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folgen, dafür ſprechen noch verſchiedene Thatſachen.
Wir ſehen z. B. daß die Schwalben Jahr für Jahr
in daſſelbe Neſt zurückkehren. Zieht man die lange
Abweſenheit, die mit der Reiſe verbundenen Gefahren
und Schwierigkeiten in Betracht, ſo ſcheint es unglaͤub⸗—
lich, daß ein nicht menſchliches Weſen fähig ſein könne,
nach einem achtmonatlichen Aufenthalt in Central—
Afrika im Frühling auf einen Bauerhof oder in eine
fleine Stadt Deutjchlands, wo e8 geboren vder auch
bereit ein Neſt gebauet hat, zurück zu kehren. In
England hat man aber beobachtet, daß mehrere Mauer-
jOmwalben, die Fenntlidh gezeichnet waren, drei Jahre
hinter einander an denjelben Ort zurückfehrten, ja eine
davon wurde jelbit. nach ſieben Jahren dort wieder
eingefangen. Solchen Erſcheinungen gegenüber kann
man nicht umhin, den Vögeln ein außerordentliches
Gedächtniß und ein uns in Erſtaunen ſetzendes Wahr—
nehmungsvermögen, mit einem Worte einen nicht ge—
ringen Verſtand zuzuſchreiben. Ebenſo wenig läßt ſich
bezweifeln, daß nicht allein die Arten unter ſich Mit—
theilungen machen, ſondern daß ſich auch die verſchie—
denen Thiere unter einander verſtehen. Desgleichen

Das Buch für Alte.

den ein Dreieck, um die Luft beſſer durchſchneiden zu
können. Ermüdet der Vogel, der die Spitze führt, ſo
wechſelt er mit einem andern den Platz. Viele Vögel,
namentlich die kleineren, reiſen aber auch ohne jede
Ordnung in wirren Schwärmen. Treffen zwei
Schwärme zuſammen, ſo vereinigen ſie ſich unter leb⸗
haften Aeußerungen der Freude, dagegen nehmen die—
jenigen Vögel, welche wegen verſpäteter Brut die Er—
ziehung der Jungen noch nicht beendet haben, nicht
die geringſte Notiz von einem anlangenden oder in
ihrer Nähe ruhenden Schwarm.

Ob die Vögel mit dem Winde oder gegen denſel—
ben wandern, it ein noch nitht beendeter Streit. Nach
Einigen iſt entgegengeſetzter Wind den Zugvögeln nicht
hinderlich, während Andere berichten, daß z. B. die
Wachteln oftmals durch einen ſtärken widrigen Wind
nach dem Ort zurückgetrieben werden, von dem ſie
eben erſt aufgeflogen ſind. So will man bemerkt
haben, daß ein ſtarker Scirocco im September faſt
ſtets eine Menge Wachteln auf die Südoſtküſte von



Mekka wirft, wie. ein heftiger aus Griechenland wehen-





















Heft 4.

Tafelwert der Schiffe auf dem Meere plögliH mit
Tauſenden von feinen Vögeln, weldhe die günftige
Gelegenheit zum Ausruhen benutzen. Vielen Vögeln
behagt der ſüdliche Rand des mittelländiſchen Meeres
noch nicht, ſie ziehen weiter nach Afrika hinein ohne
Aufenhalt nach Nubien, Abeſſinien und ſelbſt Tim—
buktu — wie weit, iſt noch nicht ausgemacht. Ueber
die Oaſen der Wüſte gehen ſie jedoch wohl nicht hinaus.

In welcher Zeit dieſe Reiſe zurückgelegt wird, iſt
nicht genau bekannt. Brehm hat jedoch bereits am
5. Auguſt in Chartum, unter dem 15. Breitengrade,
Mauerfjegler, die gewöhnlich pünktliH am 1. Auguft
die Heimath zu verlaſſen pflegen, einwandern ſehen.
Allerdings iſt es keinem andern Thiere von der Natur
ſo leicht gemacht, in die Ferne zu ſchweifen, wie ge—
rade den Vögeln. Während z. B. ein Pferd in einer
Selunde 6 Fuß zurücklegt, durcheilt ein guter Flieger
in derſelben Zeit 36 Fuß, mithin 54 Meilen in 24
Stunden. Dieſe Schnelligkeit wird aber von anderen
noch weit übertroffen. Eine Brieftaube legt z. B.
40 Zuß in einer Sekunde zurück und die amertfanifche



Wandertaube ſogar 64 Fuß.



wiſſen die Vögel auch ſehr wohl, daß vereinte Kräfte
den Gefahren der Reiſe beſſer widerſtehen und alle
Noth und Entkbehrungen leichter überwinden laſſen.
Man ſieht daher, wie ſich ganz fremde Arten zuſam—
men geſellen, um in einer großen Schaar die Reiſe
anzultreten.

