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DER ÖLBAUMGIEBEL.

(Hierzu Tafel VI.)

Mein Weg führte mich Jahre lang an einem Haus vorbei, das an
jeder Ecke seiner Straßenseite mit einem Relief geschmückt war. Das
eine der beiden Reliefs zeigte den Zustand des Hauses in der Zeit des
Vaters des jetzigen Besitzers, das andere aber führte ein noch friiheres
Stadium vor und versetzte in Großvaters Zeiten. Jeder wird ähnliche
Beispiele aus seiner Erfahrung beisteuern können, man wird das Verfahren
auch noch ein gutes Stiick iiber das XIX. Jahrhundert hinauf verfolgen
können, aber bei einiger Überlegung doch davor zurückschrecken, es in
das frühe VI. Jahrhundert v. Chr. ohne Not hineinzuprojizieren. Man
riss, so sagt man, damals ein altes Walmdachtempelchen der Athena
nieder, baute an seiner Stelle einen Antentempel neuesten Stils, verewigte
aber im Giebelbild (Wiegand, Porosarchitektur S. 197; Heberdey, Poros-
skulptur S. 16) den alten primitiven Bau fiir die kommenden Geschlechter.
Nach allem, was wir von altarchaischer Kunst wissen, ist das reichlich
unwahrscheinlich. Ganz irn Gegenteil müssen wir annehmen, daß der
Meister, der sich so innig und liebevoll in sein kleines Bauwerk versenkt
hat, gerade etwas Neues zeigen wollte. Es erscheint fraglich, ob dieses
Neue ein Tempel gewesen sein kann. Ein Blick auf den Amphiaraoskrater
(F.-R. 121) oder auf die Frangoisvase (F.-R. 1 und 11) lehrt, daß jene
Kunst Antengebäude und Vorhallen, Gebälk und Giebeldächer, wenn
sie es wollte, mit großer Deutlichkeit vor Augen stellte; und so liegt es
nahe, in unserm Häuschen einen einfacheren Gebäudetypus zu sehen.

Damit entfiele allerdings die ganze Deutung auf eine Tempelprozes-
sion, die sich in der archäologischen Literatur der letzten Jahrzehnte
eines großen Ansehens erfreut hat. Man kann nicht leugnen, daß sich diese
Deutung auf eine ganze Reihe gleichzeitiger Prozessionsbilder berufen

Athen. Mitteilungen XXXXVII 1922 6
 
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