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86

Das Bir für AlCe.






Das Dofeh in Kniro,

(Siehe das Bild auf S. 85.)

Unter dem vielen Haarfträubenden Aberglauben und Un—
weſen, welches der ſo tief heruntergekommene Islam der
Gegenwart in ſeinem Schooſe birgt, iſt einer der wider—
lichſten Züge das Treiben der verſchiedenen Arten von Der—
wiſchen, dieſer gewohnheitsmäßigen Tagediebe, die ſich immer
mit einem mehr oder weniger geheimnißvollen religiöſen
Schwindel zu umgeben ſuchen, um das arme unwiſſende
Volk zu bethören. Man kennt das Unweſen der heulenden
und tanzenden Derwiſche, deren ekelhaften Aufführungen
ſelten mehr Europäer anwohnen. Aber es iſt vielleicht
nicht ſo bekannt, daß die religiöſe Feier der alljährlichen
Abſendung eines Teppichs aus Kairo nach Mekka, um
denſelben an den heiligen Stätten weihen zu laſſen, vor—
zugsweiſe in den Händen einer Derwiſchſekte liegt, welche
den Mittelpunkt des alljährlichen Zuges der Hadſchis oder
Pilger nach der heiligen Stätte aus Egypten und Moghreb,
d. h. dem weſtlicher liegenden Theile von Nordafrika, bildet.
Der Schech dieſer Derwiſch-Sekte macht ſtets die Pilgerfahrt
mit und übernimmt es gegen Geld und Geſchenke, für andere
Gläubige an den heiligen Stätten zu beten. Seine Sekte
ſchickt immer eine Menge Jünger mit dem großen Pilger—
zuge, und die Rückkehr deſſelben, das ſogenannte Doſeh,
iſt eines der volksthümlichſten Feſte in Kairo. Dieſe Pilger—
derwiſche ſtehen nämlich in großem Anſehen beim Volke
und in dem Rufe, giftige Schlangen bezaubern, Geiſter
bannen, Wunden heilen und alle möglichen Wunder ver—
richten zu können. Sobald daher die Kunde ſich verbreitet,
daß der große Schech der Pilgerderwiſche, El-Selim Bekr,
mit der heimkehrenden Pilgerkarawane ſich Kairo nähere
und den geweihten Teppich mitbringe, ſo ſtrömt das Volk
in ungeheuren Mengen auf die Straße nach Bulak hinaus,
denn von dort her kommt der Zug der Pilger. An ihrer
Spitze reitet auf einem edlen milchweißen Roſſe, das von
zwei Sahis oder Dienern am Zügel geführt wird, der Schech
El-Selim Bekr in ſeinem dunklen Burnus, auf dem Kopfe
einen gewaltigen grünen Turban, mit verzücktem Geſicht,
ganz geiſtesabweſend und unbeweglich, die verdrehten Augen
gen Himmel aufgeſchlagen. Die ganze Straße von Bulak
nach Kairo iſt dicht gedrängt von Volk, vorherrſchend jüngeren
Burſchen und Männern, die nach Branntwein und Haſchiſch
(einem Berauſchungsmittel aus Hanf) riechen, größtentheils
betrunken ſind, ſich ganz toll geberden und mit Pauken,
Trommeln, Pfeifen ꝛc. einen betäubenden Lärm machen.
Sobald die Derwiſche dieſer Sekte des Schechs anſichtig
werden, werfen ſie ſich in der Mitte der Straße dicht an
einander gedrängt flach auf den Boden nieder und laſſen den
Schech über ſich hinreiten. Kaum ſieht dies das Volk, ſo
werfen ſich — wie unſer Bild S. 85 zeigt — Jung und Alt
gleichſam flach auf den Bauch und in den Staub und preiſen
ſich glücklich, wenn der fromme Mann über ſie hingeritten iſt.
Soͤbald er vorüber iſt, ſpringen ſie dann auf und folgen ihm
mit betäubendem verrücktem Geſchrei oder werden von ihren
Freunden und Verwandten umringt und beglückwünſcht, als
ob die ſo eben erſtandene Demüthigung den höchſten Segen
bringe. Der ſchwere Hufſchlag des Pferdes verletzt aber
natürlich auch mänchen jener Fanatiker, und wenn ein ſolcher
ſich mit gebrochenen Rippen oder ſonſtigen Verletzungen auf—
richtet, ſo eilen Dutzende herbei und bewerben ſich um die
Ehre, ihn gaſtlich in ihr Haus aufzunehmen. Stirbt er in
Foͤlge einer hiebei erhaltenen Wunde, ſo iſt ihm das herr—
lichſte Loos gefallen, denn er Kommt direkt in den Himmel
und wird von Muhamed in feinen eigenen Divan aufge
nommen. Daher dieſe Opferwuth der unwiſſenden Maſſen.

