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Badische Kunst: Jahrbuch d. Vereinigung Heimatliche Kunstpflege, Karlsruhe — 3.1905

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Wollf-Friedberg, Johanna: Das Märchen vom Vogel Kwi-di-witt
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https://doi.org/10.11588/diglit.52694#0083
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holen; meine große Schwester geht auf einen Ball, ich liebe sie sehr, aber auf Bäume klettern
kann ich nicht.“
„Gerne“ sagte Kwi-di-witt, flugs flog er fort, war wieder da und gab dem Maulwurf ein wunder-
volles gefedertes Akazienblatt. „So, danke vielmals herzlich“, sagte dieser.
„Kann deine Schwester tanzen?“ fragte Kwi-di-witt.
„Großartig“, rühmte der Dicke. „Nun aber paß auf“, fuhr er fort, „ich schlupfe unter die Erde
und belausche die schwatzhaften Würzelchen; was die Blüten nie verraten wollen, schwatzen
die Wurzeln aus. Ich lockere einfach die Erde, und du holst sie. Adieu!“
Gesagt, getan; auf einmal wackelte eine Mohnblume bedenklich, und unter großem Herzklopfen
rupfte Kwi-di-witt sie ab, trug sie auf seinen Baum und rief: „Maslahu!“
Der Zauberer kam herangesaust und zählte nach. Alles war ganz richtig, und da sagte er:
„Wohlan, lieber Kwi-di-witt, die Blume heißt „Cypripedium candatum“. Ich zaubere dich zu
ihr hinüber, es ist furchtbar weit, und heimreisen mußt du allein; also bedenk es dir wohl!“
„Ich will“, sagte Kwi-di-witt entschlossen.
Da verzauberte ihn der Zauberer, und Kwi-di-witt flog, ohne es zu merken, viele, viele Wochen
über Berge, Thäler und Meere. Als er aufwachte, war er in einem fernen Wunderland. Braune
nackte Jungen liefen herum unter merkwürdigen Riesenpalmen. Blumen wuchsen hier, die
ganz dicke, stachelige Blätter hatten und Blüten wie feurige Drachen. Gesträuche gab es da,
aus denen Blätter, die wie funkelnde Schwerter blinkten, herauswuchsen. Affen kletterten
herum und bunte Papageien schrien ihre fremdartigen Namen und keiner hieß hier Jakob
oder Lora. Kwi-di-witt hielt vor lauter Staunen den Schnabel weit offen, was gar nicht gut
für ihn war, denn er bekam in dem heißen Lande gleich Durst. Er flog einer blauen dicken
Libelle nach und als er in einem Flusse getrunken hatte, fragte er ein Fräulein Lotos, das schnee-
weiß angezogen war, nach der berühmten „Orchidea Cypripedium candatum“.
„Was willst du denn bei der?“ frug das kleine Wasserfräulein sehr erstaunt. „Die will ich
heiraten“, antwortete Kwi-di-witt. Da tauchte Fräulein Lotos vor Erstaunen unter und ver-
schluckte sich dann fortwährend, so daß das Gespräch auf hören mußte. Kwi-di-witt flog
weiter und fand bald einen ganzen Wald von Orchideen; er fragte sich tapfer durch, bis er jene
eine fand, von der er geträumt hatte. Er erkannte sie sofort und war sehr begeistert von
ihrem seltsamen Wesen und Gesicht und sagte freudig: „Liebe Orchidea, ich habe von dir
geträumt, ich habe deinen schweren Namen auswendig gelernt und nun, da ich dich Gott sei
Dank gefunden habe, will ich dich heiraten. Ich heiße Fink Kwi-di-witt.“
Da mußte die Wunderblume erst laut auflachen, dann aber sagte sie freundlich: „Du gefällst
mir, Fink Kwi-di-witt; ich will dich gerne heiraten, wenn du mir stets für mein Leibgericht
sorgen willst?“
„Gerne“, lachte Kwi-di-witt, der sich sehr über den gelungenen Scherz freute. „Willst du Marien-
fäden zum Frühstück, Sonnenstäubchen zum Mittagessen und Kirschblüten des Abends?“ Sie

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