Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Hrft 2. _
weise brauchen wir indeß nicht so weit zu greisen, viel-
leicht hat das europäische Schaf oder doch diese^ oder
jene Abart desselben seinen Ahnherrn in den: den steilen
Bergen der Inseln Korsika und Sardinien angehörenden
Moufflon, dem einzigen Wildschase, welches gegenwärtig
in Europa hämisch ist. Zwar außerordentlich ßcheu
und furchtsam, wird der Moufflon von den Sardiniern
und Korsen doch nicht selten gezähmt und dann so zu-
traulich, daß er wie ein Hund seinem Herrn folgt und
dessen Rus oder Pfiffe gehorsamt.
Sind alle diese Annahmen jedoch blos Hypothesen,
so erhellt hieraus zugleich, daß sich der Zeitpunkt, wann
eines oder das andere der genannten Wildschafe zum
Hausthiere umgewandelt worden ist, ebenso wenig be-
stimmen läßt, wie Heimath und Herkunft des letzteren.
Daß dieses indeß Wohl Jahrtausende schon vor der ge-
schichtlichen Zeit im Haushalte des Menschen Aufnahme
gefunden hat, bekunden die aus dem Steinalter her-
rührenden Pfahlbauten der Schweiz. In ihnen stieß
man auf Knochen und Schädel eines Schafes, welches
mit den gegenwärtig gezüchteten Rassen große Aehnlich-
keit gehabt haben, doch kleiner und schlanker gewesen
sein muß, als unser jetziges Wolle spendendes Hausthier.
Nicht mehr als von der Abstammung des Schafes
wissen wir von den Vorfahren unserer Z ieg e, die gleich-
falls schon in sehr frühen Perioden zu den Haus- oder
doch Hofgenossen des Menschen gezählt haben dürfte,
wie sich aus den fossilen Skeletten schließen läßt, die
in französischen Höhlen zusammen mit den Resten längst
ausgcftorbener vorweltlicher Thiere ausgegraben worden
sind. Man spricht daher wohl von einer Urziege (Oapra
primigonia), die als Stammmutter unserer Hausziege
betrachtet werden müsse, allein der Körperbau der letz-
teren weicht von den Formen der entdeckten Skelette
Loch sehr wesentlich ab. Daß der in Europa gegen-
wärtig blos noch in den Pyrenäen und auf der pie-
rnontesischen Seite der Alpen anzutreffende Steinbock
(lbex) als die wilde Stammform unserer Ziege in An-
spruch zu nehmen sei, wie dies früher Wohl behauptet
wurde, stellt die neuere Naturforschung entschieden in
Abrede.
Ueber die Abstammung unseres hausthierlichen
Borstenträgers waltet dagegen im Allgemeinen kein
Zweifel ob; weitaus die Mehrzahl der Formen des eu-
ropäischen Hausschweines sind unstreitig Abkömm-
linge unseres Wildschweines, welches bereits in der
Steinzeit über ganz Europa verbreitet gewesen zu sein
scheint. Daneben hat man in den öfters erwähnten
Pfahlbauten der Schweizer Seen auch die Ueberreste
eines kleineren Schweines, des sogenannten Torfschweines
(Zus xaluMrw) ausgefunden, welches dem noch jetzt im
mittleren Afrika wild vorkommenden nnd von mehreren
Negervölkerschaften gezüchteten Sennarschweine (Üu8 8on-
imriorn-ü) nahe verwandt fein dürfte. Möglicher Weise
gehört dieses kleinere Schwein jener geologischen Periode
an, da die Kontinente von Europa und Afrika noch
uicht dnrch das Meer von einander geschieden waren
und beide die gleiche oder doch eine nahe verwandte
Thierwelt beherbergten, zum Theil dieselbe, wie sie uns
heute am Fuße des Atlas begegnet. Auf die Umbil-
dung unserer derzeitigen Schweinernsten mag das all-
mählig fast allenthalben heimisch gewordene chinesische
oder indische Schwein, welches durch einen kurzen Rüssel,
dicken Rumpf und niedrige Beine gekennzeichnet wird,
uachmals wesentlich eingewirkt haben.
