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pet Bunte fkatkt van fftogm

Lothar Günther
Buchheim:

Melonenessende
Bauern

Jetzt kann Ich lustig pfeifen! Meine Jolle
liegt ein ganzes Stück tiefer im Wasser. —■
Was habe ich hier zwischen meinen Waden?
Eine riesengroße Wassermelone und ein halbes
Dutzend faltiger roter Tomaten, so groß wie
Babyköpfe. Und was fühle ich da mit der rech-
ten großen Zehe? Gurken sind das, mein Lieber,
herrliche Gurken, und ein paar der zartesten
Maiskolben. Und was da hinter mir liegt, sind
Zwiebeln und rotbäckige Äpfel. Weiter hinten
im Heck habe ich ein Kochgeschirr voll Pflau-
menmus gestaut, ein Kilo Weintrauben sind
auch dabei, von Käse, Brot, Eiern und Butter
gar nicht zu redenl —

Oh, ich war auf dem Markt, diesem fabelhaf-
ten Markt von Mocon! Und jetzt weiß ich auch,
wo der regenprasselnde Völkerwanderungszug
heute morgen hinwollte. In einer unabsehbar
langen Reihe standen die Ratterkästen mit mü-
den Pferden vor der staatlichen Getreideauf-
kaufstelle.

War das eine Hitze! Und dann der gespritzte
Wein und dieser verfluchte Paprika und der
Herr Pfarrer mit seiner guten Küchel Man
sollte den Hut abnehmen, wenn man einen
aufhätte I

Verrostete Türschlösser,
Gänse und Strümpfe

Dieser Markt war ein großartiges Feldlager
mit mehr Marketenderinnen als Landsknechten.
Die Landsknechte feilschten auf schwäbisch,
ungarisch und kroatisch um Getreide und
Pferde, soffen in den Schänken, und die Mar-
ketenderinnen saßen in der Sonnenhitze in ihre
Röcke versunken auf der Straße und verkauf-
ten, was sich nur irgend verkaufen ließ: ver-
rostete Schlösser, Gänse, Mehl, breitgetretene
Stiefel, Hosen, Strümpfe, Peitschenschnüre,
Kohlköpfe, Eier, Melonen und diesen hunds-
föttischen gelben, roten und grünen Paprika.
Ein zweites Mal beiße ich nicht in grüne Pa-
prikaschoten. Sollte mir einfallenl Ich dachte,
mein Mund wäre der Ätna!

Und billig ist das Zeug! Nicht zu sagen! Ich
kam den ungarischen Bäuerinnen genau so
komisch vor wie sie mir, und manchmal be-
zahlten sie für das Vergnügen, mich betrachten
zu dürfen aus freien Stücken mit Viktualien.

Die Behörde, die meinen Paß stempeln sollte,
gab es gar nicht, und ich wurde nach langem
Palaver zum Oberstuhlrichter ins nächste Dorf
geschickt. Nachdem mir der Herr Oberstuhl-
richter eine ganze Seite in meinem Paß mit
Hieroglyphen vollgekritzelt hat, sagt mir ein
deutscher Kaufmann, wenn
ich etwas über Landschaft
und Leute erfahren wolle,
müsse ich zum Pfarrer gehen,
der sei ein weitgereister
Mann und mittags bestimmt
zu Hause.

Der Pfarrer hat ein gut-
mütig-melancholisches Ge-

sicht, von seinen äußeren Augenwinkeln strahl-
ten eine Menge kleiner Falten aus, seine
Augen sind listig und huschen flink hin und
her. Seine Rede aber ist bedachtsam.

Das Essen wird gerade aufgetragen. Ein
paar große Terrinen und mächtige Platten mit
fettigen Gemüsen und wunderbar duftendem
Braten. Der Pfarrer sagt, ich müsse mit dem
wenigen vorliebnehmen und läßt sich mit
Würde unter seinem mit großartigen Siegeln
versehenen, schwer gerahmtem Doktordiplom
auf seinen Platz nieder. Eine trübselige Frau,
ein junges Mädchen und ein junger Kaplan
sitzen mit zu Tisch.

Bei einer Fleischsuppe, die das reinste öl
Ist, bedenken wir uns mit freundlichen Ge-
meinplätzen, und ich beantworte der Reihe
nach die üblichen Fragen:

„Nein, auf der Donau."

