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Das Buy für AlLe
Heft 18.
Intereſſe. ——
Eva hatte die flüchtige Wallung, zu der ſie ſich
hatte hinreißen laſſen, bereits wieder überwunden.
Ich glaube, Sie überſchätzen die Gefahr dieſes
Kampfes, der ja doch ſchon ſehr alt iſt,“ bemerkte ſie
fächelnd. „Sie fehen, wie ſehr Sie meine Tante dadurch
erſchreckt haben, denn ſie haßt das Volk und fürchtet es
ugleich, i ätze es nur gering.“
ME ht ri lieb fein, wenn ih mich irrte,
wenn ein friedliher Ausgleich der SGegenfäge ftatt-
jände,“ Iprach Renno. „Die Arbeiter haben uns nöthig,
wie wir ohne fie nicht fertig werden können, Gnädiges
Fräulein, geſtatten Sie mir, eine Bitte hieran zu
{nüpfen. Der Schacht in den Berg ijt in kurzer Zeit
vollendet, zur Feier defjelben und zur Einweihung des
neuen Bergwerkes beabſichtige ich ein Feſt zu geben,
darf ich ſchon heute die Bitte an Sie richten, daſſelbe
durch Ihre Gegenwart zu verherrlichen?“
Eva kam dieſe Bitte fo unerwartet, daß fie mit
der Antwort zögerte. Sollte fie zuagen oder ab—
lehnen?
Renno entging dies Zögern nicht.
„ch will offen geftehen, daß ein Theil Egoismus
mich zu diejer Bitte getrieben hat,“ fuhr er fort. „Sin
ſolches Feſt erſcheint mir ſtels todt und Kalt, wenn
nicht Frauen zugegen ſind, es fehlt ihm die Weihe.
Mein ganzes Leben iſt ohnehin ein vereinſamtes, ich
möchte faſt ſagen verlaſſenes, daß ich von jedem Licht—
punkte in demſelben lange Zeit zehre.“
Es klang aus ſeinen Worten ein wehmüthiger
Schmerz. Bieſer Ton ſchlug in Eva's Herzen an.
Sié moch'e nicht fragen, weshalb er allein ſtand, wes—
halb er ſich nicht das Glück einer Familie geſchaffen
hatte, aber raſch erwiederte ſie:
„Ich nehme Ihre Einladung gerne an!“
Üeber Renno's Geſicht glitt ein freudiger Zug.
„Ich danke Ihnen,“ ſprach er. „Fräulein von
Henneberg, ich habe doch hoffentlich auch Ihre Zu—
jage?“ fügte er hinzu. ;
Das alte Fräulein verneigte fih geichmeichelt, vb-
jchon fie e8 paffender gefunden haben würde, wenn
er fie zuerjt eingeladen‘ hätte. ;
„Run werde ih die Arbeiter doppelt antreiben,
daß fie den Schacht beenden!“ rief Nenno. „Ih ge
winne ja durch denſelben nicht allein ſtarres Erz,
jondern eine der fchönften Freuden.“
Er verabjdhiedete fich. Eva bot ihm eig Pferd
zur Heimkehr an, danfend lehnte er dafjelbe ab.
„Es iſt mir Bedürfniß zu gehen,“ [prach er. „Wenn
der Geiſt in ungeſtümer Weiſe ſeine Ideen und Wünſche
zu erreichen ſirebt, dann iſt das Gehen das beſte
Mittel, ihn zu beruhigen, denn es zeigt ihm, daß der
Menſch doch nur langſam weiter gelangt.“
Sinnend blieb Eva an dem Fenſter ſtehen, als er
ſich entfernt hatte. Mina trat zu ihr.
„Weshalb zögerteſt Du, Renno's Wunſch zu er—
füllen?“ fragte ſie.
„Weil ich zweifelhaft war, ob ich es thun ſollte,
und ich weiß aͤuch jetzt noch nicht, ob ich recht ge-
handelt habe.“
„Gewiß haſt Du dies gethan,“ fuhr das alte Fräu—
lein fort. „Ein Abſchlagen ſeiner Bitte wäre eine
Beleidigung geweſen.“
„Tante, Du nimmit ja [ehr warm Renno’3 Partei!”
rief Eva lachend. .
Die alte Dame fenkte ein wenig den Blick.
„Weil ich weiß, daß er meine TheilnahHme ver-
dient,“ erwiederte ſie.
