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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 29.1918

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Die "Kasseler Bilder" der Eremitage-Sammlung
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXIX. Jahrgang 1917/1918 Nr. 40. 30. August 1918

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 10 Mark.
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DIE »KASSELER BILDER« DER EREMITAGE-SAMMLUNG

Wie die Tagespresse zu melden weiß, ist in den
letzten Abmachungen zwischen der deutschen Regie-
rung und der Räterepublik, die in Berlin festgesetzt
und inzwischen wohl auch unterzeichnet worden sind,
eine Bestimmung aufgenommen, die unseren natio-
nalen Kunstbesitz angeht. Es betrifft die Rückerstat-
tung jener 22 Bilder, die der Kasseler Galerie im
Jahre 1806 durch die Franzosen entwendet wurden,
1815 durch Kauf an Alexander I. von Rußland ge-
langten und seither einen Bestandteil der Eremitage
in Petersburg bilden.

Die Geschichte dieses doppelten Kunstraubs ist
zu bekannt, um hier noch einmal erzählt zu werden;
wer sich für die näheren Umstände und die Verluste,
die die Kasseler Galerie in den Jahren der französi-
schen Okkupation insgesamt erlitten hat, interessiert,
den darf ich auf meinen quellenmäßig belegten Auf-
satz in der »Internationalen Monatsschrift« (11. Jahr-
gang, Heft 9 u. 10) verweisen.

Jedoch sind über die Bilder, die wir von der rus-
sischen Regierung zurückforderten (wobei von vorn-
herein ein Rückkauf ins Auge gefaßt wurde), ziemlich
irrige Vorstellungen verbreitet. Immer wieder im Lauf
meiner Amtszeit habe ich der Ansicht entgegentreten
müssen, daß »die Petersburger Rembrandts« alle aus
Kassel stammten. Das heißt nicht nur die Tatsachen fäl-
schen, sondern auch das Andenken der großen Katharina
trüben, die als Sammlerin größten Stiles namentlich
aus den Pariser Kabinetten erwarb, was von Rem-
brandt irgend zu erreichen war. Nur ein Werk Rem-
brandts aus der stolzen Reihe in Petersburg entstammt
landgräflich hessischem Besitz: die große »Kreuzab-
nahme« von 1634. Es war einst eines der Hauptstücke
des berühmten Kabinetts von Reuver in Delft gewesen,
dessen im Jahre 1750 gelungene Erwerbung den
Höhepunkt der an Erfolgen reichen Sammlertätigkeit
Wilhelms VIII. bezeichnet.

Denselben Ursprung weisen nicht wenige der Bil-
der auf, die jetzt nach 112 Jahren mit der Sammlung
dieses Fürsten wieder vereinigt werden sollen, zwei
der berühmten Potters, die Bilder von Dou, van der
Heyden usw. Nicht weniger als drei Gemälde von
Potter nennt der offizielle Katalog der Eremitage von
Somoff als aus Kassel entführt: voran den »Meier-
hof« — nicht minder bekannt unter einem zweiten,
nach einem Detail, das die fürstliche Bestellerin be-
wogen haben soll, die Abnahme des Bildes zu ver-
weigern, gewählten Namen »La vache qui pisse« —,
jenes figurenreiche Bild, dem vielfach der Preis unter
allen Potters gegeben wird; dann der mächtige »Wolfs-

hund« und zu dritt jenes wohl mehr kuriose als rein
künstlerische Gemälde mit den 14 Szenen aus dem
Leben eines Jägers. Dann zwei berühmte Bilder von
Gerard Dou, beide mit einer Heringsverkäuferin als
Hauptfigur: man wird sie gegenwärtig nicht ganz so
hoch bewerten, als es das achtzehnte Jahrhundert,
dessen Geschmack die elegante Feinmalerei des Leide-
ners besonders zusagte, getan hat. Ferner ein beson-
ders schöner Metsu: »Das Austernfrühstück« (abge-
bildet in Somoffs Katalog, wie mehrere der ange-
führten Bilder), sowie zwei Bilder von Jan v. d. Hey-
den, eine Ansicht von Amsterdam und eine von Köln.
Waagen, der erste, der die Eremitage wissenschaftlich
bearbeitet hat, spricht mit Bewunderung von dem
großen Berchem sowie einem bedeutenden K. du Jar-
din, der einst in Kassel wegen einer falschen Be-
zeichnung den Namen Potter trug.

In ihrer Art höchst bedeutsam die drei Bilder der
vlämischen Schule, die wir zurückerwarten; alle von
Teniers. Voran der große »Schützenzug der Ant-
werpener Georgsgilde«, der einst — zusammen mit
Rubens' »Triumph des Siegers« — den Versamm-
lungsraum der Gilde geziert hat, dann die »Wacht-
stube« (corps de garde), der unter den verwandten
Kompositionen der Preis gebührt, und endlich die
launige Affenküche.

Nun aber folgen vier Bilder, die einst einen Haupt-
ruhm der alten Kasseler Galerie bedeutet haben: die
als »Vier Tageszeiten« gefeierte Suite, die ursprünglich
wohl nicht zusammengehört hat, aber seit langer Zeit
wie eine Einheit angesehen wird. Wo immer in der
Vergangenheit von den Kunstschätzen in Kassel die
Rede ist, wurden diese Claude Lorrains mit an erster
Stelle genannt. Anzumerken ist, daß Waagen sich
über ihren Erhaltungszustand nicht günstig äußert.

Endlich, indem wir ein paar geringere Stücke
(Neefs, van der Werff, C. Dolci) übergehen, noch ein
sehr bedeutendes Werk italienischen Ursprungs, die
heilige Familie von Andrea del Sarto. Deutschland
besitzt kaum ein Gemälde des Florentiners, das
sich diesem vergleichen darf. Wilhelm VIII. hatte
es auf der Vente Duc de Tallard in Paris 1756
erworben, von der auch das große Tizianporträt in
Kassel stammt.

Die obige kurze Zusammenstellung beweist, indem
sie zugleich übertriebenen Erwartungen einen Riegel
vorschieben will, daß es sich bei der Rückgewinnung
der Petersburger Bilder für die Kasseler Galerie um
eine außerordentliche Bereicherung handelt. Zunächst
natürlich für diese selbst: nach manchen Seiten wird
 
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