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Kautzsch, Rudolf
Einleitende Erörterungen zu einer Geschichte der deutschen Handschriftenillustration im späteren Mittelalter (Studien zur deutschen Kunstgeschichte 3) — Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 3: Straßburg, 1894

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https://doi.org/10.11588/diglit.2061#0003
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ERSTES KAPITEL.

Die Behauptung, dass die bildlichen Darstellungen des Mittel-
alters nicht in unserem Sinne getreue Nachbildungen der Natur
sind, bedarf keiner Beweise.

Die Kunstgeschichte hat darum jene Werke zu verschiedenen
Zeiten sehr verschieden gewerthet: auf die romantische Ueber-
schätzung mittelalterlicher Art und Kunst folgte eine Ernüchterung
des Urtheils, die an sich heilsam und nothwendig war. Nur dass
sie Gefahr läuft, der eigentlichen Aufgabe der Geschichte ebenso-
wenig gerecht zu werden. Denn vielleicht fliesst der unbefriedi-
gende Eindruck, den uns jene Kunstwerke machen, mehr noch
aus unrichtigen Voraussetzungen, durch die wir uns ein wahrhaft
geschichtliches Verständniss erschweren, als aus dem unvollkom-
menen Charakter der Bilder selbst.

H. Janitscheks Geschichte der deutschen Malerei hat gezeigt,
dass eine Darstellung der zeichnenden Kunst im Mittelalter weder
zu entschuldigen, noch zu verdammen braucht, wenn sie die Ent-
wickelung der nationalen Phantasie selbst zur Grundlage nimmt.
So ergab sich, dass die mittelalterliche Federzeichnung das
eigentliche Ausdrucksmittel der Volksphantasie, eine allmälig immer
tiefer eindringende Naturbeobachtung verräth, allerdings aber „die
Entdeckung der äusseren Natur in ihrer Fülle von Besonderheiten"
während des ganzen Mittelalters nicht erreichte.

Bei dieser Ansicht bleibt vielleicht nur dies unerklärt: wie
kommt es, dass auch d»r gewandteste Meister der Federzeichnung
sein Streben nach Naturwahrheit auf gewisse Theile der Schilde-
 
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