„Du vergißt ganz, daß auch er nur ein Bürger-
licher iſt!“ ſuhr Eva ſcherzend fort. „Oder haſt Du
mit einem Male Dein Vorurtheil gegen die Bürger—
lichen überwunden?“
Das alte Fräulein befand ſich in einer peinlichen
Lage. Eva erinnerte ſie an ein Vorurtheil, welches
unerſchütterlich feſt in ihr ſtand, und gleichwohl mußte
ſie ſich geſtehen, daß ſie demſelben ungetreu geworden
war. Nach kurzem Schweigen wußte ſie ſich jedoch
zu helfen.
„Ich bleibe meiner Ueberzeugung getreu,“ ent—
gegnete fie. „E3. gibt eine ſtrenge Schranke zwiſchen
dem AWdel und den Bürgerlidhen, weldhe nie völlig
überwunden werden kann und nur wer einen Wwirk-
lichen Adel der Seele befigt, kann fich uns zur Seite
tellen.“
i „Und Du glaubſt, Renno beſitze dieſen Adel der
Seele?“ warf Eva ein.
„Er hat in feinem Benehmen jo viel Ritterliches, wie
ich es noch bei feinem Bürgerlichen getroffen Habe,
Er könnte ſogar manchem adeligen Herrn zum Vor-
bilde dienen.“ \
„Du biſt fehr für ihn eingenommen,“ bemerkte
Eva lächelnd, da fie fehr wohl wußte, daß Renno
dies Lob fiH nur durch den Handkuß erworben Hatte,
„Richt mehr al3 er verdient,“ erwiederte Mina
ſich faſt ereifernd. „Du darfſt meinem Blicke ver—
trauen, denn er ſtützt ſich auf langiährige Erfahrung.“
Eva ſchwieg. Auch ſie konnte ſich nicht verhehlen,
daß Renno in ſeinem Weſen, in der feſten Ruhe etwas
Gewinnendes und Imponirendes hatte, und dennoch
rief ihr wieder eine innere Stimme zu: „Traue ihm
nn du viel, denn ſein Auge widerſpricht oft ſeiner
uhe!“ —
Renno ſchritt während dem langſam ſeiner Be—
ſitzung zu. Der Abend war hereingebrochen und es
war ſtill auf der Hochebene, zu der er emporſtieg.
Sein Blut war aufgeregt. Die Zuſage Eva's, bei
der Einweihung des Schachtes zugegen zu ſein, erfüllte
ihn mit einer Freude, welche er kaum zu beherrſchen
im Stande war. Die kühnſten Hoffnungen glaubte er
auf dieſer Zuſage aufbauen zu können. Eva war ſchön
und reich, er liebte ſie mit einer Gluth, daß er ent—
ſchloſſen war, ſie zu erringen oder Alles zu opfern.
Und weshalb ſollte er ſie nicht erringen? Er war nie
vor der Schwierigkeit eines Zieles zurückgeſchreckt und
that es auch jetzt nicht. Schritt für Schritt wollte er
ſich demſelben nähern.
Schon hatte er Eva's Charakter durchſchaut. Sie
war ſtolz und gewöhnt, ihrem eigenen Willen zu
folgen. Das Bewußtſein, einem adeligen Geſchlechte
anzugehören und reich zu ſein, erfüllte ſie vollſtändig
und er ſah ſofort ein, daß dies Bewußtſein ihm die
größte Schwierigkeit bereiten werde. Sie mußte erſt
mit einem von Jugend auf genährten Vorurtheile
brechen, ehe ſie ſich entſchließen konnte, einem bürger—
lichen Manne die Hand zu reichen.
Er ſtand ſtill und ſtrich ſinnend mit der Hand
über die Brauen hin. Lag es nicht in ſeiner Macht,
ſich den Adel anzümaßen? Wer kannte ihn hier, wer
wußte um ſeine Vergangenheit und ſeine Verhältniſſe?
Konnte es ihm ſo ſchwer werden, eine Geſchichte zu
erſinnen, welche ihm den Adel verſchaffte. Konnte er
denſelben nicht beſeſſen und in Amerika als werthlos
abgelegt haben?
