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Alt, Kurt W.; Vach, Werner; Universität Basel / Seminar für Ur- und Frühgeschichte / Jüngere und Provinzialrömische Abteilung [Mitarb.]
Basler Hefte zur Archäologie (Band 3): Verwandtschaftsanalyse im alemannischen Gräberfeld von Kirchheim, Ries — Basel: Archäologie-Verlag, 2004

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1 Einleitung
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30

Einleitung

an Skelettmaterial konnten insbesondere Rösing (1990)
und Sjovold (1984) durch beweiskräftige Ergebnisse an
Material mit (teils) bekannter Verwandtschaft darlegen.
Da der Kenntnisstand zur Genetik der primär für Ver-
wandtschaftsanalyse herangezogenen epigenetischen Merk-
male noch eher dürftig ist und die geforderten Herita-
bilitätsuntersuchungen für diese Merkmalskategorie noch
weitgehend ausstehen, ist ihr Einsatz noch umstritten.
Praktikable Vorschläge zur Auswahl und Anwendung
unterbreiten nur wenige methodisch orientierte Arbeiten
(Reinhard & Rösing 1985; Sjovold 1984). Ein Adas zum
Merkmalskomplex lässt diesbezügliche Ausführungen
weitgehend vermissen (Hauser & De Stefano 1989). Trotz
dieser Einwände fiel den epigenetischen Merkmalen unter
den Merkmalskategorien, die sich für die Analyse
familiärer Verwandtschaftsstrukturen in prähistorischen
Skelettserien eignen, lange Zeit die wichtigste Rolle zu
(Rösing 1986a). Anwendungsbeispiele der erwähnten
Merkmalssysteme für Ähnlichkeitsanalysen und die
Rekonstruktion von Familien an Skeletten aus ur- und
frühgeschichtlichen Bestattungskomplexen sind noch
eher selten und primär auf den Einzelvergleich (Ulrich-
Bochsler 1977), auf die Rekonstruktion und Identitäts-
analyse historischer Bestattungen (sog. „VIP Osteologien“)
unter Einbeziehung historischer (Jungwirth & Winkler
1979; Suzuki et al. 1967) und ethnohistorischer Quellen
(Lane 1977) oder auf Mehrfachbestattungen beschränkt
(Breitinger 1980; Stuchlikova et al. 1985; Wahl & König
1987). In Ausnahmefallen wurden sie bisher auf homogene
Populationen mit bekannter, historisch gesicherter
Individualität oder auf Gruppen mit teilweise bekannter
Verwandtschaft angewendet. Dafür stehen als Beispiele
die bereits erwähnten Beinhausschädel von Hallstatt
(Sjovold 1984) und die altägyptischen Bestattungen von
Assuan (Rösing 1990).
Eine osteologische Rekonstruktion von Polygamie
beschreiben erstmals Zhong-Pei (1985) und Strouhal
(1990). Aufgrund der archäologischen und demogra-
phischen Struktur der Gräber gelang Strouhal (1990) eine
Rekonstruktion von Kernfamilien in einer nubischen
Population (Wadi Qitna), deren Geschlechtsverteilung
die vorgetragene Vermutung (Polygamie) nahelegt Zhong-
Pei (1985) beschreibt ähnliche Strukturen in chinesischen
Kollektivgräbern (Yuanjunmiao), die patriarchal aus-
gerichtete „Clan“-Strukturen zeigen sollen. Nach Rösing
(1990) ist gerade für Ägypten die Suche nach Individuen
mit gleichem Erbgut ein Desiderat der Forschung, z.B.
für die Identifikation von Königsmumien. Unter bestimm-
ten Voraussetzungen, etwa der Annahme von Kern-

familien, wie sie für das Gräberfeld von Assuan teils zu-
treffen, konnte dort eine Ähnlichkeitsstruktur im Sinne
eng verwandter Individuen (anhand diskreter Merkmale)
herausgearbeitet werden. Sie liess sich jedoch weder
anthropologisch-statistisch, noch archäologisch absichem.
Ähnlichkeitsanalysen anhand kombinierter metrischer/
nicht metrischer Beftindgruppen haben etwa Kaufmann
(1986), Kaufmann & Schoch (1983) und Wiltschke-
Schrotta (1989) in Gräberfeldern, Felgenhauer et al. (1988)
und Stuchlikova et al. (1985) an Mehrfachbestattungen,
sowie Winkler & Prohazka (1984) an einer historischen
Adelsgrablege angewendet. Mittels des typologiefreien
Ähnlichkeitsmasses nach Penrose hat Henke (1982)
anhand zehn quantitativer Schädelvariablen geprüft, ob
Affinitäten zwischen Skelettindividuen bestehen, die
aufgrund der Bestattungsstruktur auf mögliche ver-
wandtschaftliche Beziehungen schliessen liessen. Die
angetroffene Bestattungssituation und einige Subcluster
lassen diese Vermutung gerechtfertigt erscheinen. Den
Versuch einer Ähnlichkeitsanalyse an Leichenbränden
führt Wahl (1988) erstmalig für ein Gräberfeld der
Römischen Kaiserzeit und der Völkerwanderungszeit
durch. Die Basis bildete das umfangreiche Datenmaterial
aus der metrischen Erfassung der Leichenbrände, das
versuchsweise die Beziehungen zwischen einzelnen
Zeitstufen des Gräberfeldes und zwischen ausgesuchten
Einzelindividuen durch die Erstellung von Dendrogram-
men darstellen sollte. Verschiedene recht einheitliche
Gruppen und Gruppen von untereinander sehr ähnlichen
Individuen liessen sich erkennen.
Einen allein auf metrische Merkmale gestützten Ansatz
zur Verwandtschaftsanalyse legten Hanihara et al. 1983
vor. Sie benutzen dabei für den Nachweis genetischer
Beziehungen von Individuen aus einer neolithischen
Kollektivbestattung den mesio-distalen Kronendurch-
messer bestimmter Zähne und sichern ihr Ergebnis -
statistisch signifikant - auf der Grundlage von Rezent-
studien ab. Sie begründen die Verwendung eines einzigen
Merkmals mit der strengen genetischen Kontrolle, unter
der das Merkmal stehen soll. Primär mittels epigenetischer
Merkmale haben Wahl & König (1987) ein Kollektivgrab
(Talheim) sowie Wahl & Höhn (1988) eine Mehrfach-
bestattung unter verwandtschaftlichen Gesichtspunkten
analysiert. Ausgehend vom archäologischen Befund
(gleichzeitige Grablege, Lage der Individuen und Be-
stattungsumstände) werden die erhobenen Merkmale
(Diskreta) einem Ähnlichkeitsvergleich unterzogen. Auf
einschränkende Parameter, z.B. unbekannte Ausgangs-
population bei kleiner Stichprobe (Heidelberg-Hand-
 
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