Sehr viel überlegener und überlegter auch als in der Clugnyverkündigung ist hier der von den
Figuren eingenommene Raumbezirk zum architektonisch umfaßten Gesamtraum des Bildes in eine klare
Beziehung gebracht. Schon in dem Louvrebilde und deutlicher noch in der ebenfalls frühen Lukas-
madonna (Abb. 27) — im Gegensatz zu Jan van Eycks Rolinmadonna — war es Rogier um eine die beiden
Gestalten miteinander verbindende Figur in der Fläche zu tun gewesen; noch aber sprang zu unvermittelt
um sie und zwischen ihnen die Tiefe des Raumes auf. Die Gestalten selber suchten an dieser Tiefe Anteil
zu haben, indem sie sich wie der Engel des Pariser und die Madonna des Bostoner Bildes mit ihren weit
am Boden ausliegenden Gewändern nach rückwärts zu in sie ausbreiteten. Davon, daß auch eine ganz
andersartige Verbindung zwischen Gestalt und Bildtiefe denkbar sei, wußte der frühere Rogier noch
nichts. In dem New Yorker Bilde (Abb. 84) wurden die neuen Bindungen bereits sehr angespannt; hier
jedoch beeinträchtigten sie die innere Freiheit der Gestalten. Die Senkrechten zumal wirkten starr, ähn-
lich wie später auch manchmal beim frühen Memling. Diese Starrheit ist in der Columbaverkündigung
gewichen, die Strenge der räumlichen Beziehungen ist unmerklicher geworden. Unmerklich ist schon,
indem das Gewand Marias sich nach vorne zu am Boden ausbreitet, wie genau die beiden Gestalten die
ihnen zugewiesene Raumschicht einhalten. Auch dem Pariser Bilde gegenüber bilden der Engel und
Maria eine geschlossenere Figur in der Fläche. Der Vordergrund ist gefestigt, und damit ist die Grund-
lage für eine ungleich straffere Staffelung von Raumschicht zu Raumschicht geschaffen.
Das Gemach öffnet sich hinter einer Raumschwelle, die sich an allen vier Seiten um das Bildganze
herumzieht. Solche Abgrenzung des Raumes nach vorne ist an sich einem altertümlicheren Aufbau des
Bildes gemäß; der bei den Eycks zuerst begegnende freie Raumausschnitt, den auch die Pariser Verkün-
digung zeigt, war das Modernere gewesen. Das Bild des Columbaaltares verbindet jedoch, sieht man genau
zu, die alte Form mit der neuen. Der Raum wirkt auch hier als Ausschnitt, in dem die Randformen seit-
lich wie oben sichtlich noch schattenhaltigen Raum überschneiden und nicht so wie die Ränder der
Verkündigungstäfel des Campinschen Merodealtars (Abb. 5) in der Flucht der Begrenzungen des Innen-
raums liegen. Die Absicht dieser vorderen Raumeinfassung geht auf eine neue Festigung der Bildebene,
auf die hier alle in die Tiefe führenden Formen auf das strengste bezogen erscheinen.
Kraft dieser Bezogenheit sind überall im Bilde die Senkrechten, die Waagerechten wie auch die Schrä-
gen von neuer Bedeutung. Der aufrechte Stengel der Lilie in der gleich auf der vorderen Schwelle stehen-
den Kanne wird vom Auge unmittelbar mit den größeren und kleineren Senkrechten des Betpultes, des
Bettes, der Fensterpfosten und schließlich ganz hinten der Zimmerecke zusammen gesehen. Ebenso die
Waagerechte der Schwelle selber mit den Waagerechten des Teppichs, des oben quer den Raum durch-
teilenden Balkens, des Betthimmels und der Enden des Bettes. Die in die Tiefe flüchtende Schräge des
Bettrandes wird bereits in der Schräge der Türschwelle vorbereitet, über die der Engel hereintritt, und noch
die Ränder des Buches auf dem Betpulte, die erhobene Hand Marias und die des Engels nehmen auf sie
Bezug. Alles, was in der Pariser Verkündigung gleichsam sich selbst überlassen gewesen war, ist in dieser
hohen schmalen Tafel in ein engmaschiges Netz richtungsmäßiger Entsprechungen zueinander gebracht.
