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Zusammenstellung und Interpretation der Gesamtergebnisse
5 Zusammenstellung und Interpretation der Gesamtergebnisse
Mit dem Gräberfeld von Kirchheim-Ries wurde erstmals
ein grosses frühmittelalterliches Gräberfeld mit mehreren
hundert Bestattungen verwandtschaftsanalytisch unter-
sucht Unsere bisherigen Untersuchungen zur Entdeckung
sozialer bzw. familialer Strukturen beschränkten sich mit
Ausnahme des alemannischen Gräberfeldes von
Eichstetten (Alt & Vach 2001) auf Skelettensembles, die
nicht über 100 Bestattungen hinausgingen. Die hier
zusammengefasst betrachteten Ergebnisse und deren Inter-
pretation vermitteln einen Eindruck von den Möglich-
keiten und Grenzen der morphologischen Verwandt-
schaftsanalyse bei grossen Skelettensembles. Unter
anderem konnte gezeigt werden, wie wichtig im Einzelfall
externe (archäologische) Informationen für eine optimale
Auswertung einer Skelettserie im Hinblick auf ver-
wandtschaftliche bzw. soziale Strukturen sind. Ergeben
sich archäologisch Hinweise auf wie auch immer geartete
Subgruppen im Gräberfeld, so ist diesen Zusammen-
hängen anthropologisch unbedingt nachzugehen. Bei
der Einbeziehung von externen Informationen kann es
etwa darum gehen, ob die demographische Struktur einer
vermuteten Familie ausgeglichen ist, ob sich eine weit-
gehend kontinuierliche Belegung wiederspiegelt, d.h. alle
Belegungsphasen gleich betroffen sind, ob es Gräber gibt,
die bereits archäologisch auf mögliche verwandtschaftliche
Verbindungen hinweisen (z.B. Frau/Kind), ob es auffällige
Übereinstimmungen in Grabbeigaben bei Mitgliedern
aus vermuteten Familien gibt und ob sich eventuell
Hinweise auf eine familienorientierte Bestattungsweise
finden. Auch ohne das Verfolgen externer Hinweise ist
eine gemeinsame Überprüfung gefundener Strukturen
und deren Einbindung in den archäologischen
Hintergrund nach Abschluss einer morphologischen
Verwandtschaftsanalyse unbedingt anzustreben.
Im Fall von Kirchheim/Ries lagen eine ganze Reihe
externer Informationen von den archäologischen
Bearbeitern des Gräberfeldes C. Neuffer-Müller (1983)
und L. Jorgensen (1991) vor, die eine Einbeziehung in
die morphologische Analyse nahe legten. Insbesondere
die Ergebnisse der dieser Arbeit vorausgegangenen
Verwandtschaftsanalyse von L. Jorgensen, die allein auf
der Basis archäologischer Befunde erfolgte, liessen eine
Überprüfung dieser Strukturen auf morphologischer Basis
zwingend notwendig erscheinen. Im wesentlichen wurden
folgende Analysen durchgeführt, deren Ergebnisse noch
einmal zusammenfassend interpretiert werden sollen:
Im Rahmen der Untersuchung des Gesamtgräberfeldes
standen vor allem Hinweise auf kleine, herausragende
Auffälligkeitswahrscheinlichkeiten und auf Gruppen mit
räumlicher Auffälligkeit oder auffälligen Beigabenüber-
einstimmungen im Vordergrund (Kap. 3.2). Unter der
Vorgabe räumlicher oder sozialer Kriterien wurden
darüber hinaus der sog. Adelsbestattungsplatz im Süden
des Gräberfeldes, Doppel- und Mehrfachbestattungen,
verschiedene zeitliche Stufen der Belegung sowie
geschlechts- und beigabenspezifische Gruppen analysiert
(Kap. 3.3 - 3.7). Zuletzt standen die von L. Jorgensen
archäologisch selektierten Gruppen im Mittelpunkt der
Analyse (Kap. 4).
