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MIRJAM: Und die Myrrhen . . .
RECHA: Wozu Düfte, wenn Deine Kammer leer bleibt?
MIRJAM (leise unsicher.): Hat er nicht gesagt: vielleicht?
RECHA: O Mirjam . . . wo ist Dein Stolz?
MIRJAM (steht auf und geht hin und her.): „Ich will aufstehen und in der Stadt umgehen auf
den Gassen und Straßen, und suchen, den meine Seele liebet . . .“ Spricht nicht also die
Braut Salomonis? ... O es ist mir eng! Ich ersticke! Ich hab’ eine alte Weissagung: Im
Frühling werde ich sterben! . . . Ich bin wie ein Feigenbaum voll reifer Früchte: Noch kurze
Weile, dann platzen sie und fallen und faulen im Kot . . . Aber der, dem sie winken, gehet
vorbei und pflückt sie nicht . . .
RECHA: Du bist wie ein törichter Kaufmann, der seine ganze Ware auf ein Schiff gepackt
hat . . . Aber ich will nicht mehr davon reden! Die Galle schwillt mir . . . Ein Dämon hat
Dich behext . . . Ich will ein Opfer geben für den Tempel, daß Du wieder vernünftig werdest!
(Sie hat währenddessen das Sandelholz und die Myrrhen angezündet. Ein angenehmer Geruch verbreitet sich.)
MIRJAM: Du meinst es ja gut . . .
RECHA: So iß wenigstens!
MIRJAM: Ein paar Traubenbeeren . . . sonst nichts . . . Der Hals ist mir wie zugeschnürt . . .
RECHA: Und trink einen Schluck Wein! Ungegessen ist der Mensch ein Nichts. Ein Haus
ohne Menschen. Eine Lampe ohne Öl. Trübsal und Zweifel quälen ihn . . .
MIRJAM (hat eine Weintraube genommen und entbeert sie langsam): Da ich vor einer Stunde am
Fenster saß und auf die Straße blickte, ging der fremde Rabbi vorbei. Es waren seine Jünger
bei ihm. Er sprach mit ihnen. Und sie hörten voll Andacht zu. Sie waren Kindern ähnlich,
denen man süße Früchte austeilt . . . Und als sie mich sahen, da blickten sie weg und machten
das Zeichen wider Unreines. Er aber, der fremde Rabbi, sah mich mit den rätselhaften Augen
lange an. Es ist merkwürdig, was er für Augen hat! Ich entsinne mich gar nicht, solche
gesehen zu haben . . . Warum sah er mich an, der Heilige? Da er doch weiß, daß ich unrein
bin? Eine Dienerin der Liebe?
RECHA: Er wird Dich nicht mehr lange ansehen! Man ist hinter ihm her! Und wenn sie
ihn festhalten können, dann wehe ihm! Es ist nicht unmöglich, daß Du ihn vorbeiziehen
sehen kannst in einigen Tagen . . . Da werden aber wenig Jünger um ihn sein . . . und
sie werden auf seine Worte nicht warten wie Kinder auf süße Früchte . . .
MIRJAM: Wie meinst Du das?
RECHA: Die Priester sind ihm böse gesinnt ... Er ist vor zweien Tagen eingezogen in die
Stadt wie ein König! Man hat ihm Blumen gestreut und Palmen entgegengehoben und ihn
Davids Sprossen, den Messias, den Verheißenen, genannt . . . Das können sie nicht ertragen
im Tempel!

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