Nationalpark Harz - Von der Kulturlandschaft zurück zu einem „Urwald aus zweiter Hand'
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Deren Erhaltung allerdings ist in Ur- bzw. wirklichen
Naturwäldem immer auf das Vorhandensein der
ursprünglichen großen Pflanzenfresser - zum Beispiel
Wisent und Auerochse mit ihren unterschiedlichen
Fress- und Verdauungspräferenzen als Gras- und Rau-
futterfresser - angewiesen.
Da wir im Nationalpark Harz Naturwald-Dynamik
wieder zulassen, können wir dort besonders viel über
ökologische Nachhaltigkeit, also über die Naturgesetze,
lernen. Die Natur ist die Grundlage unseres Lebens.
Dabei geht es um mehr als um die Nachhaltigkeit der
Holzproduktion, wie zum Beispiel in herkömmlichen
Wirtschaftswäldern oder „Holzplantagen“. Es geht um
„ökologische Nachhaltigkeit“, die letztlich bedeutet,
dass wir so wirtschaften lernen müssen, dass keine Arten
mehr - anthropogen verursacht - aussterben müssen.
Der Nachhaltigkeitsbegriff erhält dadurch eine äußerst
starke Erweiterung: „Ökologisch nachhaltige Entwick-
lung (sustainable development)“ ist die entscheidende
Leitlinie, auf die sich alles Handeln im Sinne der
Agenda 21 der UNCED von Rio 1992 ausrichten muss,
wenn wir Verantwortung für künftige Generationen
ernst nehmen.
Bei der beabsichtigten Transmission der Erkenntnis-
se aus der Naturwald-Dynamik auf Mehrheiten in der
Bevölkerung kommt uns gerade im Nationalpark Harz
zugute, dass der Harz aufgrund seiner zentralen Lage in
Deutschland und seiner besonders großen Attraktions-
wirkung eine äußerst hohe Besucherfrequenz aufweist,
die im Falle des Nationalparks Harz im Weltspitzen-
bereich liegt. Darüber hinaus ist zu betonen, dass der
Mensch aufgrund seiner artspezifischen Evolution, die
nach heutigem Kenntnisstand ursprünglich vor etwa
fünf bis sieben Millionen Jahren als Primatenart mit auf-
rechtem Gang in Urwäldern Afrikas begonnen hat, auch
heute noch eine besondere Affinität zu reich
strukturierten und natumahen Waldökosystemen - mit
Offenbiotopen und vielen Randeffekten - hat.
Die Naturbilanz in Deutschland - so darf es
nicht weitergehen
UNCED-Leitbild >
äc^altiqe, EnfW,cUstainab'e Ae
Ökologische
Aspekte
Soziale
Aspekte
j Ökonomische
| Aspekte
Nationalpark
getroffen werden, dürfte in dem Fall die Finanzierung
den knappen Naturschutzhaushalt eigentlich nicht
belasten, sondern möglicherweise aus einem ganz
anderen Ressort sicherzustellen sein.
Das verbindliche Ziel des neuen Bundesnaturschutz-
gesetzes seit 2002 lautet: mindestens 10% Naturvor-
rangfläche vernetzt in Verbundsystemen. Die Frage, wie
dieses hoch gesteckte Ziel tatsächlich erreicht werden
kann, leitet unmittelbar über zu einer Aufgabe, die
Nationalparks weltweit heute auch zu übernehmen
haben: Menschen mit Hilfe einer unmanipulierten und
nutzungsfreien Natur im Rahmen der Erholung und
Bildung von den grundlegenden Belangen der Natur
überzeugen. Sie müssen mehrheitlich für Umdenkungs-
und Umhandlungsprozesse gewonnen werden, im Sinne
der Vereinbarungen der Völkergemeinschaft, die wäh-
rend der UNCED 1992 in Rio getroffen worden sind.
Abb. 2: Nach dem UNCED-
Leitbild von Rio 1992
„sustainable development“
kommt es langfristig darauf
an, die Agenda 21 und die
B iodiversitätskonvention mit-
einander zu verknüpfen.
Dieser Aspekt liegt im Fokus
aller Nationalparke, das Ver-
hältnis „Mensch-Natur“ auf
tragfähige Säulen der Öko-
nomie, Ökologie und sozialen
Sicherheit zu stellen und die
Bildungsarbeit daran aus-
zurichten.
110 natürliche Ökosystemtypen mit unserem Arten-
inventar von rund 73.000 Pflanzen- und Tierarten sind
auf 3-5 % der Fläche Deutschlands beschränkt (BfN
1995).
