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Ähnliche Vorbehalte lassen sich gegen die Zuschreibung an
Gentz nicht vorbringen. Bei ihm erfüllen sich alle Bedingun-
gen der Ausbildung, der Studienreisen, der eigenen Lehre
und selbständiger Gestaltungskraft ebenso wie der freund-
schaftlichen Nähe zu Friedrich Gilly, die als Abhängigkeit
sicher falsch interpretiert ist. Sein Münzgebäude erschien
uns eingangs als der Berliner Bau um 1800, der dem Vie-
weg-Haus besonders nahe steht. Andere Baugedanken von
Gentz, etwa im Weimarer Schloß, zeigten enge Verwandt-
schaft zu Gestaltfindungen in Braunschweig. Sein langjähri-
ger römischer Aufenthalt würde die detaillierte Kenntnis älte-
rer und zeitgenössischer Palastbauten erklären. Das nach-
drückliche Eingehen auf städtebauliche Einbindung mußte
ihm, als Professor für Stadtbaukunst an der Berliner Bauaka-
demie, naheliegen. Das deutliche Echo von Skizzen Friedrich
Gillys findet bei ihm eine ungezwungene Erklärung. Anders
als im Falle der Berliner Münze, deren Entwurf in die Zeit der
Studienreisen Friedrich Gillys fällt, ist beim Vieweg-Haus das
Gespräch der Freunde und der Austausch von baulichen
Vorstellungen sicher zu erwarten. Eingehende Analyse kann
allerdings auch zeigen, daß die Durchdringung der Bauauf-
gabe - von der städtebaulichen Einbindung bis zum in Varia-
tion und Zitat ausgebreiteten Detail - folgerichtig und von
einheitlicher Handschrift ist. Nur so konnte das Haus am
Burgplatz zu der künstlerischen Leistung werden, als die es
vor uns steht.
Zusammenfassung
Friedrich Vieweg hat mit seinem Auftrag die Erwartungen des
Landesherren in einer Weise erfüllt, die uns Achtung abver-
langt. Er hat einen Bau geschaffen, der nicht nur alle Tenden-
zen seiner Zeit wie in einem Brennglas sammelte, sondern
auch seinerseits neue Maßstäbe setzte. Wir versuchten dies
deutlich zu machen, indem wir ihn in den weiteren Rahmen
des europäischen, dann in den engeren des deutschen und
Berliner Neoklassizismus, schließlich in den engsten des
Braunschweiger Baugeschehens stellten. Die Konzeption
erschien dabei als eine Einheit, die zwar in Schritten zu ver-
wirklichen, aber nur in eins zu erdenken war. Das Vieweg-
Haus ist der überzeugende Versuch, die städtebauliche Ein-
bindung, die gestalterische Durchformung und die Nut-
zungsvielfalt des italienischen Palastbaus mit dem bürger-
lichen Wohn- und Geschäftshaus Deutschlands zu ver-
schmelzen. Die künstlerische Sprache folgt nicht nur dem
europäischen Neoklassizismus, sondern entwickelt ihn in
einer selbständigen Weise weiter, die aus der Spannung von
geschichtlichem Wissen und gesetzmäßigem Gestalten ihre
Kraft zieht. Durch die tätige Mitwirkung von förderndem Für-
sten, auftraggebendem Unternehmerund planendem Archi-
tekten an der geistigen Situation der Zeit wird das Vieweg-
Haus über die Baugeschichte hinaus zu einem wichtigen
Denkmal der deutschen Klassik, zu einer architektonischen
Interpretation ihrer Gedankenwelt, der Werke aus Literatur
und Philosophie, und so zu einem bürgerlichen Gegenstück
des mit Goethe so eng verknüpften Bauvorhabens, des Wei-
marer Schlosses. Es gibt einen Maßstab an die Hand für die
schöpferischen Kräfte, die in einer erschütterten Zeit nach
vorne drängten, und deren Verwirklichung in der napoleoni-
schen Katastrophe europäischer Geschichte infrage gestellt
wurde, ein Geschehen, das Braunschweig politisch hart traf.
Das Vieweg-Haus, ein Kulturdenkmal von hohen Graden
also, heute - vielleicht wieder für den Zeitgeist charakteri-
stisch - als Museum einer anspruchsvollen Aufgabe gewid-
met.

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