Fossile Pferdeknochen hat man an vielen Orten
Mitteleuropa's, so in verschiedenen Höhlen Frankreichs
und der Schweiz, an das Tageslicht gefördert, während
man zugleich auf Renthiergeweihen und in Schiefer-
und Braunkohle eingeschnittene rohe Abbildungen von
Pferdeköpfen und ganzen Pferden, meist langhaariger
Art gleich dem kraushaarigen Anio-Pferde der Japa-
nesen nnd Baschkiren, entdeckte. Hieraus dürfte sich
wohl unwiderleglich folgern lassen, daß das Pferd schon
in vorsündfluthlichen Perioden ein Mitglied des mensch-
lichen Haushaltes war. Anfänglich mag das wilde
Pferd wohl nur gejagt und zur Nahrung verwandt
worden fein, bis man die ausgezeichneten Eigenschaften
desselben erkannte und mit Glück feine Zähmung ver-
suchte. Als Heimath des Urpferdes bezeichnet Darwin
das nördliche Amerika, wo man in Nebraska allerdings
Skelette aufgefunden hat, die von dem Knochengerüste
des gegenwärtigen Hauspferdes nur wenig abweichen.
-Höchst wahrscheinlicher Weise verband ein jetzt längst ver-
sunkenes Festland in der Nähe der heutigen Bering-
straße Nordweftamerika mit Sibirien, so daß wir hier
die Kommunikationsstraße zwischen der östlichen und
westlichen Hemisphäre zu suchen Hütten, den Weg, auf
welchem auch das Urpferd nach Asien hinüber wanderte,
wie der nordamerikanische Elephant, die Mastodonten
und andere jetzt untergegangene Thiergeschlechter. Viel-
leicht isst der zwischen dem Aralsee in Sibirien und dem
Hindukusch, einem an der Grenze Indiens und Tibets
sich vom Himalaya abzweigenden Gebirge, auch in der
Wüste Gobi streifende Tarpan, ein wildes Pferd mit
etwas zottiger Behaarung, das wohl bis zu einer Höhe
Mn achtzehntausend Fuß emporklettert, ein in seinen
formen noch wenig umgewandelter Nachkomme jenes

Das Buch für Alle.
Urpferdes, dessen fossile Reste auf dem Gebiete voü
Nebraska ausgegrabeu worden find.
Ob der Esel bereits dem vorweltlichen Menschen
als Hausthier gedient, hat sich Lis jetzt nicht nachweisen
lassen. Dagegen erwähnt die mosaische Schöpfungs-
geschichte wiederholt den Esel als Reit- und Lastthier der
Menschen. Noch heute leben sowohl in Asien wie in Afrika
mannigfache Arten wilder Esel, der Dfchiggetai mit
dunklem Rückenstreifen in China, Tibet und den Step-
pen der Kirghisen; der etwas kleinere, aber dickköpfigere
Gurkur oder Kulan östlich von Khiwa in Turkmenien,
in Persien, Mesopotamien, Beludschistan w.; der bald
mit, bald ohne Schulterstreif in Syrien, den Kurden-
ländern und der afrikanischen Wüste angetroffene
Homar-el-Hawa, sämmtlich einander nahe verwandte
Thiere, vielleicht nur Abarten einer und derselben Gat-
tung. Diesen Wildeseln, die noch jetzt in Afrika frisch
aus der Wüste in die Araberlager gebracht und hier-
gezähmt werden, entstammen unleugbar unsere Haus-
esel, die in Deutschland freilich zu sehr unscheinbaren
Figuren herabgekommen sind, während sie in Persien,
in Syrien und Egypten, auch in Spanien und Por-
tugal Wohl die Größe eines mittleren Pferdes erreichen
und oft als wirklich schöne und stattliche Thiere er-
scheinen. —
Gedenken wir jetzt auch noch mit einigen Worten
der gefiederten Mitglieder des menschlichen Haushaltes.
Wer nur einmal einen der größeren unserer zoologischen
Gürten besucht hat, der erstaunt ob der Menge von
Rassen, zu denen man in neuerer Zeit das Geschlecht
unseres Haus Huhns entwickelt hat und zu entwickeln
fortfährt. Hat sich doch der sogenannten „hühnerolo-
gischen" Bestrebungen die Mode und mit ihr eine wahre
Leidenschaft bemächtigt. Alle diese schier unendlichen
Varietäten aber haben, wie die neuere Forschung unbe-
streitbar dargethan, ihre Ahnen in dem in Norder- und
Hinterindien wie auf den Inseln des indischen Archi-
pels in den Wäldern wild hausenden Bankiwa-Hahn,
mit welchem von den jetzt gezüchteten Hühnerarten der
namentlich im Oriente, leider auch wohl noch hie und
da in Europa zu einem grausamen Sport abgerichtete
Kampfhahn die nächste Verwandtschaft anzusprechen hat.