Dem schmaleren Format des Bildes gemäß sind auch die Gestalten schmaler und schlanker. Wundervoll
sind in der des Engels die Umrißkurven des sich hinter dem Rücken bauschenden Mantels und des unteren
Gewandsaumes als reine, klare, voll ausschwingende Linien aufeinander abgestimmt worden. Das vor
allem bedingt den Eindruck des Schwerelosen, Luftgetragenen dieser Gestalt, die den Fuß nur ganz
leise, kaum sichtbar auf den Boden aufgesetzt hat. Der Engel des Pariser Bildes und mehr noch der des
New Yorker waren von einer ganz anderen Materialität und Schwere gewesen. Auch in seinen Gebärden
ist der ohne schwere Brokate ganz in schneeiges Weiß gekleidete des Columbaaltars der zarteste, vor-
Figuren eingenommene Raumbezirk zum architektonisch umfaßten Gesamtraum des Bildes in eine klare
Beziehung gebracht. Schon in dem Louvrebilde und deutlicher noch in der ebenfalls frühen Lukas-
madonna (Abb. 27) — im Gegensatz zu Jan van Eycks Rolinmadonna — war es Rogier um eine die beiden
Gestalten miteinander verbindende Figur in der Fläche zu tun gewesen; noch aber sprang zu unvermittelt
um sie und zwischen ihnen die Tiefe des Raumes auf. Die Gestalten selber suchten an dieser Tiefe Anteil
zu haben, indem sie sich wie der Engel des Pariser und die Madonna des Bostoner Bildes mit ihren weit
am Boden ausliegenden Gewändern nach rückwärts zu in sie ausbreiteten. Davon, daß auch eine ganz
andersartige Verbindung zwischen Gestalt und Bildtiefe denkbar sei, wußte der frühere Rogier noch
nichts. In dem New Yorker Bilde (Abb. 84) wurden die neuen Bindungen bereits sehr angespannt; hier
jedoch beeinträchtigten sie die innere Freiheit der Gestalten. Die Senkrechten zumal wirkten starr, ähn-
lich wie später auch manchmal beim frühen Memling. Diese Starrheit ist in der Columbaverkündigung
gewichen, die Strenge der räumlichen Beziehungen ist unmerklicher geworden. Unmerklich ist schon,
indem das Gewand Marias sich nach vorne zu am Boden ausbreitet, wie genau die beiden Gestalten die
ihnen zugewiesene Raumschicht einhalten. Auch dem Pariser Bilde gegenüber bilden der Engel und
Maria eine geschlossenere Figur in der Fläche. Der Vordergrund ist gefestigt, und damit ist die Grund-
lage für eine ungleich straffere Staffelung von Raumschicht zu Raumschicht geschaffen.
Das Gemach öffnet sich hinter einer Raumschwelle, die sich an allen vier Seiten um das Bildganze
herumzieht. Solche Abgrenzung des Raumes nach vorne ist an sich einem altertümlicheren Aufbau des
Bildes gemäß; der bei den Eycks zuerst begegnende freie Raumausschnitt, den auch die Pariser Verkün-
digung zeigt, war das Modernere gewesen. Das Bild des Columbaaltares verbindet jedoch, sieht man genau
zu, die alte Form mit der neuen. Der Raum wirkt auch hier als Ausschnitt, in dem die Randformen seit-
lich wie oben sichtlich noch schattenhaltigen Raum überschneiden und nicht so wie die Ränder der
Verkündigungstäfel des Campinschen Merodealtars (Abb. 5) in der Flucht der Begrenzungen des Innen-
raums liegen. Die Absicht dieser vorderen Raumeinfassung geht auf eine neue Festigung der Bildebene,
auf die hier alle in die Tiefe führenden Formen auf das strengste bezogen erscheinen.
Kraft dieser Bezogenheit sind überall im Bilde die Senkrechten, die Waagerechten wie auch die Schrä-
gen von neuer Bedeutung. Der aufrechte Stengel der Lilie in der gleich auf der vorderen Schwelle stehen-
den Kanne wird vom Auge unmittelbar mit den größeren und kleineren Senkrechten des Betpultes, des
Bettes, der Fensterpfosten und schließlich ganz hinten der Zimmerecke zusammen gesehen. Ebenso die
Waagerechte der Schwelle selber mit den Waagerechten des Teppichs, des oben quer den Raum durch-
teilenden Balkens, des Betthimmels und der Enden des Bettes. Die in die Tiefe flüchtende Schräge des
Bettrandes wird bereits in der Schräge der Türschwelle vorbereitet, über die der Engel hereintritt, und noch
die Ränder des Buches auf dem Betpulte, die erhobene Hand Marias und die des Engels nehmen auf sie
Bezug. Alles, was in der Pariser Verkündigung gleichsam sich selbst überlassen gewesen war, ist in dieser
hohen schmalen Tafel in ein engmaschiges Netz richtungsmäßiger Entsprechungen zueinander gebracht.
Dem schmaleren Format des Bildes gemäß sind auch die Gestalten schmaler und schlanker. Wundervoll
sind in der des Engels die Umrißkurven des sich hinter dem Rücken bauschenden Mantels und des unteren
Gewandsaumes als reine, klare, voll ausschwingende Linien aufeinander abgestimmt worden. Das vor
allem bedingt den Eindruck des Schwerelosen, Luftgetragenen dieser Gestalt, die den Fuß nur ganz
leise, kaum sichtbar auf den Boden aufgesetzt hat. Der Engel des Pariser Bildes und mehr noch der des
New Yorker waren von einer ganz anderen Materialität und Schwere gewesen. Auch in seinen Gebärden
ist der ohne schwere Brokate ganz in schneeiges Weiß gekleidete des Columbaaltars der zarteste, vor-