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Hagen, Rüdiger; Neß, Wolfgang; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Mühlen in Niedersachsen: Region und Stadt Hannover — Petersberg: Michael Imhof Verlag, Heft 44.2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.51272#0060
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Mühlen in Niedersachsen
Region und Stadt Hannover

zelne Industriebetriebe als Zulieferer von Mühlenteilen
herausgebildet.
- Viele der hiesigen Mühlen waren veraltet und we-
nig leistungsfähig. In der Mehrzahl waren es kleine-
re Wassermühlen mit zwischen 1 bis 3 Gängen oder
Bockwindmühlen mit maximal 2 Gängen.
Die Gründung der großen Mühlenbaufirmen
und der Zuliefererindustrie
Die Technisierung im Mühlengewerbe ging wie vie-
lerorts in Mitteleuropa von England aus und erreichte
unsere Region mit der ersten Welle der Industrialisie-
rung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Über Jahrhunderte waren die hiesigen Wind- und
Wassermühlen nach altem System betrieben wor-
den, Mahlgang und Beutelkasten bildeten in den
Mahlmühlen nahezu die einzig bekannten Maschinen.
Jeder Mahlgast brachte sein eigenes Getreide zur
Mühle, ließ es mahlen und nahm es als Mehl oder
Schrot wieder mit. Maschinen etwa zur Reinigung
des Getreides waren somit in den Mühlen nicht
notwendig. Die Mahlposten waren klein, die Arbeits-
wege kurz und somit war jede Automatisierung der
Mühleneinrichtungen nicht notwendig.
Im Mutterland der Industriellen Revolution, in Eng-
land, kannte man bereits in der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts Getreidereinigungsmaschinen, statt des
Beutelkastens rotierende Rund-oder Sechskantsichter,
und auch die Verwendung des Werkstoffs Gusseisen
für Räder, Wellen und Maschinenteile in den Mühlen.
Einzelne Ingenieure und Techniker, vor allem John
Smeaton aus Leeds, machten Versuche zur Optimie-
rung von Wasserrädern und Windmühlenflügeln. Und
nicht zuletzt betrieb man in England schon vor 1800
auch einige Dampfmühlen.
Durch die politischen Verflechtungen Hannovers mit
Großbritannien bis zur Auflösung der Personalunion
1837 kam es vereinzelt auch schon frühzeitig zu ei-
nem Technologietransfer englischer Mühlentechnik,
wenn auch zunächst sehr zögerlich. Auffällig ist da-
her in Hannover und Umland der recht frühe Einsatz
von Sechskant- oder Rundsichtern an Stelle der alten
Beutelkisten. Ein Müllergeselle Matthei, der von der
Turmwindmühle auf dem Lindener Berg vor Hannover
stammte, machte in den 1730er Jahren dem Magis-
trat der Stadt Göttingen eine Skizze zu einer neuar-
tigen Beutelmaschine. Deutlich ist aus der erhalten
gebliebenen Zeichnung ein Sechskantsichter zu er-
kennen. Nach 1800 bürgerten sich diese Maschinen
hierzulande allgemein zunächst in Windmühlen, spä-
ter auch in Wassermühlen ein. Interessant ist auch die
Tatsache, dass in der besagten Turmwindmühle auf
dem Lindener Berg schon vor und um 1800 laut erhal-
ten gebliebener Taxationen das wohl erste gusseiserne

Räderwerk in einer Mühle der Region in Form einzel-
ner Zahnräder am Innenkrühwerk zum Vordrehen der
Kappe verwendet worden ist, die Kappe sich weiterhin
auf „27 eisernen Walzen" drehen ließ (s. Abb. S. 39).
Einen richtigen Technologieschub der englischen Ver-
mahlungstechniken in unserer hiesigen Mühlenland-
schaft gab es ab den 1840er Jahren, als auch durch
den Bau der ersten Eisenbahnen englische Ingenieure
und Techniker in großer Zahl in diese Region gekom-
men waren.
Im benachbarten Braunschweig hatte diese Entwick-
lung bereits ein Jahrzehnt zuvor begonnen. Dort
hatten bereits 1832 im Auftrag der Braunschweiger
Kaufleute Gebrüder Haase englische Techniker die
erste Dampfmühle des Herzogtums als Getreide- und
Ölmühle errichtet. Und 1837/38 ließen die Braun-
schweiger Verlegerbrüder Vieweg im Braunschweig
vorgelagerten Ort Wendhausen eine Holländerwind-
mühle nach englischem System mit 5 Flügeln errich-
ten. Viewegs sind zuvor mehrfach nach Leeds und
Manchester gereist, um sich neuartige Maschinen
zur Papierherstellung und zum Drucken anzuschau-
en, haben aber auch laut Aufzeichnungen Kontakte
zu englischen Mühlenbauern gehabt. Wahrscheinlich
entstand die Wendhäuser Fünfflügelmühle auch als
eine Art Nebenprodukt des 1838 vollendeten Baus der
ersten Deutschen Staatseisenbahn von Braunschweig
nach Wolfenbüttel, bei dem sich englische Ingenieure
und Techniker, so auch der Sohn des berühmten Ma-
schinenbauers Blenkinsop, der unter anderem auch
mit der sehr bekannten englischen Mühlenbaufirma
Fenton & Murray aus Leeds zusammen gearbeitet hat,
in größerer Zahl aufhielten. An dieser Mühle wurden
erstmals in der näheren Umgebung und vermutlich
erstmals in Niedersachsen eine Windrose zum Vordre-
hen der Kappe sowie Jalousieflügel eingesetzt, weiter-
hin vollständig gusseisernes Räderwerk.
Die erste Dampfmühle im Königreich Hannover ließ
nicht lange auf sich warten. 1833 wurde sie in Rethen
vor Hannover durch den Lieutnant Hartmann errich-
tet. Die neue Technologie war jedoch scheinbar zu
unausgereift und kostenintensiv, so wurde die Dampf-
mühle bereits 1835 wieder stillgelegt und bezeichnen-
der Weise 1839 durch eine Windmühle im Nachbarort
Gleidingen ersetzt.
Auch den fünfflügeligen Windantrieb probierte
man bald im Hannoverschen aus. Der häufig für die
Hannoversche Regierung tätige Mühlenbaumeister
Sprengell aus Lüneburg konstruierte 1845 bis 1847
eine solche fünfflügelige Holländermühle nach eng-
lischem Vorbild vor dem Geller Tor in Burgdorf als
Getreide- und Ölmühle. Sprengell war scheinbar in
seiner Zeit noch ein Einzelgänger hierzulande, eher
ein Theoretiker, der sich mit neuen Erfindungen aus
dem Mühlenbauwesen intensiv auseinandersetzte. So
konstruierte er beispielsweise auf dem Papier 1849
eine komplett neue Maschinenanlage mit einer da-
 
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