So zieht denn Schaar nach Schaar in eilferkigem
Fluge über Berg und Meer, Stadt und Land dem
fernen Lande zu. Haben fie e3 fehr eilig, fo fliegen
jie Tag und Nacht ohne Raft. Sonft aber über-
nachten fie gewöhnlich an einem paſſenden Orte und
reijen nur bei Tage, d. h. vom erfjten Morgengrauen
bi8 ungefähr gegen vier Uhr Nachmittags, Fe nach
der Witterung fliegen fie hoch in der Luft oder mehr
in den unteren Regionen; erfteres beſonders am kla—
ren, friſchen Morgen und letzteres bei trüber, ſchwüler
oder regneriſcher Witterung. Beim Zuge hoch in der
Luft ſind ſelbſt hohe Berge kein Hinderniß; fliegen
die Wandervögel jedoch in der Nähe des Bodens, ſo
ſcheinen ſie große ausgedehnte Wälder zu vermeiden.
Die ſchlechten Flieger ziehen es vor, bei Nacht zu
reiſen.



Manche Vögel, wie z. B. Kraniche, wilde Enten



der Wind viele auf eine entgegengefebte Richtung hin-
getriebene hHerbeibringt. Nach andern Joll ‚der Wind
in der Richtung des Zuges fehr {törend. wirken, Jobald
er nur mit mäßiger Stärfe- weht, Bei einem folchen
Winde find die Zugbögel oft zu einer mehrtägigen
Raft gezwungen.

Meiltens folgen die Vögel auf diefer Reife ‚den in
der Richtung Dderjelben laufenden Flüſſen und Thälern.
Ebenſo kennen ſie auch ſehr gut die tiefen Einſchnitte
der Gebirge, welche Thäler mit einander verbinden, da
ſie wohl nicht im Stande ſind, die Alpen ſelbſt über—
fliegen zu können. Einige Vögel indeſſen verfolgen
ihren Weg ohne Rückſicht auf die Richtung der Thäler
oder Flüſſe.

Einige Arten von Vögeln verlaſſen Europa ganz
während des Winters und ſchlagen ihren Wohnfig im
nördlichen Afrika auf. Einige begeben ſich blos in
das heitere Klima des Südens von Europa. Der
Flug über das mittelländiſche Meer muß als eine
Großthat betrachtet werden, wenn ihn kleine Sing—
und andere für weite Flüge nicht eingerichtete Vögel
ausführen. Sie müſſen doch wenigſtens 130 deutſche
Meilen durchfliegen. Daher füllt ſich Häufig Das

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Die Länder zwiſchen der großen afrikaniſchen Wüſte
und den ſüdlichen Küſten des Mittelmeeres, obwohl
ſie in phyſiſcher und theilweiſe auch in klimatiſcher
Hinſicht verſchieden ſind, bilden doch, ſtreng genommen,
nur eine Erweiterung Europa's, denn Flora und Fauna
ſind europäiſch. Erſt wenn der Reijende die Sahara
mit ihren Salzſeen und Sandwolken durchwandert
hat und dann wieder in eine mit Grün bekleidete Ge-
gend kommt, tritt er in ein neues zoologiſches Gebiet.
Darum finden ſich auch unſere kleinen Sänger, die
das Hauptkontingent der Zugvögel ausmachen, auf
den jenſeitigen Geſtaden des Mittelmeeres ſo wohl.
Jeder Vogel ſucht und findet hier einen Wohnplatz
der dem in ſeiner Heimath entſpricht, und wo er auch
dafſelbe betreiben kann wie daheim, Die Seen und
Sümpfe an der ſüdlichen Küſte des mittelländiſchen
Meeres, die vom Meere aus überfluthet und vom Nile
aus mit Jüßem Waffer verfehen werden, gewähren
zur. Beit der Vögelwanderung ein Bild, das wohl einen
Augenblit der Betrachtung werth 'ift. Wegen ihres
Keichthums an Fijchen und anderen Wajjerthieren
und der Nähe der Reisfelder find fie der Lieblings-
aufentdalt unzählbarer Vögel. Dazu bilden die hHerr-



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