Nach Europa scheint das Huhn erst im sechsten Jahrhun-
dert vor unserer Zeitrechnung gebracht worden zu sein,
zunächst ans Persien und Medien, wohin es um dieselbe
Zeit in Folge von Kambyses> Eroberung auch nach
Egypten gekommen sein mag. Wenigstens enthält keines
der pharaonischen Monumente Abbildungen, die man
als Darstellungen eines Haushuhns in's Auge fassen
könnte. In Amerika hat man, wie mehrere Natur-
forscher behaupten, vor der Einwanderung der Europäer
das Haushuhn nirgends gekannt, wiewohl es gegen-
wärtig ebenso wie in jeder Negerhüttc Centralasrika's
selbst in den entlegensten Jndianeranfiedelungen als un-
zertrennlicher Haus- und Hofgenofse des Menschen er-
scheint.
Taube, Ente und Gans endlich, die ersteren
beiden mit ihren mannigfaltigen Ab- und Spielarten,
stammen von ihren auch in Europa und Deutschland
noch wild vorkommenden Geschlechtsgenossen ab und sind
Wohl schon in unvordenklichen Zeiten in den Bereich
des menschlichen Hauslebens gezogen worden. Die
Stammmutter unserer Taube ist indeß nicht, wie man
vielleicht vcrmuthen könnte, unsere Waldtaube (?atam-
bn8 wrgmüuZ, vielmehr die sogenannte Feld-, Stein-,
Grotten- oder Ufertaube (60'umba livia), der unsere
Feldflüchter nicht blos im Kolorit, sondern auch im
Wesen sehr nahe stehen. Die Feldtaübe nistet in
Höhlen und altem Genmuer, nie aber auf Bäumen und
ist ebenso Wohl im höheren Norden Europa's, aus den
westschottischen Inseln, wie an den Küsten des Mittel-
meeres, in Egypten und Ostindien heimisch. Durch
Kreuzung und Zuchtwahl sind dann die vielen Rassen
unserer Luxustauben entstanden. In Egypten, Nubien,
Algerien, Kleinasien, in Istrien und Dalmatien hat
man diefe wilde Feldtaübe selbst bereits zu einem Haus-
thiere heran gebildet, indem man sie erst an bestimmte
Futterplätze gewohnte und dann in die Schläge zu locken
wußte.
Nou diesen und einer Reihe anderer wirklicher Haus-
thiere müssen die blos gezähmten oder domestieirten
Thiere unterschieden werden, die sich in der Gefangen-
schaft meist nicht fortpflanzen und überhaupt niemals
zu eigentlichen Gesellschaftern und Gehilfen der Menschen
werden, wie groß auch der Grad von Zähmung sein
mag, der durch besondere Geschicklichkeit, Energie und
Beharrlichkeit hie und da selbst mit Thieren erreicht
wird, die zu den scheuesten und unbändigsten ihrer Art
gehören. Daß indeß die Gruppen der Hausthiere noch
nicht definitiv zum Abschlüsse gelangt sind, haben wir
bereits angedeutet, und so darf wohl mit Gewißheit
angenommen werden, daß im Laufe der Zeit, je höher
sich die Kunst des Verkehrs zwischen Mensch und Thier-
entwickelt, unserem hausthierlichen Inventar noch manche
werthvolle Bereicherung durch bis jetzt nur wild lebende
fremde und heimathliche Thierarten zugeführt werden
wird.

47

(Nachdruck verboten.)
Die Stahlfedern. — Als James Perry, ein armer
Schulmeister in England, 1820 die stählernen Schreib-
federn erfunden hatte, wünschte ihm Jemand Glück. „Das
Erfinden ist nichts," gab er zur Antwort, „aber die
Erfindung verbreiten zu können, ist Alles. Bringe ich
es dahin, daß meine Federn in den Schulen eingeführt
werden, so lernen die Jungen niemals Gänsekiele schnei-
den und die folgenden Generationen müssen sieh der
Stahlfedern bedienen." Und so traf es ein. S.
