton des Lobes, »manieriert« und »italianisierend«
nicht allein mit dem des Vorwurfs auszusprechen:
es gibt eine Primitivität des Alterns, eine Einfachheit
der Erschlaffung, ebenso wie es einen anmutig leben-
digen Manierismus, einen auch im nationalen Sinne
zukunftsvollen und triebkräftigen Romanismus geben
kann. Dies ist es, was mir als letztes — freilich ein
wenig negatives — Ergebnis der Revision des Ober-
vellacher Altars zu bleiben scheint.

NEKROLOGE

Wir trauern über den Tod von Adolf Philippi, der nach
langjährigem Wirken als Ordinarius für klassische Altertums-
wissenschaft an der Universität Gießen sich für den letzten
Teil seines Lebens in den Ruhestand nach Dresden zurück-
gezogen hatte und in dieser Muße eine Reihe höchst wert-
voller zusammenfassender kunstwissenschaftlicher Werke

geschrieben hat. Oscar Eisenmann, der mit Philippi von
Jugend auf befreundet war, wird ihm in der »Kunst-
chronik« einen Nachruf widmen.

Eberhard Freiherr von Bodenhausen ist plötzlich
gestorben. Auch an dieser Stelle ist ein Verlust zu beklagen,
da dieser Aristokrat, Gutsbesitzer und Majoratsherr, der sich
ein Arbeitsfeld in dem größten deutschen Industrieunter-
nehmen gesucht hat, ganz eigentlich Kunsthistoriker gewesen
ist, wenigstens für kurze Zeit. Nach Beendigung seiner
Studien in der juristischen Fakultät nahm Bodenhausen
Anteil an der Förderung des Kunstlebens. Es war dies
zur Zeit der Pan-Gründung. Er widmete sich ernstlich der
Kunstgeschichte, hauptsächlich in Heidelberg, bei Thode.
Das Ergebnis dieser Bemühung hat sich in unserer Lite-
ratur als dauerhaft erwiesen, es ist die Monographie über
Gerard David, die 1905 bei Bruckmann erschienen ist, ein
wesentlich kompilatorisches, aber mit Geschmack und
sicherem Urteil durchgearbeitetes Buch, das gründlichste, das
wir über einen altniederländischen Maler besitzen. Der
Unermüdliche und Unbefriedigte wurde dann Direktor bei
»Krupp«. In jüngster Zeit war zu vernehmen, Bodenhausen
wäre von Essen nach Berlin übergesiedelt, und die Hoffnung
regte sich, daß diese gesellschaftlich emporragende und
kunstverständige Persönlichkeit die wieder gewonnene Muße
irgendwie zu Nutzen des deutschen Kunstlebens ver-
wenden würde. Nun hat sein Tod solche Hoffnung zu-
nichte gemacht. m. j. f.

VERMISCHTES
Einen wunderschönen Brief hat Hans Thoma an die
Freie (sogen. Liebermann-) Sezession in Berlin gerichtet.
Er ist wert, in der Kunstliteratur dauernd aufbewahrt zu
bleiben: »Daß mich die Freie Sezession zum Ehrenmitglied
ernannt hat, freut mich sehr, und so lebhaft ich diese Ehrung
zu schätzen weiß, so verbindlich ist auch mein Dank dafür.
Ein bald Achtzigjähriger darf wohl solche Ehrungen un-
bedenklich annehmen, wenn sie auch von sich entgegen-
gesetzt scheinenden Vereinigungen an ihn kommen. In
meinem Alter kennt man keine Befehdungen mehr, die
aus Meinungen und oft recht grauen Theorien entspringen,
man kennt nur noch die frei gewordene Kunst, die ihr
Recht hat, weil sie ein Spiegelbild der schaffenden Menschen-
seele sein will; die Zeit des Kampfes hat aufgehört, und
ich sehe in allen Zweckvereinigungen der Künstler nur die
Sorge um das Gedeihen der Kunst und ihrer Entwicklung,
die nur in der Freiheit gedeihen kann. Als eine Art Recht-
fertigung, daß ich bei vielen Vereinigungen Ehrenmitglied
bin, erlaube ich es mir auszusprechen, daß, wenn ich je
ein Kämpfer war, ich nur damit zu tun hatte, in stiller Art
meine eigene Freiheit des Schaffens zu behaupten; wenn
ich dadurch ungewollt auch zu einem Kämpfer für die
Kunst im allgemeinen wurde, so kommt das von der Aus-
dauer, mit der ich gegen vielfache Gegnerschaft durch mein
langes Leben hindurch mich behauptet habe. Künstler
können ja doch nur gedeihlich ihrem Wesen nach schaffen,
wenn sie sich frei, frisch, fromm und froh fühlen — vor
solchem Schaffen kann keine Dogmakunst schädlich wirken.
Wir müssen zu dem Vertrauen kommen, daß alle Bestre-
bungen in der Kunst aus dem ernsten Willen hervorgehen,
das zu suchen und zum Ausdruck bringen zu wollen, was
in der Seele meist unbewußt verborgen liegt und nach
Gestaltung verlangt; wie die sich formt, können wir nicht
überwachen, weiß es der Künstler meist vorher doch selber
nicht. Mit gegenseitigem Vertrauen ist es möglich, über
alle mitlaufenden Irrtümer hinweg zur guten Kunst zu ge-
langen. Mit deutschem Gruß ergebenst Hans Thoma.«

Inhalt: Zu Jan van Scorels Obervellacher Altar. Von Grete Ring. — Adolf Philippi t; Eberhard Frhr. v. Bodenhausen t- — Brief von Hans Thoma.

Verantwortliche Redaktion: Gustav Kirstein. Verlag von E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstraße IIa
Druck von Ernst Hedrich Nachf., o.m.b.H., Leipzig
 
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