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Hagen, Rüdiger; Neß, Wolfgang; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Mühlen in Niedersachsen: Region und Stadt Hannover — Petersberg: Michael Imhof Verlag, Heft 44.2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.51272#0035
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Mühlengeschichtlicher Überblick

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Die 1931 durch den ehemaligen Major Kurt Bilau er-
fundenen und später auch durch die Firma Kühl in
Lizenz gebauten Stromlinienflügel, die so genannten
„Ventikanten", fanden im Hannoverschen erstaunli-
cher Weise an keiner Bockwindmühle mehr Verwen-
dung, dafür aber an einigen Holländermühlen.
Die Inneneinrichtung der ältesten hiesigen Bockwind-
mühlen bestand wie schon erwähnt aus nur einem
Mahlgang, der direkt vom Kammrad der Flügelwelle
angetrieben wurde. Seitdem 17. Jahrhundert verwen-
dete man in den hiesigen Bockwindmühlen auch den
Beutelkasten zum Trennen von Mehl und Kleie unter
dem Mahlgang. Durch ein kompliziertes System von
Hebeln und Seilzügen ließen sich vom unteren Boden
(Absackboden) der Abstand der Mühlsteine und der
Anschlag des Beutelkastens steuern. Auch die Bedie-
nung der Flügelbremse erfolgte von diesem Boden
oder beim Be- und Absegeln auch vom Erdboden aus.
Die gesamte Mühle war somit vom Absackboden aus
bedien- und anhaltbar. Die Flügelbremse war in den
Bockwindmühlen als so genannter „Stützfang", also
als etwas mehr als halb das Kammrad umschließende
Bandbremse aus Pappel- oder Weidenholz mit einem
Preßschuh am Ende ausgeführt. Ursprünglich befand
sich der zur Betätigung notwendige Bremsbalken auf
dem Absackboden in den hiesigen Bockwindmühlen
hinter dem Beutelkasten. Erst später, vermutlich seit
Beginn des 19. Jahrhunderts, wurde der Bremsbal-
ken auf dem Steinboden oberhalb der Mehlleiste
angeordnet, wie es heute bei allen noch erhaltenen
Bockwindmühlen mit Ausnahme der „Alten Mühle"
im Hermann-Löns-Park, bei welcher der Bremsbalken
im Zuge der Umsetzung und des Rückbaus in einen
angenommenen Ursprungszustand 1938 wieder auf
den Absackboden verlegt wurde, erhalten ist. Zum
Anheben und Ablassen des Bremsbalkens bediente
man sich in den hiesigen Bockwindmühlen drei ver-
schiedener Systeme. Im Neustädter Raum war der
Bremsbalken zumeist mit einem über der Mehlleiste
liegenden Bremshebel gekoppelt, von dem ein Zug-
seil über beide Böden der Mühle und zum Erdboden
führte. Im Stadtbereich Hannover und der Gegend
um Burgdorf und Burgwedel wurde der Bremsbalken
zumeist über ein flaschenzugähnliches Rollensystem
auf dem Steinboden bedient. In den anderen Regi-
onsgebieten fand man zumeist eine Bremstrommel
oberhalb der Mehlleiste zum Heben und Ablassen des
Bremsbalkens vor. Die Arretierung des Bremsbalkens
in geöffneter Bremsstellung erfolgte ursprünglich
durch Einstecken eines Bolzens in einen nebenstehen-
den Lochständer, auf den der Balken abgelegt wurde.
Im Zuge der späteren Verlagerung des Bremsbalkens
auf den Steinboden ist in fast allen Mühlen ein ge-
schmiedetes Säbeleisen zum automatischen Einhaken
des Bremsbalkens eingebaut worden.
Ein in vielen Bockwindmühlen im Braunschweiger
Raum und in Mitteldeutschland verwendetes Einhak-

system mit hölzerner Sperrklinke und Rückholfeder
fand hingegen im Hannoverschen nur wenig Verwen-
dung.
Die Steine für den Mahlgang kamen ursprünglich aus
nicht weit entfernten Brüchen, so häufig aus Obern-
kirchen und Hannoversch Münden im Weserbergland,
zeitweise gab es auch in Barsinghausen einen Mühl-
steinbruch. Es wurde nahezu ausschließlich Roggen in
einem recht einfachen Mahlverfahren verarbeitet. Im
Raum Neustadt verarbeiteten einige Bockwindmühlen
auch Buchweizen, das so genannte „Heidekorn", zu
Mehl und Grütze. Die Herstellung von Graupen aus
Gerste spielte eine untergeordnete Rolle, wurde den-
noch im Neustädter Raum in Bockwindmühlen seit
Ende des 18. Jahrhunderts vereinzelt durchgeführt.
Bereits 1783 ist in der Bockwindmühle in Schneeren
ein Graupen- und Grützgang konzessioniert worden.
Der Läuferstein dieses Schälgangs sehr alter Konstruk-
tion ist seit 2005 in der Laderholzer Wassermühle als
Schaustück aufgestellt. Im Bereich der Amtsherrschaft
Burgwedel dienten einige Bockwindmühlen zusätzlich
zum Schroten des Malzes für die herrschaftliche Brau-
erei in Großburgwedel.
Die Mühlengetriebe bestanden in den Bockwindmüh-
len bis weit in das 19. Jahrhundert ausschließlich aus
Holz, ebenso die gewaltige Flügelwelle. Bei der Mehr-
zahl der Mühlen ist diese Hauptantriebswelle jedoch
später mit einem gusseisernen Wellkopf versehen
worden. Als einzige hiesige Mühle trägt heute noch
die Dudenser Mühle bei Neustadt a. Rbge. einen höl-
zernen Flügelwellenkopf. Die Flügelwelle treibt wei-
terhin mit ihrem hinteren Ende (Penende) die Sack-
winde an, mit deren Hilfe über einen Kettenzug an der
Stertwand Getreidesäcke vom unterfahrenden Pfer-
degespann ins Obergeschoss (Steinboden) der Mühle
gezogen werden konnten. Über ein zweites Rad auf
der Sackwinde, welches über ein umlaufendes Seil
auf beiden Böden per Hand betätigt wird, können die
Mehl- und Schrotsäcke von der Mühle herabgelassen
und bei Windmangel auch Getreidesäcke in die Mühle
gezogen werden.
Das zum Antrieb des Mahlgangs und als Bremsschei-
be auf der Flügelwelle befestigte Kammrad mit einem
Durchmesser von circa 3 Meter bestand und besteht
bei allen hiesigen Bockwindmühlen aus Holz. In seiner
ältesten Form besaß das Kammrad einfache, kreuz-
weise durch die Flügelwelle gesteckte Speichen, in der
jüngeren Form hingegen zwei um die Welle gelegte
Speichenpaare. Die alte Form mit durchgesteckten
Speichen besitzen nur noch die ehemalige Müllinger
Mühle (seit 1887 in Machtsum bei Hildesheim ste-
hend), die Mühlen in Wettmar und Borstel.
Erst mit der „Französischen Zeit" 1806 bis 1813 unter
napoleonischer Herrschaft lernte man auch in Hanno-
ver und Umland Weizenmehlprodukte im größeren
Umfang kennen und nach Abzug der Franzosen be-
gannen sich die Ernährungsgewohnheiten zu ändern.
 
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