Die Verinselung ist ein rasant wachsendes Problem,
das die bisherige Naturschutzgesetzgebung ebenso wie
die erfreulich wachsende Naturschutzbewegung bisher
nicht verhindern, allenfalls abbremsen, keinesfalls je-
doch in eine Umkehr zu überregionalen Naturverbund-
systemen bringen konnte.
Lediglich 2,3 % Naturschutzgebiete in Deutschland
sind im internationalen Kontext - zum Beispiel auch
gegenüber den verbindlichen Zielen der Biodiversitäts-
konvention der UNCED von Rio 1992 — eher ein
Armutszeugnis für eines der reichsten Länder der Welt.
Sie sind nicht geeignet, eine Tendenzwende zu ermög-
lichen, zumal verschiedene große Naturschutzgebiete
nur durch Management gegen die eigentliche Natur-
dynamik zu erhalten sind. Wären nicht „Pflege-Natur-
schutzgebiete“ zum Beispiel als „Kulturschutzgebiete“
zutreffender bezeichnet? Sofern die Maßnahmen gegen
die Naturdynamik vorrangig aus touristischen Gründen
Die „schleichende“ Landschaftsausräumung und
Monotonisierung der Städte hat Folgen für uns alle
Der allgemeine Kostendruck, insbesondere auf dem
Personalsektor, hat zu einer „schleichenden“ Land-
schaftsausräumung und Verarmung unserer Lebens-
räume geführt. Das gilt zum Beispiel infolge des Groß-
maschineneinsatzes in der Landwirtschaft oder in einer
zunehmend technikbestimmten Ausrichtung der Wald-
wirtschaft. Das gleiche Ergebnis zeigt sich in einer
Monotonisierung der Städte, deren Bild nach Gesichts-
punkten der unnatürlichen Dekoration, der Pflege-
leichtigkeit und auch der risikofreien Verkehrssiche-
rungspflicht im Grünsektor bestimmt wird.
Viele ursprünglich „artgemäße“ Lebensräume sind
damit der Spezies Mensch genommen worden, indem
ihr „Psychotop“ über eine imaginäre, individuell sicher
unterschiedlich empfundene Grenze hinaus verarmt,
vereinheitlicht, begradigt, ja hinsichtlich der Erholungs-
möglichkeit zerstört worden ist. Ohne Verbot und ohne
Zaun sind damit der Bevölkerung während der letzten
40 Jahre sicherlich über 25 % der Fläche Deutschlands
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Deren Erhaltung allerdings ist in Ur- bzw. wirklichen
Naturwäldem immer auf das Vorhandensein der
ursprünglichen großen Pflanzenfresser - zum Beispiel
Wisent und Auerochse mit ihren unterschiedlichen
Fress- und Verdauungspräferenzen als Gras- und Rau-
futterfresser - angewiesen.
Da wir im Nationalpark Harz Naturwald-Dynamik
wieder zulassen, können wir dort besonders viel über
ökologische Nachhaltigkeit, also über die Naturgesetze,
lernen. Die Natur ist die Grundlage unseres Lebens.
Dabei geht es um mehr als um die Nachhaltigkeit der
Holzproduktion, wie zum Beispiel in herkömmlichen
Wirtschaftswäldern oder „Holzplantagen“. Es geht um
„ökologische Nachhaltigkeit“, die letztlich bedeutet,
dass wir so wirtschaften lernen müssen, dass keine Arten
mehr - anthropogen verursacht - aussterben müssen.
Der Nachhaltigkeitsbegriff erhält dadurch eine äußerst
starke Erweiterung: „Ökologisch nachhaltige Entwick-
lung (sustainable development)“ ist die entscheidende
Leitlinie, auf die sich alles Handeln im Sinne der
Agenda 21 der UNCED von Rio 1992 ausrichten muss,
wenn wir Verantwortung für künftige Generationen
ernst nehmen.
Bei der beabsichtigten Transmission der Erkenntnis-
se aus der Naturwald-Dynamik auf Mehrheiten in der
Bevölkerung kommt uns gerade im Nationalpark Harz
zugute, dass der Harz aufgrund seiner zentralen Lage in
Deutschland und seiner besonders großen Attraktions-
wirkung eine äußerst hohe Besucherfrequenz aufweist,
die im Falle des Nationalparks Harz im Weltspitzen-
bereich liegt. Darüber hinaus ist zu betonen, dass der
Mensch aufgrund seiner artspezifischen Evolution, die
nach heutigem Kenntnisstand ursprünglich vor etwa
fünf bis sieben Millionen Jahren als Primatenart mit auf-
rechtem Gang in Urwäldern Afrikas begonnen hat, auch
heute noch eine besondere Affinität zu reich
strukturierten und natumahen Waldökosystemen - mit
Offenbiotopen und vielen Randeffekten - hat.