5.1 Die Ergebnisse aus der Untersuchung des
Gesamtgräberfeldes
Bei der Analyse des Gesamtgräberfeldes (N=460) wurden
acht relativ geschlossene Strukturen entdeckt, die sich
einerseits durch hohe Merkmalsübereinstimmungen mit
entsprechenden Auffälligkeitswahrscheinlichkeiten und
andererseits durch Auffälligkeiten aufgrund überein-
stimmender Beigabentypen oder durch die räumliche
Nähe der Individuen zueinander auszeichneten. Trotz
gewisser Überschneidungen zwischen diesen Gruppen
durch Merkmalsträger, die in mehreren Familiengruppen
auftreten, ist es zulässig, die Ergebnisse als unabhängige
Hinweise auf verschiedene Familiengruppen zu deuten.
Zum einen sind bei einer höheren Zahl hypothetischer
Familien zufällige Überschneidungen unvermeidlich,
zum anderen ist unübersehbar, dass diejenigen Merk-
malsträger, die in mehreren Familiengruppen auftreten,
sich durch einen sehr guten Erhaltungszustand und damit
überdurchschnittlich mehr Merkmale auszeichnen. Bei
den räumlich auffälligen Gruppen sowie bei den Gruppen
mit auffälligen Übereinstimmungen in archäologischen
Beigaben waren die Überlappungen weniger augenfällig
als im Falle der Gruppen, die durch besondere Auffällig-
keitswahrscheinlichkeiten aufgefallen waren. Da bisher
jegliche Erfahrungen mit Verwandtschaftsgruppen in der
Merowingerzeit fehlen (Ausnahme: soziale Führungs-
schicht), andererseits Abstammung, Verwandtschaft,
Heiratsverhalten und Lokalität für die Gruppenbildung
eine wesentliche Rolle spielen (Siegmund 2000), kann
das Auftreten von mindestens acht Substrukturen für
Kirchheim-Ries noch nicht näher interpretiert werden.
Es ist kaum abzuschätzen, wie sich für Kirchheim-Ries
die Tatsache auswirkt, dass viele Verwandtschaftsgruppen -
Zusammenstellung und Interpretation der Gesamtergebnisse
5 Zusammenstellung und Interpretation der Gesamtergebnisse
Mit dem Gräberfeld von Kirchheim-Ries wurde erstmals
ein grosses frühmittelalterliches Gräberfeld mit mehreren
hundert Bestattungen verwandtschaftsanalytisch unter-
sucht Unsere bisherigen Untersuchungen zur Entdeckung
sozialer bzw. familialer Strukturen beschränkten sich mit
Ausnahme des alemannischen Gräberfeldes von
Eichstetten (Alt & Vach 2001) auf Skelettensembles, die
nicht über 100 Bestattungen hinausgingen. Die hier
zusammengefasst betrachteten Ergebnisse und deren Inter-
pretation vermitteln einen Eindruck von den Möglich-
keiten und Grenzen der morphologischen Verwandt-
schaftsanalyse bei grossen Skelettensembles. Unter
anderem konnte gezeigt werden, wie wichtig im Einzelfall
externe (archäologische) Informationen für eine optimale
Auswertung einer Skelettserie im Hinblick auf ver-
wandtschaftliche bzw. soziale Strukturen sind. Ergeben
sich archäologisch Hinweise auf wie auch immer geartete
Subgruppen im Gräberfeld, so ist diesen Zusammen-
hängen anthropologisch unbedingt nachzugehen. Bei
der Einbeziehung von externen Informationen kann es
etwa darum gehen, ob die demographische Struktur einer
vermuteten Familie ausgeglichen ist, ob sich eine weit-
gehend kontinuierliche Belegung wiederspiegelt, d.h. alle
Belegungsphasen gleich betroffen sind, ob es Gräber gibt,
die bereits archäologisch auf mögliche verwandtschaftliche
Verbindungen hinweisen (z.B. Frau/Kind), ob es auffällige
Übereinstimmungen in Grabbeigaben bei Mitgliedern
aus vermuteten Familien gibt und ob sich eventuell
Hinweise auf eine familienorientierte Bestattungsweise
finden. Auch ohne das Verfolgen externer Hinweise ist
eine gemeinsame Überprüfung gefundener Strukturen
und deren Einbindung in den archäologischen
Hintergrund nach Abschluss einer morphologischen
Verwandtschaftsanalyse unbedingt anzustreben.