O. M.

Auf der Spur.
Nach den Mittheilungen eines Polizeibeamten

von
Karl Chop.
ESchluß.)

5

Raum eine halbe Stunde nach Ddiejer Unterredung
traf ich mit dem Rendanten Vogt, der mich begleitet
Hatte, in der Nähe der Mühle ein. Sterzing, welcher
mit dem Kaſſirer einen näheren Weg eingeſchlagen
hatte, war fon dort angelangt und trat fofort zu
ung heran.

„Ich habe im Löwen durch das Fenſter geſehen,“
berichtete er. „Unfjere Vögel figen dort noch fejt und
äfen fich. Um fie noch ficherer zu machen, habe ich
der Wirthin im Vertrauen erzählt, daß Sie auch auf
der Polizei nicht Hätten angeben können, woher Sie
die Scheine erhalten Haben, daß Sie allo in Gewahr—
jam gebracht und morgen vom Unterfuchungsrichter
vernommen würden, Der Kommijjär werde alsbald
zurückkommen.“

„Sehr gut, wie immer, mein Freund. Nun kann
es kaum fehlen, denn dort kommen auch ſchon unſere
übrigen Leute wie Nachtſchatten quer über die Wieſe.“

Ganz recht und jetzt — — Hören Sie den Schlag
an den Baum, mit dem der Scharfrichter uns das
Zeichen geben ſollte, daß der Hund an ſeiner Seite
je?“ —

„Alles in Ordnung — Vorwärts aljo!”




ſchloſſene Thüre im Plankenzaune wurde ohne beſon—
dere Mühe von uns ausgehoben und ich ſchlich durch
den Garten und Hof der Vorderſeite des Hauſes zu.

Das Gebäude hatte im unteren Stocke nur wenig
Fenſter und dieſe waren durch innere Läden ver chloſ—
ſen. Nur an einem einzigen dicht neben der Thüre
belegenen Fenſter des zerfallenen Hauſes fiel durch
eine ſchmale Spalte ein wenig Licht nach außen. Als
ich vorſichtig näher trat, ſah ich beim Scheine des
trüben Oellämpchens, daß drinnen ein rieſiger Burſche
mit rohem Geſichte an dem einzigen Tiſche des ſchmalen
Gemaches ſaß und ſcheinbar feſt ſchlief. Vor ihm ſtand
eine halbgeleerte Branntweinflaſche. Zugleich aber
bemerkte ich, daß an der Wand Flinten, Piſtolen und
Hirſchfänger hingen und daß in dem Gemache zwei
Betten ſtanden. Ich winkte Sterzing heran, und wir
Beide ſchlichen nach der Hausthüre. Sie war leider
verſchloſſen.

Was nun thun? An ein Aufbrechen der Thüre oder
ein Einſteigen war nicht zu denken. Das leiſeſte Geräuſch
hätte den Burſchen drinnen aufgeſchreckt und zu den
Waffen greifen laſſen; dies hätte Menſchenleben koſten
und wahrſcheinlich unſeren Plan vereiteln können.
Wir zogen uͤns deshalb ebenſo vorſichtig wieder nach
der Hinterſeite der Mühle zurück, und unterſuchten
zunächſt die kleine Pforte. Aber auch ſie war von
innen verriegelt. Da fiel mein Blick glücklicherweiſe
auf eine dunkle Stelle der Wand dicht über dem ehe—
maligen Gerinne und über dem Rade; dies ſchien
eine nur mit Brettern vernagelte Oeffnung zu ſein.

Wir beſannen uns nicht lange, ſondern erkletterten
die Höhe des Gerinnes an einer dicht daran ſtehenden
Erle, ſchrikten dann auf dem lebensgefährlichen Pfade,
welchen die morſchen Planken bildeten, weiter bis an
das Ende des Gerinnes und fanden ſchließlich unſere
Vermuthung beſtätigt. Noch mehr, die Bretter, welche
zum Verſchluſſe des mäßig großen Loches in der Wand
dienten, waren mit der Zeit ſo morſch und wurm—
ſtichig geworden, als das ganze Gebäude. Sie hielten
die Naͤgel nicht mehr und gaben ſchon bei einem
ſchwachen Drucke nach.

