Mitte des Jahrhunderts sich entwickelnden Realis-
mus in sich tragend, war im Anfang durch die
zeitgenössischen, idealisierende, mit einem vor-
romantischen Sentimentalismus und mit einigen
Finessen der Rokokomalerei verbundenen Tendenz
verdrängt; als Beweis hiefür dient das ausge-
zeichnete Bildnis von M. I. Lopuchinowa aus dem
Jahre 1797, das sich jetzt in der Tretjakow-Galerie
in Moskau befindet. Das Zeitintervall der einen
Dekade, die dem Grossen Vaterländischen Krieg
voranging, machte aus dem in seinem Familien-
kreis eingeschlossenen Privatmann ein bürgerlich
bewusstes Individuum; es hat aus dem Schaffen
Borowikowskij’s die wehmütige Sentimentalität
und Manierlichkeit ausgemerzt und sein bürger-
liches Bewusstsein zur Geltung gebracht.
Es ist charakteristisch, dass die Arbeiten Rom-
bauers mit dem Werk von Borowikowskij auf dem
Gebiete kontaktieren, auf welchen Borowikowskij
die obengeschilderte Portrait-Manierlichkeit des
18. Jahrhunderts, die unter dem Einfluss des
französischen „ancien régime“ zustandekam, fallen
lässt, also dort, wo er die Idealisierung verlässt,
Üeberempfindlichkeit meidet und sich vom ge-
künsteltem Rokoko-Kolorit befreit, um die Quali-
tät der lokalen Farbe gelten zu lassen. Vor al-
lem aber dort, wo anstelle der Idealisierung
eine menschlich überzeugende Charakterisierung
kommt, die auf die natürliche, psychologisch
erklärliche Interpretation des Modells basiert ist.
Im allgemeinen sind es Borowikowskij’s spätere
Werke aus dem zweiten Jahrzehnt des 19. Jahr-
hunderts. Wie wir jedoch weiter zeigen werden,
ist es möglich, dass sich Rombauer einige Stimuli
und Impulse von Borowikowskij schon früher
angeeignet haben dürfte. So z. B. war Borowikow-
skij’s Bildnis von N. I. Dubowicka aus dem Jahre
180930 mit seinem natürlichen, ungezwungenen
Ausdruck und in seiner bürgerlich familiärep
Präsentation sicherlich in Ueberseinstimmung mit
Rombauers Tendenzen und konnte seine ganze
künstlerische Richtung nur unterstützen. Es war
jedoch nicht nur die bürgerliche Plattform — mit
ihrem Einfluss auf die kompositonelle Struktur
und mit einer objektiven, empirischen Beobach-
tung — auf der sich der Ausdruck der beiden
Künstler traf. Die auf Details ausgerichtete
Aufmerksamkeit bringt weitere Analogien und
Berührungspunkte hervor. Aehnliche, bis an das
Eekoratisierende grenzende Tendenzen, wie sie
z. B. beim Arrangement des Kaschmirschals oder
an der reich geschmückten Haube auf dem Du-
bo wickaja-Bild zu beobachten sind, hat auch
Rombauer mit Vorliebe angewendet, u. zw. nicht
nur im Kreise seiner russischen weiblichen Auf-
traggeber, sondern auch noch nach seiner Rückkehr
in die Slowakei (Bildnis der Gräfin Forgäch, 1830,31
Bildnis der Frau Hellner,32 Bildnis einer alten
Dame mit einer mit blauen Bändern geschmückten
Haube33). Das Bildnis der N. I. Dubowickaja
definiert typisch für längere Zeit Rombauers
Kammer-, nichtoffizielles Frauenbildnis, auch wenn
bemerkt werden muss, dass bei seinem Festhalten
an der äusseren Charakteristik Rombauer nicht
Borowikowskij’s psychologische Tiefe erreicht.
Dies ist der Grund, warum trotz des Momentes
der internen Ausstrahlung, das am Portrait der
Dubowickaja das Gesicht dieser nicht mehr jungen
Frau, dessen Züge zu markant sind, um es ob-
jektiv als schön bezeichnen zu können, so durch-
geistigt, vermenschlicht und verschönert, Rom-
bauer nicht imstande ist die Intensität zu ent-
wickeln wie dies seinem älteren russischen Zeit-
genossen gelang, und die sich somit schon den
Intentionen des psychologischen Portraits nähern.
Das Bildnis der Eleonora Iljinskaja aus dem Jahre
1812, auf welchen der Künstler auf den Lippen
der Portraitierten ein kaum bemerkbares Lächeln
und auf dem Gesicht gleichzeitig einen konzen-
trierten Ausdruck erscheinen lässt, kann zwar ein
in dieser Richtung erfolgreicher Versuch betrach-
tet werden, doch im Vergleich zu Borowikowskij’s
Portrait der Dubowickaja bleibt das ganze Re-
gister der seelischen und Gefühlsemotionen des
Modells trotzdem bescheiden. Andererseits geht es
Rombauer, ebenso wie Borowikowskij, immer um
eine unmittelbare Treue und volle Bewahrung
der Individualität ihrer Modelle, also nicht nur
um eine Abbildung von Trägern allgemeiner
Ideale; dies ist eine wichtige Anschauungsdeter-
minante der beiden Künstler insbesondere bei
der Interpretation männlicher Portraits.
Borowikowskij’s Portraits des Fürsten A. A.
