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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: System Denkmalpflege - Netzwerke für die Zukunft — Hannover: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Heft 31.2004

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Sektion 6: Historische Forschung in der Denkmalpflege - Das Beispiel der Stadt
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https://doi.org/10.11588/diglit.51150#0388
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384

Sektion 6: Historische Forschung in der Denkmalpflege - Das Beispiel der Stadt


Abb. 5: Soest, Dokumentation
der Keller (Ausschnitt):
Ockerfarben - Grabungen
und Baustellenbeobachtungen,
Gelb = östlich und südöstlich
der beiden Kirchen sind die
Gebäude fast vollständig
unterkellert. Der Anteil der
Kellerfläche nordwestlich des
Zentrums nimmt deutlich ab.
An der Peripherie des Großen
Teichs fällt eine Häufung
abgegangener Bebauung auf.
Hier haben sich die Strukturen
seit Beginn des letzten Jahr-
hunderts wesentlich verändert.
Dazu hat auch die Verfüllung
des Stadtbachs beigetragen
(Hellblau = früherer Verlauf).

der so genannten Erbmänner zu sehen, die ihre Kauf-
häuser am Prinzipalmarkt hatten, ihre Kontore und
Wohnsitze im Verlauf des 12. Jahrhunderts aber aus
Platzgründen auf das nur wenig entfernte, noch freie
Stadtrandareal am Alten Steinweg verlegt haben sollen.
Die Ausgrabungen ergaben jedoch ein anderes, vor
allem ein wesentlich differenzierteres Bild. Demnach
erfolgte die Aufsiedlung des Geländes im früheren
12. Jahrhundert entlang einer Parallelstraße zum Alten
Fischmarkt in der bekannten handtuchartig gerasterten
Parzellenstruktur. Nachweislich durch Brände, viel-
leicht auch durch demographische Schrumpfungspro-
zesse, zum Beispiel als Folge der Pestepidemien im
15. Jahrhundert, wurden Parzellen zusammengelegt und
mit von der Straße entfernt errichteten Hofanlagen be-
setzt, die nun in der Tat in den Besitz der so genannten
„Erbmänner“ (Münstersche Kaufmannsaristokratie) ka-
men. Aber auch noch in dieser Phase blieb die Sied-
lungsausrichtung nach den Hauptmärkten der Stadt
bestehen.
Eines der bemerkenswertesten Ergebnisse der Aus-
grabung war jedoch die Entdeckung eines besonderen
Konkurrenzverhältnisses zwischen dem Verlauf des
Alten Steinwegs, der als einer der ältesten Verkehrswege
Münsters gilt, und der baulichen Erschließung des ihn
begleitenden Geländes. Es zeigte sich, dass dessen Tras-
se keinerlei Einfluss auf die Ausrichtung der mittelalter-
lichen Besiedlung des Areals hatte, sondern sich wie ein
Fremdkörper durch das Neubaugebiet schlängelte und
nur mit größter Mühe Kollisionen vermied. Der Start des
Alten Steinwegs am ältesten östlichen Tor der Domburg
und sein Ziel beim bischöflichen Brauhof an der Ein-
mündung der Achse in die Mauritzstraße machen ihn
verdächtig, ein Privatweg des Bischofs als dem alten
Stadtherrn Münsters gewesen zu sein, der von den neuen
Stadtherren, den Bürgern Münsters, im Verlauf der
Stadterweiterung offenbar bewusst missachtet wurde.
Erst im 18. Jahrhundert, erneut ausgelöst durch eine
Brandzerstörung der spätmittelalterlichen Gebäude,
bestimmte die Trasse des Alten Steinwegs nun endgültig
die Ausrichtung der Bebauung, obgleich der Grund-
stückszuschnitt mit seiner Orientierung am Verlauf der
Märkte weiter den traditionellen Strukturen folgte. Der