Im Fall von Kirchheim/Ries lagen eine ganze Reihe
externer Informationen von den archäologischen
Bearbeitern des Gräberfeldes C. Neuffer-Müller (1983)
und L. Jorgensen (1991) vor, die eine Einbeziehung in
die morphologische Analyse nahe legten. Insbesondere
die Ergebnisse der dieser Arbeit vorausgegangenen
Verwandtschaftsanalyse von L. Jorgensen, die allein auf
der Basis archäologischer Befunde erfolgte, liessen eine
Überprüfung dieser Strukturen auf morphologischer Basis
zwingend notwendig erscheinen. Im wesentlichen wurden
folgende Analysen durchgeführt, deren Ergebnisse noch
einmal zusammenfassend interpretiert werden sollen:
Im Rahmen der Untersuchung des Gesamtgräberfeldes
standen vor allem Hinweise auf kleine, herausragende
Auffälligkeitswahrscheinlichkeiten und auf Gruppen mit
räumlicher Auffälligkeit oder auffälligen Beigabenüber-
einstimmungen im Vordergrund (Kap. 3.2). Unter der
Vorgabe räumlicher oder sozialer Kriterien wurden
darüber hinaus der sog. Adelsbestattungsplatz im Süden
des Gräberfeldes, Doppel- und Mehrfachbestattungen,
verschiedene zeitliche Stufen der Belegung sowie
geschlechts- und beigabenspezifische Gruppen analysiert
(Kap. 3.3 - 3.7). Zuletzt standen die von L. Jorgensen
archäologisch selektierten Gruppen im Mittelpunkt der
Analyse (Kap. 4).
5.1 Die Ergebnisse aus der Untersuchung des
Gesamtgräberfeldes
Bei der Analyse des Gesamtgräberfeldes (N=460) wurden
acht relativ geschlossene Strukturen entdeckt, die sich
einerseits durch hohe Merkmalsübereinstimmungen mit
entsprechenden Auffälligkeitswahrscheinlichkeiten und
andererseits durch Auffälligkeiten aufgrund überein-
stimmender Beigabentypen oder durch die räumliche
Nähe der Individuen zueinander auszeichneten. Trotz
gewisser Überschneidungen zwischen diesen Gruppen
durch Merkmalsträger, die in mehreren Familiengruppen
auftreten, ist es zulässig, die Ergebnisse als unabhängige
Hinweise auf verschiedene Familiengruppen zu deuten.
Zum einen sind bei einer höheren Zahl hypothetischer
Familien zufällige Überschneidungen unvermeidlich,
zum anderen ist unübersehbar, dass diejenigen Merk-
malsträger, die in mehreren Familiengruppen auftreten,
sich durch einen sehr guten Erhaltungszustand und damit
überdurchschnittlich mehr Merkmale auszeichnen. Bei
den räumlich auffälligen Gruppen sowie bei den Gruppen
mit auffälligen Übereinstimmungen in archäologischen
Beigaben waren die Überlappungen weniger augenfällig
als im Falle der Gruppen, die durch besondere Auffällig-
keitswahrscheinlichkeiten aufgefallen waren. Da bisher
jegliche Erfahrungen mit Verwandtschaftsgruppen in der
Merowingerzeit fehlen (Ausnahme: soziale Führungs-
schicht), andererseits Abstammung, Verwandtschaft,
Heiratsverhalten und Lokalität für die Gruppenbildung
eine wesentliche Rolle spielen (Siegmund 2000), kann
das Auftreten von mindestens acht Substrukturen für
Kirchheim-Ries noch nicht näher interpretiert werden.
Es ist kaum abzuschätzen, wie sich für Kirchheim-Ries
die Tatsache auswirkt, dass viele Verwandtschaftsgruppen -