Dolgorukow und der Fürstin M. I. Dolgorukowa
aus dem Jahre 1811 stellen einen weiteren Beweis
von weiteren gemeinsamen — sowohl konzep-
tionellen als formalen — Schaffungstendenzen
der beiden Künstler dar. Das aus dem Jahre 1819
datierte Bildnis des Ministers D. P. Troschinskij35
steht dann schon ganz nahe gerade der Konzeption
41
mus in sich tragend, war im Anfang durch die
zeitgenössischen, idealisierende, mit einem vor-
romantischen Sentimentalismus und mit einigen
Finessen der Rokokomalerei verbundenen Tendenz
verdrängt; als Beweis hiefür dient das ausge-
zeichnete Bildnis von M. I. Lopuchinowa aus dem
Jahre 1797, das sich jetzt in der Tretjakow-Galerie
in Moskau befindet. Das Zeitintervall der einen
Dekade, die dem Grossen Vaterländischen Krieg
voranging, machte aus dem in seinem Familien-
kreis eingeschlossenen Privatmann ein bürgerlich
bewusstes Individuum; es hat aus dem Schaffen
Borowikowskij’s die wehmütige Sentimentalität
und Manierlichkeit ausgemerzt und sein bürger-
liches Bewusstsein zur Geltung gebracht.
Es ist charakteristisch, dass die Arbeiten Rom-
bauers mit dem Werk von Borowikowskij auf dem
Gebiete kontaktieren, auf welchen Borowikowskij
die obengeschilderte Portrait-Manierlichkeit des
18. Jahrhunderts, die unter dem Einfluss des
französischen „ancien régime“ zustandekam, fallen
lässt, also dort, wo er die Idealisierung verlässt,
Üeberempfindlichkeit meidet und sich vom ge-
künsteltem Rokoko-Kolorit befreit, um die Quali-
tät der lokalen Farbe gelten zu lassen. Vor al-
lem aber dort, wo anstelle der Idealisierung
eine menschlich überzeugende Charakterisierung
kommt, die auf die natürliche, psychologisch
erklärliche Interpretation des Modells basiert ist.
Im allgemeinen sind es Borowikowskij’s spätere
Werke aus dem zweiten Jahrzehnt des 19. Jahr-
hunderts. Wie wir jedoch weiter zeigen werden,
ist es möglich, dass sich Rombauer einige Stimuli
und Impulse von Borowikowskij schon früher
angeeignet haben dürfte. So z. B. war Borowikow-
skij’s Bildnis von N. I. Dubowicka aus dem Jahre
180930 mit seinem natürlichen, ungezwungenen
Ausdruck und in seiner bürgerlich familiärep
Präsentation sicherlich in Ueberseinstimmung mit
Rombauers Tendenzen und konnte seine ganze
künstlerische Richtung nur unterstützen. Es war
jedoch nicht nur die bürgerliche Plattform — mit
ihrem Einfluss auf die kompositonelle Struktur
und mit einer objektiven, empirischen Beobach-
tung — auf der sich der Ausdruck der beiden
Künstler traf. Die auf Details ausgerichtete
Aufmerksamkeit bringt weitere Analogien und
Berührungspunkte hervor. Aehnliche, bis an das
Eekoratisierende grenzende Tendenzen, wie sie
z. B. beim Arrangement des Kaschmirschals oder
an der reich geschmückten Haube auf dem Du-
bo wickaja-Bild zu beobachten sind, hat auch
Rombauer mit Vorliebe angewendet, u. zw. nicht
nur im Kreise seiner russischen weiblichen Auf-
traggeber, sondern auch noch nach seiner Rückkehr
in die Slowakei (Bildnis der Gräfin Forgäch, 1830,31
Bildnis der Frau Hellner,32 Bildnis einer alten
Dame mit einer mit blauen Bändern geschmückten
Haube33). Das Bildnis der N. I. Dubowickaja
definiert typisch für längere Zeit Rombauers
Kammer-, nichtoffizielles Frauenbildnis, auch wenn
bemerkt werden muss, dass bei seinem Festhalten
an der äusseren Charakteristik Rombauer nicht
Borowikowskij’s psychologische Tiefe erreicht.
Dies ist der Grund, warum trotz des Momentes
der internen Ausstrahlung, das am Portrait der
Dubowickaja das Gesicht dieser nicht mehr jungen
Frau, dessen Züge zu markant sind, um es ob-
jektiv als schön bezeichnen zu können, so durch-
geistigt, vermenschlicht und verschönert, Rom-
bauer nicht imstande ist die Intensität zu ent-
wickeln wie dies seinem älteren russischen Zeit-
genossen gelang, und die sich somit schon den
Intentionen des psychologischen Portraits nähern.
Das Bildnis der Eleonora Iljinskaja aus dem Jahre
1812, auf welchen der Künstler auf den Lippen
der Portraitierten ein kaum bemerkbares Lächeln
und auf dem Gesicht gleichzeitig einen konzen-
trierten Ausdruck erscheinen lässt, kann zwar ein
in dieser Richtung erfolgreicher Versuch betrach-
tet werden, doch im Vergleich zu Borowikowskij’s
Portrait der Dubowickaja bleibt das ganze Re-
gister der seelischen und Gefühlsemotionen des
Modells trotzdem bescheiden. Andererseits geht es
Rombauer, ebenso wie Borowikowskij, immer um
eine unmittelbare Treue und volle Bewahrung
der Individualität ihrer Modelle, also nicht nur
um eine Abbildung von Trägern allgemeiner
Ideale; dies ist eine wichtige Anschauungsdeter-
minante der beiden Künstler insbesondere bei
der Interpretation männlicher Portraits.
Borowikowskij’s Portraits des Fürsten A. A.
Dolgorukow und der Fürstin M. I. Dolgorukowa
aus dem Jahre 1811 stellen einen weiteren Beweis
von weiteren gemeinsamen — sowohl konzep-
tionellen als formalen — Schaffungstendenzen
der beiden Künstler dar. Das aus dem Jahre 1819
datierte Bildnis des Ministers D. P. Troschinskij35
steht dann schon ganz nahe gerade der Konzeption
41