Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das Kleid war ihr aufgegangen und über die Schulter hinab geglitten. Da spürte sie mit ihren
nackten Armen die kalten Fledermausflügel in den Armhöhlen des Mannes, den sie umschlungen
hielt. Unter dem lösenden Sternenlicht, das nah in sein Angesicht funkelte, schmolzen die
letzten schwarzen Flocken hin, sein Gesicht wurde frei, er schlug die Augen auf. Er schloß
sie gleich wieder, geblendet von dem Glanze.
Aber er hatte genug gesehen.
Freitag, Sternenlicht im Haus! rief er aus.
Samstag, Flader-Fledermaus! erwiderte sie jubelnd.
Und so hatten sie sich denn.
Eilig zog sie ihn aus dem Turme hinaus ins Freie. Du warst der letzte, der gefehlt hat, sagte
Freitag. Die andern Geschwister sind schon alle da. Sie warten auf uns.
O, ich weiß, sagte Samstag; sie warten auf der runden Waldwiese, wo der hohe Eichbaum steht.
Nein, sie stehen dort auf der Straße'; siehst Du sie nicht?
Wir kommen! rief sie hinüber.
Da eilten die Geschwister her und grüßten ihren jüngsten Bruder. Sie zeigten ihm ihre
Merkmale und betasteten das seine, und sie weinten zusammen vor großer Freude.
Als sie wieder ruhiger geworden waren, sah sich Freitag um und sagte:
Wo sind wir denn hingeraten? Wo ist denn unsere Straße? Wir haben ja gar keine harte
Bahn mehr unter den Füßen, sondern weichen Rasen.
Ei, rief Samstag. Wir sind recht. Das ist ja die runde Wiese und dort steht die hohe Eiche.
Die Geschwister faßten sich an den Händen und gingen in einer langen Reihe auf die Eiche
zu, sie gingen dem Alter nach; gegen Morgen zu begann die Reihe mit Sonntag, und Samstag
beschloß sie gegen Abend.
Während sie still und froh über die schimmernde Wiese hingingen, wurde das Sternenlicht,
das bisher ihren Weg geleuchtet hatte, immer blasser und matter und schwand ganz dahin
Bald hatten sie kein anders Licht mehr als das vom Himmel zu ihnen herniederstrahlte. Da
fing Sonntag an und sagte:
Ich hatte von Gold ein Fingerlein,
Jetzt ist es wieder Fleisch und Bein.
Montag fuhr fort und sprach:
Mein Öhrlein war starr und blausilberbleich,
Jetzt ist es rosig und zart und weich.
Dienstag hüb 'also an:
Mein Nagel am Zeh war von scharfem Eisen.
Er ist jetzt hörnen; ich kanns Euch weisen.

Mittwoch sprach:

Ich zupfe mein mittelstes Härlein aus.
Einst wars ein Hahn, jetzt ist’s eine Maus.
 
Annotationen