Einen Augenblick lang verfolgte er dieſen Gedanken,
dann ließ er ihn fallen, weil er einſah, daß er dadurch
in Eva's Achtung nicht ſteigen werde. Er hielt ſie
bei der Feſtigkeit und dem Trotze ihres Willens weit
eher für fähig, mit jedem Vorurtheile zu brechen,
wenn ſie ihn liebte. Er hatte nur den Einfluß des
alten Fräuleins zu fürchten, weil ſie Eva von Jugend
auf fannte und täglich bei ihr war, daß er indeſſen
das Herz der alten Dame bereit8 gewonnen Hatte,
darüber Konnte er nicht mehr im Zweifel fein,
Se mehr er die Berhältnifje ruhig überdachte, um
jo mehr IOhienen die Hindernifje zu fchwinden und
in ſeinem Vorſatze befeſtigt ſchritt er die Hochebene
empor.
Ein Mann trat auf ihn zu, als er dieſelbe erreicht
hatte und den nach ſeiner Beſitzung führenden Weg
einſchlagen wollte. Ueberraſcht ſtand er ſtill. Er
fannte feine Furcht, allein das Leben in Amerika hatte
ion auch vorfichtig gemacht.
„Wa8 wollt Ihr?“ fragte er mit fajt drohender
Stimme, denn noch hatte er den Herangetretenen nicht
erkannt.
„Gehen Sie nicht auf dieſem Wege zu Ihrer
Beſitzung,“ ſprach der Unbekannte.
„Und weshalb nicht?“ warf Renno ein.
Der Warner zögerte mit der Antwort.
„Weshalb nicht?“ wiederholte Renno noch einmal.
Der Unbekannte fhien den Grund feiner Warnung
nicht gern mitzutheilen. .
„Es droht Ihnen Gefahr,“ ſprach ec endlich. „Eine
Anzadl Arbeiter ſind erbittert über die Zurückweiſung
itrer Forderung und wollen ſich an Ihnen rächen.
Sie wiſſen, daß Sie nach der Pleßburg geritten ſind
und erwarten Ihre Rückkehr auf dieſem Wege.“
Renno hatte dies nicht erwartet, unwillkürlich griff
er mit der Rechten zur Bruſttaſche ſeines Rockes, um
nach einer Waffe zu ſuchen; er trug keine bei ſich.
Sollte er zeigen, daß er die Leute fürchtete? Konnte
dieſe Warnung nicht eine ihm geſtellte Falle ſein, um
ihn vom Wege abzulocken und noch weiter von ſeiner
Beſitzung zu entfernen.
„Ich fürchte ſie nicht,“ entgegnete er raſch. „Ich
werde ſehen, wer den Muth beſitzt, mir entgegenzu—
treten! Die Männer find feige!“
„Dieſe nicht, denn fie find beraufcht,“ gab der
Mann zur Antwort.
| „Wie heißen Diejenigen, weldhe fich an mir rächen
| wollen?“ fragte Renno.
„Ih werde ihre Namen nicht nennen.
es Ihnen nicht, daß ih Sie gewarnt habe?“
„Nein!“ rief Renno. „Und wer jeid Ihr?“
(Er trat rafh didht an den Mann heran.
„No, Carlien, Ihr feid e8!“ fuhr er fort, „Iſt
Euer Name nicht Carljen?“
„Ich heiße fo,“ entgegnete der Genannte — e3
war Carlſen.
Ein beruhigendes Gefühl erfaßte Renno. Er kannte
Genügt
dieſen Mann, furchtlos war ihm derſelbe entgegen—
getreten und er traute ihm eine Argliſt nicht zu.
„Weshalb wollt Ihr mir die Namen nicht nennen?“
fragte er.
„Ich werde ſie nicht nennen — es genügt, wenn
Sie der Gefahr entgehen,“ gab Carlſen zur Antwort.
„Und weshalb warnt Ihr mich?“ fragte Renno.
„Ihr wart ja der Sprecher für die Arbeiter, ich habe
ja auch Eure Forderung zurückgewieſen?“
„Ich will nicht, daß unſer Recht durch eine Ge—
waltthat beſchimpft werde,“ entgegnete Carlſen. „Das
würde uns mehr ſchaden als nuͤtzen. Sie wiſſen, daß
auch ich auf eine Verbeſſerung unſerer Lage dringe,
ich mag dieſelbe indeß nicht durch unrechte Mittel er—
reichen.“
Renno intereſſirte dieſer Mann.
„Wiſſen Eure Kameraden, daß Ihr mich warnt?“
fragte er.
„Nein.“
„Wo erwarten mich diefe ben?”