Der Eingang in das Haus ſtand uns nun frei,
aber er konnte uns nur vermittelſt halsbrecheriſcher
Turnkunſtſtücke über das Kammrad der ehemaligen
Mühle und verſchiedene andere Walzen und Ge—
triebſtücke in das Innere führen. Doch es mußte
gewagt werden! Nachdem wir unſeren Genoſſen die
letzten Weiſungen ertheilt und ihnen namentlich em—
pfoͤhlen hatten, ſich beim Herannahen der beiden Er—
warketen wohl verborgen zu halten, ſchlüpften wir in
die Oeffnung hinein und gelangten nach einigen guten
Aufſchwüngen und ſonſtigen Kraftübungen auf ſicherem
Boden an. Beim Scheine unſerer Blendlaterne er—
kannten wir, daß von dem Gerüſte, auf dem wir uns
befanden, eine kurze Treppe hinabführe. Dicht davor
lag eine Thüre — das mußte die Kammer ſein, in
welcher der Wächter ſchlief.

„Wir müſſen auf jede Gefahr dort hinein!“ flüſterte
ich Sterzing zu. „Behalten Sie den Burſchen wohl
im Auge, während ich verſuchen will, die Zündhütchen
von den Gewehren zu nehmen.“

„Und dann?“ fragte Sterzing geſpannt.

„Gelingt unſer Plan, ſo verbergen wir uns zu—
nächſt unter die Betten.“

„Wenn aber der Burſche erwacht?“

„Er hat, wie die leere Branntweinflaſche vor ihm
zeigt, des Outen zu viel gethan, ih glaube daher
faum, daß wir ihn aufftören werden. Erwacht er
dennoch, jo werfen wir ung auf ihn, machen ihn un-
IHädlih und bringen ihn in Sicherheit. Doch wäre
dies immer bedenklich, weil c8 die Fälſcher zu früh—
zeitig warnen fönnte, €3 muß alio, wenn dies möglich
ijt, vermieden werden. Nun vorwärts!“ —

€3 gelang mir glüclich, die Thüre ſo langſam und
leiſe zu öffnen, daß der Schläfer fih nicht einmal
regte, und wir fonnten aljo ohne befondere Gefahr
eintreten. Während Sterzing den Burjhen forglich
beobachtete, nahm ich zunächſt eine Doppeljlinte von
der Wand und unterfuchte diejelbe, Sie war, wie
ich erwartete, zu fofortigem ®ebrauche bereit, und
wir durften mithin daffelbe von den übrigen Gewehren
vorausſetzen. E€3 gelang mir auch wirklich, ſowohl bei
diejem Gewehre als bei zwei einfachen Flinten und bei
der einen Piftole die Zündhüthen zu entfernen, ohne
daß das leiſeſte Geräuſch unſere Anweſenheit ver—
rathen hätte. Als ich aber auch die zweite Piſtole
unſchädlich gemacht hatte und den Hahn langſam wie—
der auf den Piſton herablaſſen wollte, gliſt er mir
Siem durch die Finger und {Hlug fHnappend auf das

iſen.

So ſchwach der Laut war, ſo hatte ihn der Schla—
fende gleichwohl vernommen. Er richtete ſich, ohne
umzuſchauen, aus ſeiner niedergebeugten Stellung ein
wenig auf. Ich rührte mich nicht, war aber bereit,
mich blitzſchnell auf den Burſchen zu ſtürzen, als er
glücklicherweiſe nach einem ſchlaftrunkenen Blicke auf




Ich athmete tief auf. Aber wir hatten keine Zeit zu
verſäumen, und fo ging id denn nach einer möglich
kurzen Pauſe wieder an die Arbeit, indem ih nun:
mehr die Parierftangen der Hirfchfänger durch einige
Schnüre mit den Scheiden feſt zuſammenband.

So waren unfere Vorbereitungen getroffen. Feßt
rafd in das Verfteck unter die Betten, Mochten d'e
beiden Fäljdher jekt kommen — und wirklich, fie
famen wie gerufen !

„Tyras! Tyras! He, wo ſteckt die Beſtie?“ hörte
ich den Kupferſtecher rufen.

„Vortreffliche Wächter!“ knurrte der Rentmeiſter
Henze. „Ihr geprieſener Hund jagt wieder einmal
im Feld einem Hafen nach, und. nun fehen Sie hier
durch diejen Spalt Ihren menfchlihHen Wächter —
1OLäft er nicht den Schlaf der Gerechten ?“

„Bei Goit, der verfliste Kerl! Nun laß mich
nur hineinkommen! Ich zerbreche ihm alle Knochen.“

„Oder er beſorgt Ihnen dieſen Liebesdienſt. Der
Jakob iſt nicht ganz ſo geduldig und demüthig als
Ihr Tyras.“

„Jakob! Jakob!“ ſchrie nun Meyer, während er
zugleich mit beiden Händen gegen die Fenſterſcheiben
irommelte.

