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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: System Denkmalpflege - Netzwerke für die Zukunft — Hannover: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Heft 31.2004

DOI issue:
Sektion 6: Historische Forschung in der Denkmalpflege - Das Beispiel der Stadt
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https://doi.org/10.11588/diglit.51150#0389
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Chancen und Grenzen archäologisch-historischer Stadtkataster

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wie äußerst mühevoll und langwierig die Recherchen
waren und wie wenig man über die Beschäftigung mit
dem fraglichen Areal hinaus Zeit hatte, die Gesamtstadt
angemessen in den Blick zu nehmen. Und wenn das
doch geschehen musste, weil es zur Bewertung des
Geländes im städtischen Kontext unbedingt erforderlich
war, dann wurde, um die Art und Weise des boden-
denkmalpflegerischen Einsatzes solide abzusichem, ein
Zeitaufwand getrieben, der wegen seiner Praxisfeme
durch nichts mehr zu rechtfertigen war.
Denn gerade in der Stadt mit ihrem hohen baulichen
Veränderungsdruck fehlt für eine wissenschaftlich
fundierte Recherche genau das, was diese braucht,
nämlich Zeit.
Um solche Probleme in den Griff zu bekommen,
begann man in Westfalen Ende der 70er Jahre damit, die
Grundlagen für die archäologische Denkmalpflege in
der Stadt im größeren Umfang systematisch präventiv
zu erarbeiten, um nicht länger von der Hand in den
Mund zu leben, das heißt sich beim Studium von Einzel-
fällen unangemessen lange aufzuhalten oder sich bei
schlecht vorbereiteten Grabungsuntemehmen in Dauer-
konflikten aufzureiben.
Das archäologische Stadtkataster war damit ins
Leben gerufen. Seine Leistungen wurden aus der
praktischen Denkmalpflege her entwickelt. So enthält
das Kataster eine Darstellung der Stadtgenese auf der
Grundlage aller vorhandenen Bild- und Schriftquellen
sowie des überlieferten Kartenmaterials wie es auch die
traditionelle Stadtgeschichtsforschung kennt. Von den
üblichen stadtgeschichtlichen Arbeiten aber unter-
scheidet sich die Darstellung dadurch, dass alle verfüg-
baren Ergebnisse von archäologischen Untersuchungen
jeglicher Größenordnungen - von der Baustellenbeob-
achtung bis zur ausgedehnten mehrparzelligen Flächen-
grabung - eingearbeitet werden.
Schrift, Bild, Karte und archäologischer Befund
werden in einer Zusammenschau bewertet und mit ihren
Fakten wie ihren Fragestellungen in die Darstellung der
jeweiligen Stadtgenese eingebracht, wobei der Blick
nicht in Teilen der Stadt verweilt, sondern immer aufs
Ganze gerichtet ist.
Überdies wird das archäologische Stadtkataster mit
einer Zustandsbeschreibung der heutigen Stadt, wie sie
oberirdisch sichtbar wird, in Form eines Baualters-
schichtenplans ausgestattet. Vervollständigt wird es mit
einer Kartierung der bekannten Bodeneingriffe im
gesamten Stadtgebiet. Diese Bodeneingriffskartierung
dürfte mit Abstand der zeitaufwendigste Abschnitt des
archäologischen Stadtkatasters sein. Denn die Kartie-
rung verlangt nicht nur die Darstellung flächenmäßig
sehr umfangreicher und extrem tiefer Bodeneingriffe
wie die durch Tiefgaragen oder mehrstöckig unterkel-
lerte Kaufhauskomplexe hervorgerufenen Abgrabun-
gen. Solche sind meist jüngeren Datums und leicht zu
fassen. Vielmehr werden auch Keller und Leitungs-
trassen sowie geländeverändemde Maßnahmen durch
Straßenbau und Anlage von Parkplätzen unter die Lupe
genommen. Hier ist der Aufwand wesentlich höher, weil
ein umfassendes Studium der Bauakten oder eine
Begehung und Vermessung der Keller verlangt wird.
Dabei spielt die flächenmäßige Ausdehnung eine
genauso bedeutende Rolle wie die Tiefe des Bodenein-
griffs. Beides sollte immer wieder mit stratigraphischen
Befunden der Umgebung, soweit diese erhoben worden



sind, konfrontiert werden, um eine Aussage darüber zu
erhalten, ob noch archäologisch verwertbare Spuren
unterhalb des gestörten Bereichs zu erwarten sind oder
bereits der befundfrei anstehende Boden erreicht ist.
In Nordrhein-Westfalen werden die archäologischen
Stadtkataster von eigens zusammengesetzten und
geschulten Teams an der Fachhochschule in Köln er-
arbeitet (Lehrstuhl Prof. Eberhardt), denen je nach
Möglichkeit jedoch am jeweiligen Ort zugearbeitet
werden kann. Ist ein gut betreutes Archiv in der frag-
lichen Stadt vorhanden, so übernimmt ein Mitarbeiter
dieser Einrichtung einen Part bei der Darstellung der
Stadtgenese. Zum gleichen Abschnitt kann auch, wenn
es ihn denn gibt, der kommunale Archäologe Infor-
mationen beitragen. Architektur- und Baugeschichts-
studiengänge an örtlichen Universitäten und Fachhoch-
schulen sind zur Zusammenarbeit bei Baualtersschich-
tenplan und Bodeneingriffskartierung aufgerufen.
Eine solche Zusammenarbeit kann mithelfen, die
Kosten der Erstellung der Katasterwerke ganz wesent-
lich zu senken, die in Nordrhein-Westfalen im Rahmen
der Arbeitsgemeinschaft „Alter Stadt- und Ortskeme“
über Städtebauförderungsmittel finanziert werden, teil-
weise aber auch durch vollständige Eigenleistungen der
jeweiligen Städte. Für Westfalen liegen archäologische
Stadtkataster für Minden, Soest, Paderborn, Warburg,
Detmold, Wiedenbrück, Tecklenburg und Freudenberg
bereits vor, Münster und Hamm sind auf dem Wege.
Sie sind sowohl in den betreffenden Städten bei den
Planungsämtem verfügbar als auch im Westfälischen
Amt für Bodendenkmalpflege und werden im Fall von
aktuellen Bauvorhaben zwischen Behörde und Amt dis-
kutiert.

Abb. 6: Münster, Alter Stein-
weg 12, Ausschnitt aus der
Vogelschau von 1636 (oben)
und Ausschnitt aus dem
Grundplan von 1839 (unten),
1989.
 
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