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Das Vieweg-Haus als ein Domizil
des Braunschweigischen Landesmuseums
Rolf Hagen

Daß die Absicht eines Museums, ein Baudenkmal als künfti-
ges Domizil zu nutzen und zu diesem Zweck im Inneren die-
ses Hauses die erforderlichen Veränderungen vorzuneh-
men, nicht nur auf großes Interesse stößt, sondern auch zu
zahlreichen Stellungnahmen herausfordert, scheint auf den
ersten Blick erfreulich, auch verständlich. Merkwürdig mu-
tete es freilich an, daß eine Reihe von Fachleuten - darunter
auch solche aus dem Museumswesen - ohne Kenntnis des
Gebäudes, seines Zustandes, seiner Baugeschichte oder
gar der Absichten der Museumsleitung bzw. der Pläne der
Architekten, allein aufgrund einseitiger Information ihr Votum
oder ihre gutgemeinten Ratschläge sozusagen als Fern-
diagnose abgab.
So konnte es geschehen, daß den Beteiligten die schlimm-
sten Absichten unterstellt wurden, zumal in wirkungsvoller
Vereinfachung gleich von einer „Zerstörung“ des Vieweg-
Hauses gesprochen und geschrieben wurde. Staatliche
oder auch kommunale Institutionen befinden sich in solchen
Fällen oft in einer schwierigen Lage: aus verschiedenen
Gründen ist es ihnen nicht immer möglich, in wünschens-
werter Weise und vor allem mit der gebotenen Schnelligkeit
zu reagieren. Das gilt vor allem dann, wenn - wie im vorlie-
genden Fall - ein kompliziertes Verfahren unter Beteiligung
von mehreren Dienststellen abläuft. Knappe und nüchterne
Hinweise auf den Sachstand werden von der Öffentlichkeit
kaum zur Kenntnis genommen oder erweisen sich als nicht
geeignet, um lautstarke und oft genug wiederholte Polemik
wirkungsvoll zu entkräften. Jetzt scheint jedoch der Zeit-
punkt gekommen, den ganzen Sachverhalt auch einmal aus
der Sicht des betroffenen Instituts eingehend darzustellen.
Zum besseren Verständnis der Zusammenhänge mag es er-
laubt sein, auch die „Vorgeschichte“, die zur gegenwärtigen
Situation geführt hat, in kurzer Zusammenfassung zu schil-
dern.
Das Braunschweigische Landesmuseum ist seit seiner
Gründung als Vaterländisches Museum in historischen Ge-
bäuden untergebracht. Die Bereitschaft dazu war stets vor-
handen und hat schließlich auch zum Ankauf des Vieweg-
Hauses geführt. Natürlich liegen auch entsprechende Erfah-
rungen vor, und zwar gerade bei der gegenwärtigen Mu-
seumsleitung, die für die Entscheidung zur erneuten Über-
nahme eines Baudenkmals als Museumsgebäude Verant-
wortung trägt.
Schon die große Erinnerungsausstellung „Braunschweig in
den Jahren 1806 bis 1815“, die unmittelbar zur Gründung
des Vaterländischen Museums - als Vorgänger des Landes-
museums - führte, fand 1890 in der gotischen Aegidienkir-
che statt, die dann für die Zeit von 1902 bis 1945 Hauptaus-
stellungsraum des Museums geworden ist. Von der Grün-
dung 1891 bis 1902 war das Vaterländische Museum im
Nordflügel des ehemaligen Paulinerklosters am Bohlweg un-
tergebracht, das zehn Jahre vorher vom jetzigen Herzog
Anton Ulrich-Museum geräumt worden war. Als das ehema-
lige Dominikaner-Kloster dem Neubau eines Gebäudes für
die Staats reg ierung weichen mußte, hat der damalige Mu-

seumsvorstand nicht nur den Vorschlag gemacht, die zum
Abbruch bestimmten romanischen Klausurräume des einsti-
gen Aegidienklosters als neues Domizil vorzusehen und sie
damit vor der Zerstörung zu retten, sondern auch den Chor
der Pauliner-Klosterkirche abzubauen und parallel zur Aegi-
dienkirche wieder zu errichten, um ihn ebenfalls für das Mu-
seum zu nutzen und damit seine Bausubstanz der Nachwelt
zu erhalten. Als das Vaterländische Museum 1906 endgültig
die neuen Räume in der Aegidienkirche, in den Klausurresten
des ehemaligen Benediktinerklosters und im hinzugefügten
Chor der Pauliner-Klosterkirche bezog, entstand eine An-
lage, die hierzulande ihresgleichen suchte. Der erste haupt-
amtliche Leiferdes noch jungen Instituts, Prof. Dr. Karl Stein-
acker, als Mitverfasser der „Bau- und Kunstdenkmäler des
Herzogtums Braunschweig“ besonders sensibel für die Wir-
kung von Architektur, sprach deshalb davon, daß die Auf-
stellung der Sammlung zwar nur provisorisch, die Gebäude
selbst aber „der eindrucksvollste Sammlungsgegenstand
des Museums“ seien,1 ein Wort, das - ohne die Einschrän-
kung - im gleichen Sinne künftig auch für das Vieweg-Haus
gelten kann.
Die Auswirkungen und Folgen des Zweiten Weltkrieges
haben das Braunschweigische Landesmuseum wie wenige
andere vergleichbare Einrichtungen in Niedersachsen in Mit-
leidenschaft gezogen. Das Gebäude, in dem die Vor- und
Frühgeschichte untergebracht war, der ehemalige „Wil-
helmsgarten“, wurde völlig zerstört. Das gleiche Schicksal
erlitt ein Bortfelder Bauernhaus im Museumsgarten. Die
1944 und 1945 schwer beschädigte Aegidienkirche wurde
der katholischen Kirchengemeinde in Braunschweig für die
durch Brandbomben zerstörte Nikolaikirche zunächst
pachtweise und später käuflich überlassen. Der Pauliner-
chor, der ebenfalls erhebliche Kriegsschäden aufwies,
konnte nur zögernd restauriert werden.
Da mußte es die Museumsleitung als glückliche Fügung be-
trachten, daß die ehemalige Herzogliche Kanzlei aus dem
16. Jahrhundert in Wolfenbüttel, die das Niedersächsische
Staatsarchiv wegen mangelnder Eignung geräumt hatte,
wenigstens die Abteilung Vor- und Frühgeschichte aufneh-
men konnte, und zwar vorläufig, wie man zunächst meinte.
Im Januar 1960, ein Jahr nach deren provisorischer Eröff-
nung, konnte das Landesmuseum nach Abschluß der In-
standsetzungsarbeiten am Paulinerchor auch die übrigen
verbliebenen Schauräume der Öffentlichkeit wieder zugäng-
lich machen. Mit diesem Raumbestand - einem Sechstel der
früheren Ausstellungsfläche und ebenso unzureichenden
wie ungeeigneten Magazinen, Werkstätten und Arbeitsräu-
men - übernahm der Verfasser 1965 die Leitung des Braun-
schweigischen Landesmuseums und zugleich den Auftrag,
„dem traditionsreichen Museum auch die räumlichen Vor-
aussetzungen zur Erfüllung seines Auftrages zu verschaf-
fen“.2 Darunter konnte nach damaliger Auffassung zuständi-
ger Behörden nur ein Neubau verstanden werden, für den
auch gewisse Vorüberlegungen angestellt worden waren.

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