Jakob raffte ſich erſchrocken auf.
ſch „Aha, ſchon zurück, Herr?“ lallte er dann, „komme

on!“

„Was heißt das, Menſch? Wie durfteſt Du
ſchlafen ?“

„Nun, wenn man den Tag über wie ein Pferd
hr Hat, fo fommt einem des Abends ein Schläf—

en zu.“

„Mad auf und dann fiehH zu, wo Thyras ſteckt.
Wir Iprechen noch weiter über den Fall.“

Brummend erhob ſich der plumre Rieſe, um nach
der Thüre zu ſchreiten. Erſt jetzt überſah ich den ge—
waltigen Bau ſeiner Glieder, und es überkam mich
vor dem Ausgange eines etwaigen Kampfes zugleich
ein gewiſſes Bedenken, worüber mir nur der Revolver,
den ich in der Bruſttaſche führte, hinaushalf.

Die Hausthüre war inzwiſchen geöffnet und ſorglich
wieder von innen geſchloſſen worden; dann traten die
drei Bewohner der Mühle in das Zimmer. Der
Rentmeiſter ſchien in fieberhafter Aufregung zu ſein.

„Wir müſſen noch in dieſer Nacht alle unſere
Apparate zuſammenpacken,“ begaun der Rentmeiſter
dringend. „Nach dem, was wir im Löwen gehört
haben, fühle ich mich nicht mehr ſicher.“

„Bah, Narrheiten und thörichte Furcht!“ lachte
Meyer. „Konnte uns etwas Beſſeres vorkommen, als
daß man auf einen Unſchuldigen losinquirirt? Ehe
der dumme Teufel ſich aus der Geſchichte heraus—
wickelt, können noch Wochen verſtreichen, und inzwiſchen
ſind wir längſt in Sicherheit.“

„Das ganze Unheil kommt von Ihrer Thorheit
und Ihrem unſinnigen Luxus,“ murrte der Rent—
meiſter. „Die Sache war ſo vortrefflich eingefädelt...
Das Gut, das mein lieber, gnädigſter Herr Graf in
Schleſien erkaufte, iſt zum großen Theile mit unſeren
Scheinen bezahlt. Wer weiß wie viel Zeit verſtreicht,
ehe ein einziges Stück dieſes Papiergeldes in hieſige
Kaſſen zurückkehrt. — Da muß Sie der Satan ver—
führen, hier und dort in der Umgegend Wein zu
trinken und hier und dort einen der Fünfthalerſcheine
OH zu Iaffen. Das allein hat den Verdacht er-
weckt.“

„Ei, vortrefflih!” hHöhnte Meyer. „Sie vergefjen,
daß der Menfch auch feine feineren Bedürfniſſe hat,
die befriedigt fein wollen, Nebrigen? find die Scheine
ganz ausgezeichnet, wahre Meifterjtüce und Niemand
hätte unjer Werk entdeckt, wenn Sie mir nicht ein
falſches Probeftück geliefert hätten. Sie haben wahr-
lich keinen Grund, über mich zu IOhelten. Hätte ich
allein gehandelt, fo Wäre Dies Ules nicht vorge-
lommen.“

„Das Muſter war nicht falſch, als ich es Ihnen
gab,“ beharrte der Rentmeiſter. Der Miniſter hatte
die Aufſchrift „fuenf Thaler“ ſelbſt beſtimmt und die
erſten Exemplare, die uns zukamen, entſprachen dieſer
Vorſchrift. Wer konnte ahnen, daß man aus „fuenf“
wider den ausdrücklichen Willen des Miniſters nach—
träglih „fünf“ machen würde? — Weiß der Himmel,
wer hinter der fatalen Aenderung ſteckt. Im Uebri—
gen, wie hätten Sie die Scheine nachahmen können,
wenn ich nicht aus den unzugänglichſten Aktenſchränken
das Geheimniß der chemiſchen Tinken erlauſcht hätte?
— Aber auch trotz alledem ſind die Scheine gut, und
ich weiß nicht, wie man den kleinen Unterſchied ſo
ſchnell hat entdecken können, wenn nicht etwa
O, warum habe ich dieſen Vogt, meinen Todfeind,
nicht zertreten, als ſein Schickſal in meiner Hand lag!
Mir ahnte ſtets, daß mir der Menſch noch Unheil
bringen werde.“

„Zum Zertreten iſt es zu ſpät, und das Alles




 
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