„Ja, mit dem Boot."

„Ja, ein Klepperboot zum Zusammenpacken."
„Nein, im Zelt."
„Nein, nur zum Spaß."

Der Pfarrer gibt das Fragen auf, er beginnt,
von den ungarischen Verhältnissen zu spre-
chen, von den großen sozialen Gegensätzen,
den vielen ungelösten Problemen und großen
Hoffnungen, die Ungarn auf das Reich setzt.

Nie sagt er Ungarn, sondern immer nur
„Restungarn" oder „Rumpfungarn". Und als er
von der Vergewaltigung von Trianon spricht,
wird er leidenschaftlich und erbittert.

„Man hat uns die Luft abgedrosseltl Fast die
gesamte Industrie, fast alle Bodenschätze und
vor allem fast alle Kohle hat man uns geraubtl
Wir fordern Revision! Wir geben uns nicht zu-
frieden! Nem nem soha! Nein, nein, niemals!"

Ich begleiche die Schulden der Gastfreund-
schaft durch Photographieren der Wirte, wobei
ich einen wirkungsvollen Hokuspokus mache,
um die Leute nicht durch die Einfachheit
meiner Contax zu enttäuschen.

Kierling ist ein fast ganz deutsches Dorf mit
fränkischen Gehöften an der breiten, unge-
pflasterten, von Bäumen bestandenen Straße.
Die Kleine Donau windet sich in einem fast
stundenlangen Bogen um den Ort herum und
trifft sich am Ausgang des Ortes wieder.

Als ich ankomme, sind die Bauern alle auf
den Feldern hinter den Höfen zum Dreschen.
Die Krone des Jahres ist erreicht. Die Dresch-
maschine puppert nun von Sonnenaufgang bis
in den späten Abend, und die Bauern reichen
die vollen Garben mit langen hölzernen Stan-
gen hinauf oder schichten das ausgedroschene
Stroh zu einem Feimen. Als ich herankomme,
halten sie eine Weile inne und fragen mich

erfreut, wie es zu Hause in Deutschland gehe.
Sie erzählen, daß sie nur Teilarbeiter, kleine
Bauern seien, die beim Drusch ihren Anteil be-
kämen. Aber da komme der Bauer selbst, dem
der große Hof gehöre.

Der reiche Bauer trägt weißes Leinenzeug
und verstaubte Stiefel. Er hat den Hut tief ins
Gesicht gezogen, im Schatten der Krempe sieht
man nur einen verwegenen Schnauzbart. Nach-
dem er ein paar Anweisungen gegeben hat,
führt er mich zu seinem Hof und erzählt mir
auf meine Frage, daß die Kinder deutsch und
ungarisch in der Schule lernten. Der Pfarrer
predige deutsch, nur einmal im Monat müsse er
ungarisch zelebrieren. Auch in der Geschichte
des Deutschen Heidebodenlandes ist er be-
wandert: „Dieser Landteil hat eine bewegte
Vergangenheit und nicht weniger als achtmal
den Besitzer gewechselt. Nach der großen Ge-
fahr der Magyarisierung durch den Daekschen
Ausgleich ist das Zusammengehörigkeitsgefühl
der Deutschen durch den Weltkrieg wieder ge-
weckt worden. Die Bauern sind schwäbischen
und bayerischen Stammes, es finden sich hier
aber auch einige von Kroaten bewohnte Dör-
fer."

Mit hü und hott fährt ein Wagen nach dem
anderen vor und lädt pralle Säcke ab. Das erste

Lothar Günther
Buchheim:

einer unter die Finger gekommen ist, der in
dieser seltsamen Sprache Bescheid weiß, er
diückt mir das Heft in die Hand, daß ich ihn
abhöre. Ganz zuoberst steht: „Guten Tag, mein
Herr."