Die Naturbilanz in Deutschland - so darf es
nicht weitergehen
UNCED-Leitbild >
äc^altiqe, EnfW,cUstainab'e Ae
Ökologische
Aspekte
Soziale
Aspekte
j Ökonomische
| Aspekte
Nationalpark
getroffen werden, dürfte in dem Fall die Finanzierung
den knappen Naturschutzhaushalt eigentlich nicht
belasten, sondern möglicherweise aus einem ganz
anderen Ressort sicherzustellen sein.
Das verbindliche Ziel des neuen Bundesnaturschutz-
gesetzes seit 2002 lautet: mindestens 10% Naturvor-
rangfläche vernetzt in Verbundsystemen. Die Frage, wie
dieses hoch gesteckte Ziel tatsächlich erreicht werden
kann, leitet unmittelbar über zu einer Aufgabe, die
Nationalparks weltweit heute auch zu übernehmen
haben: Menschen mit Hilfe einer unmanipulierten und
nutzungsfreien Natur im Rahmen der Erholung und
Bildung von den grundlegenden Belangen der Natur
überzeugen. Sie müssen mehrheitlich für Umdenkungs-
und Umhandlungsprozesse gewonnen werden, im Sinne
der Vereinbarungen der Völkergemeinschaft, die wäh-
rend der UNCED 1992 in Rio getroffen worden sind.
Abb. 2: Nach dem UNCED-
Leitbild von Rio 1992
„sustainable development“
kommt es langfristig darauf
an, die Agenda 21 und die
B iodiversitätskonvention mit-
einander zu verknüpfen.
Dieser Aspekt liegt im Fokus
aller Nationalparke, das Ver-
hältnis „Mensch-Natur“ auf
tragfähige Säulen der Öko-
nomie, Ökologie und sozialen
Sicherheit zu stellen und die
Bildungsarbeit daran aus-
zurichten.
110 natürliche Ökosystemtypen mit unserem Arten-
inventar von rund 73.000 Pflanzen- und Tierarten sind
auf 3-5 % der Fläche Deutschlands beschränkt (BfN
1995).
Die Verinselung ist ein rasant wachsendes Problem,
das die bisherige Naturschutzgesetzgebung ebenso wie
die erfreulich wachsende Naturschutzbewegung bisher
nicht verhindern, allenfalls abbremsen, keinesfalls je-
doch in eine Umkehr zu überregionalen Naturverbund-
systemen bringen konnte.
Lediglich 2,3 % Naturschutzgebiete in Deutschland
sind im internationalen Kontext - zum Beispiel auch
gegenüber den verbindlichen Zielen der Biodiversitäts-
konvention der UNCED von Rio 1992 — eher ein
Armutszeugnis für eines der reichsten Länder der Welt.
Sie sind nicht geeignet, eine Tendenzwende zu ermög-
lichen, zumal verschiedene große Naturschutzgebiete
nur durch Management gegen die eigentliche Natur-
dynamik zu erhalten sind. Wären nicht „Pflege-Natur-
schutzgebiete“ zum Beispiel als „Kulturschutzgebiete“
zutreffender bezeichnet? Sofern die Maßnahmen gegen
die Naturdynamik vorrangig aus touristischen Gründen
Die „schleichende“ Landschaftsausräumung und
Monotonisierung der Städte hat Folgen für uns alle
Der allgemeine Kostendruck, insbesondere auf dem
Personalsektor, hat zu einer „schleichenden“ Land-
schaftsausräumung und Verarmung unserer Lebens-
räume geführt. Das gilt zum Beispiel infolge des Groß-
maschineneinsatzes in der Landwirtschaft oder in einer
zunehmend technikbestimmten Ausrichtung der Wald-
wirtschaft. Das gleiche Ergebnis zeigt sich in einer
Monotonisierung der Städte, deren Bild nach Gesichts-
punkten der unnatürlichen Dekoration, der Pflege-
leichtigkeit und auch der risikofreien Verkehrssiche-
rungspflicht im Grünsektor bestimmt wird.
Viele ursprünglich „artgemäße“ Lebensräume sind
damit der Spezies Mensch genommen worden, indem
ihr „Psychotop“ über eine imaginäre, individuell sicher
unterschiedlich empfundene Grenze hinaus verarmt,
vereinheitlicht, begradigt, ja hinsichtlich der Erholungs-
möglichkeit zerstört worden ist. Ohne Verbot und ohne
Zaun sind damit der Bevölkerung während der letzten
40 Jahre sicherlich über 25 % der Fläche Deutschlands