Grund für diese gegenüber den Vorgängern veränderte
Bebauung war ein einschneidender Wandel in der Sozial ¬
topographie des Geländes östlich der St. Lamberti-Kir-
che. Als Nachfolger der Erbmänner ließ sich eine Kauf-
mannschaft mit gehobenem Angebot (Tuche, Wein) seit
der Mitte des 18. Jahrhunderts auf dem Gelände nieder
und baute ihre Geschäfte, um ihre Kunden bequem zu
erreichen, nun wieder unmittelbar an die Straße.
Das durch solche Ausgrabungsergebnisse in Gang
gesetzte Interesse am städtischen Raum als Ganzem
hatte eine Vielzahl von stadtarchäologischen Unter-
suchungen zur Folge, die jedoch für alle Beteiligten
zumeist einen Sprung ins kalte Wasser bedeuteten. Der
flott dahergesagte Hinweis auf die Neuentdeckungen in
Soest und Münster überzeugte Investoren, Bauherren
und kommunale Behörden unter Umständen wenig,
wenn in ihrer Stadt als Begründung für einen
archäologischen Großeinsatz lediglich die Lage des
betreffenden Areals mit „außerhalb der urbanen
Keimzelle, aber innerhalb der mittelalterlichen Stadt-
mauer“ angegeben wurde.
Auch für die Bodendenkmalpflege selbst boten
solche Allgemeinaussagen kaum die erforderliche Ent-
scheidungshilfe, ob und in welchem Umfang sich ein
Einsatz überhaupt lohnen würde, war sie doch aufgrund
ihrer sehr begrenzten Kapazitäten an Personal und
Mitteln immer bemüht, möglichst effektiv das verfüg-
bare Potenzial in ihrem Zuständigkeitsbereich ein-
zusetzen. Neben der fehlenden individuellen Ansprache
des Baugebiets, was seine Wertigkeit im städtischen
Entwicklungsprozess und den aufgrund einer Aus-
grabung zu erwartenden Erkenntniszugewinn für die
Darstellung der Stadtgenese betraf, stand im Vorder-
grund jedoch oft die ganz banale, manchmal pro-
vozierende Frage, was denn überhaupt noch vorhanden
sei von dem Teil des „Bodendenkmals Stadt“, um den es
an der betreffenden Stelle ging.
Die Ausweitung der weitgehend ergebnissicheren
Stadtkemarchäologie zur Stadtarchäologie wurde somit
begleitet von einem Bündel an Unsicherheiten, die alle
Beteiligten gleichermaßen, aber in jeweils anderer Form
betrafen. Dem Bodendenkmalpfleger fehlte die solide
Entscheidungsgrundlage für Art und Umfang seines
Einsatzes. Dahinter stand oft die angstvolle Frage, ob
sich der Aufwand überhaupt lohnt, der für eine Unter-
schutzstellung oder eine Ausgrabung in der Regel be-
trieben werden muss. Der Bauherr blieb weitgehend im
Unklaren darüber, was ihn die Ausgrabungsarbeiten auf
seiner Baustelle an Zeit und bei Kostentragungspflicht
auch an Geld kosten würde. Und der Planer befürchtete,
dass er durch die archäologischen Untersuchungen mit
einem Befund konfrontiert werden würde, der plötzlich
bislang fragmentarische und damit schlecht erklärbare
Strukturen der gegenwärtigen Stadt enträtselte, gleich-
zeitig aber mit den bereits vorhandenen Planungen
kollidierte und ihn damit in einen Entscheidungszwie-
spalt führte. Eine bange Frage städtischer Planungsamt-
chefs, die mich während meiner 25jährigen Aus-
grabungstätigkeit in Westfalen ständig begleitete, war:
Und was machen wir, wenn wir ein Römerlager finden?
Nun hätte man bei jedem bodendenkmalpflege-
rischen Einsatz im innerstädtischen Raum fachgerecht
recherchieren können, um die allseitigen Unsicher-
heiten zu beseitigen. Im Fall von Soest und Münster
geschah das auch, jedoch nicht ohne dabei zu bemerken,
 
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