Ein Roßgarten reicht bis zum Ufer. Schwer
und gemächlich grast eine braune Stute mitten
in der Umzäunung. Zwei hochbeinige Fohlen
aber tummeln sich am Gatter, reiben den
Widerrist an den Balken und wollen hinüber
auf die anderen unbekannten Wiesen. Wäh-
rend die Stute gleichmütig ihr Gras zupft,
tänzeln sie ungeduldig und stampfend, einen
Durchlaß suchend, am Gatter entlang. Sie sind
wie junger Most. Ich denke daran, daß es
auch mir noch an Gemessenheit fehlt. —

Ein mit Weiß vermischtes Karminrot ist
breit über den Himmel gestrichen. Es ist sehr
still. Das Paddel liegt vor mir. Ganz langsam
schiebt mich der träge Fluß an den verwilder-
ten, sich selbst überlassenen Ufern vorbei. Ich
fühle mich von innen heraus wachsen und
spüre eine starke, unbändige Freude. Der Fluß
macht es, das stille, gemächliche Wasser und
der weite Himmel.

Ein Fisch springt hoch, blitzt in der Sonne
und fällt zurück, auf dem Wasser entstehen
Ringe, die immer größer werden und vor lauter

Rast an einem Wagen

Lothar Günther
Buchheim:

Auf dem Markt
von Mocon

Brot vom neuen Korn liegt auf dem Tisch der
niedrigen Bauernstube. Und ich sitze mit der
Familie des Bauern am Tisch und muß von
Deutschland erzählen. Zum Brot gibt es mit
Wasser gemischten Wein und Speck und saure
dicke Milch. Unzählige Fliegen summen in der
Stube herum, und aus einer Wiege schreit ein
Kind.

Es ist heiß, die Sonne sengt und dörrt vom
frühen Morgen an. Eine dumpfe Beklemmung
liegt in der Luft. Von ferne rollt hin und wieder
murrender Donner. Flußauf ist viel Schwarz ins
Blau des Himmels gemischt. Das Land liegt
nun hitzig und bereit und wartet in dumpfem
Drang. Die Schwalben fliegen tief. Doch der
Himmel versagt sich wieder wie gestern, wie
vorgestern. Flußauf standen vorhin mißtarbige
Gewitterwolken. Jetzt stehen die dunklen Wol-
kentürme flußab. Die Cis-Duna hat wieder einen
großen Bogen geschlagen. Der Fluß läßt das
Land an sich vorüberdrehen wie auf einer gro-
ßen Scheibe.

Der Stadt Raab entgegen

Die deutsche Sprachgrenze liegt schon hin-
ter mir. Als ich jedoch vor dem Dorf Mecser an-
lege, ruft mir ein junger Mühlknecht aus dem
Fenster einer Schiffsmühle zu: „Guten Tag,
mein Herr!" Erstaunt und erfreut wende ich
mich um und frage, wo ich im Dorf Milch be-
käme. Er antwortet: „Guten Tag, mein Herr!"
und strahlt, mich heranwinkend, über sein gan-
zes mehlbestaubtes Gesicht. Auf den Mehl-
säcken hat er eine zerfetzte deutsche Gram-
matik liegen und zeigt mir stolz ein kleines
Heft, in das er mit ungelenken Buchstaben
deutsche Vokabeln abgeschrieben hat. Nun
freut er sich über die Maßen, daß ihm endlich

Größe zergehen. Der Wind weht nur hoch oben
über der Erde und schiebt ein paar Wolken
vor sich her. Hier über dem Fluß aber steht
die Luft still.

Rinder kommen ans Wasser, saufen und tra-
gen dann ihre schweren Leiber bedächtig die
Uferböschung wieder hinauf. Nun kommen
mir Ruderboote entgegen, eins, zwei, drei —
ein ganzer Zug. Ein kleines Motorboot huscht
an ihnen entlang, und ein Mann mit einer
weißen Mütze schreit den rudernden Männern
durch ein Sprachrohr Befehle zu.

Die Stadt Raab kündet sich an. — Ich
bummle durch die große wohlhabende Land-
stadt und kaufe mir zwei Zuckermelonen.
Nun werden mich auch bald wieder die Kilo-
metertafeln an den Ufern der Großen Donau
begleiten, denn hinter Raab mündet die Wie-
selburger Donau in den Hauptstrom zurück.

Die drei Originalzeichnungen aus
Ungarn stellte unser Mitarbeiter
Lothar Günther Buchheim eigens der
„Bewegung" zur Veröüentlichung zur
Verfügung. Sie sind nicht in seinem
Buch: „Tage und Nächte steigen aus
dem Strom" (S. Fischer, Berlin) ent-
halten, dem dieser Aufsatz ent-
nommen ist. Die Schriltleitung.

Folge 3 / Die Bewegung / Seite 9
 
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