„An Eingange des: Waldes. Cie können ihnen
au8weichen, wenn Sie fich recht wenden, e3 ift freilich
ein Umweg.“
Einige Minuten lang war Renno noch zweifelhaft,
ob er den Rath befolgen jollte, nur der Gedanke, daß
er ohne jede Waffe war, beftimmte ihn, die Warnung
nicht N verachten.
„Würdet Ihr mich begleiten?“ fragte er dann.
„Sa, wenn Sie e8 wünjdhen, ob'hon Ihnen auf
„Ich wünfche e$ nicht aus Furcht,“ bemerkte Renno,
und er. fprach die Wahrheit. „Kommt alfo,“ fügte er
Hinzu, indem er weiter fchritt und die angegebene Nich-
tung nach rechts einjdhlug.
Sollte Carljen ihn wirklich nur gewarnt Haben,
um eine Gewaltthat zu verhüten, die allerding3 auf
die Arbeiter ſelbſt am ſchwerſten zurückfallen mußte
und nicht geeignet war, ihr Intereſſe zu fördern?
Hatte er noch ein beſonderes Intereſſe dabei? Suchte
er vielleicht nur die Pläne von Heß, der ſicherlich bei
Denen war, die ſich an ihm rächen wollten, zu durch-
kreuzen und zu verhindern? — Dieſe Fragen ſchoſſen
durch ſeinen Kopf hin.
„Heß gehört zu Denen, die ſich an mir rächen
wollen?“ fragte er ſeinen Begleiter.
„Ich werde keinen Namen nennen,“ entgegnete
dieſer ruhig und beſtimmt. „Das Vorhaben bleibt
unausgeführt, es würde mir lieb ſein, wenn Sie nicht
weiter nachforſchen wollten. Die Aufregung würde
dadurch nur geſteigert werden und ich möchte nicht in
den Verdacht kommen, daß ich eine andere Abficht ge-
habt hätte, als ich fie wirklich Habe.“
„Sut, ih werde nicht weiter nachforfhen,“ bemerkte
Renno. Der Mann intereffirte ihn immer mehr, denn
er vermochte nicht zu fajjen, daß er nicht auch ihm
feindlich gefonnen fein jollte, da ja auch feine Forderung
zurückgewieſen war,
„Shr feid dort unten im Thale wohnhaft?“ fragte
er, nachdenı fie eine Zeit lang [Hmweigend neben einander
hin gefchritten waren.
„Ja, indeſſen erſt ſeit kurzer Zeit.”
„Seid Ihr dort nicht geboren?“
„Nein.“
„Wo feid hr daheim?“
„Oben im Gebirge.“
Renno ging langſamer. Er ſchwieg einen Augen—
blick und trat näher an Carlſen heran, als ob er deſſen
Worte deutlicher vernehmen wolle.
„Wie heißt der Ort, in dem Ihr geboren ſeid?“
fragte er und ſeine Stimme ſchien leiſe zu beben.
„Waldbühl — es iſt ein kleiner Ort,“ gab Carlſen
zur Antwort.
Wieder ſchwieg Renno.
„Weshalb ſeid Ihr nicht dort geblieben?“ forſchte
er dann weiter.
„Es wurde mir ſchwer, dort Arbeit zu finden, der
Lohn war zu gering, ich konnte nicht mehr davon
leben, da ich noch eine alte Mutter zu ernähren habe.“
„Und wo ift Eure Mutter jeßt?“
„Sie wohnt jetzt auch unten im Dorfe bei mir.
Als ich hier eine lohnendere Arbeit fand, ließ ich ſie
nachkommen.“
„Lebt Euer Vater nicht mehr?“
„Ich weiß es nicht, glaube es indeſſen kanm.“
„Ihr wißt es nicht?“
„Nein, mein Vater iſt vor langen Jahren nach
Amerika gegangen, wir haben nichts von ihm wieder
gehört. Es iſt wohl die Nachricht zu uns gekommen,
daß er dort geſtorben ſei, beſtimmt haben wir es nie
erfahren.“
„Weshalb iſt Euer Vater fortgegangen? Erzählt
mir davon.“
„Ich weiß nur das, was ich von meiner Mutter
und von anderen Leuten darüber gehört habe, denn
ich ſelbſt war noch klein, ich zählte erſt wenige Jahre.
Es ging meinem Vater nicht gut, er hatte ſich den
zuge PETE
—