Todesfälle in den verschiedenen Tagesstun-
den. — Londoner vielbeschäftigte Aerzte, namentlich
der verdienstvolle Dr. Lawson, haben in einer wissen-
schastlichen Zeitschrift Englands verschiedene interessante
Beobachtungen über die Tageszeit mitgetheilt, in welcher
die nieisten Todesfälle konstatirt wurden. Darnach tritt
bei chronischen Krankheiten der Tod vorzugsweise zwi-
schen 8—10 Uhr Vormittags ein und kommt am seltensten
in den Abendstunden von 8—10 Uhr vor. In Betreff
der akuten Krankheiten hat sich ermitteln lassen, daß die
meisten Todesfälle entweder früh Morgens oder spät
Abends stattfinden. Diese Beobachtungen stimmen mit
der Theorie vollkommen überein. Da in der Frühe die
Lebcnsthätigkeit am geringsten ist und im Lause des Nach-
mittags dagegen anstcigt, so ist darin die Thatsache er-
klärt, daß die chronisch Kranken am häufigsten des Mor-
gens und am seltensten Abends sterben. Die Todesfälle
bei gkuten Krankheiten am Abend erklären sich aus den:
regelmäßigen Anschwellen der Fieberbewegnng in den
Abendstunden und der dadurch hervorgerufenen Kon-
sumtion der Lebenskraft. Th. B.
Ein Königstiger. — In den Wochen, welche der
französischen Februarrevolution von 1848 folgten, ver-
löschte man in Paris überall das Wort „rozml" (königlich),
um irgend ein republikanisches Wort an dessen Stelle
zu setzen. So wurde die ,,ktaea rozml" eine Zeit lang
„Vogesenplatz" genannt. Um diese Zeit kam ein Me-
nageriebesitzer nach Paris, der besonders stolz aus das
Hauptstück seiner Thiersammlung, einen prachtvollen
Königstiger, war. Aber wie nun die Sache anfangen,
um die Verdienste dieses Thieres anzupreisen und doch
das republikanische Gefühl feiner Zuschauer nicht zu be-
leidigen? Der Fall war kritisch, aber der Menagerie-
besitzer fühlte sich sehr erleichtert, als er die neue Be-
nennung des unweit von seiner Bude befindlichen Platzes
angeschlagen sah. Er ließ also kühn auf die Anschlage-
zettel drucken: „Hier ist ein prachtvoller Vogescntiger
zu sehen!" Dies machte ungeheures Aussehen und alle
Gelehrten von Paris besuchten das Thier, welches sie
dem vaterländischen Gebirge entsprossen glaubten,- ja,
mehrere dieser Herren richteten sogar weitläufige Ab-
handlungen über die Art und Weise, wie dieser merk-
würdige nationale Tiger in die Vogesen gekommen sei,
an die Akademie der Wissenschaften — Niemand kam
jedoch auf den wirklichen Grund. S.
Genie und DVnhnstnn. — Die Geschichte liefert
bekanntlich zahlreiche Beispiele, daß berühmte Männer
in eine Geisteskrankheit verfielen, und Professor Dr. Hagen
hat kürzlich eine Menge derartiger Fülle zusammenge-
stellt. Unter den Dichtern sind zu erwähnen der römische
Poet Lucretius, welcher Anfälle von Wahnsinn hatte
und durch Selbstmord endete. Ferner Torquato Tasso;
doch waren seine mit Hallucinationen verbundenen An-
fälle, die er selbst seinem Freunde Manso schilderte,
wohl nichts anderes, als was man heute „Melancholie
mit Aufregung" nennt. In neuerer Zeit werden die
Fälle viel häufiger: Der berühmte Lustspieldichter Moliöre
litt oft an schwerer Hypochondrie, und der Satiriker
Swift starb geisteskrank. Reinhold Lenz, ein genialer
Dichter der Sturm- und Drangpcriode, endete nach
einem unsteten Leben im Wahnsinn, und in gleichem
Zustande stürzte sich der Dichter v. Sonnenberg zum
Fenster hinaus und starb. Der englische Dichter Sonthey
starb als Geisteskranker. Hölderlin's und Lenau's tra-
gisches Geschick ist allbekannt. Von großen Naturforschern
sind anzusührcn: Swammcrdam, der zuletzt in religiöse
Schwermuth verfiel, und Albrecht v. Haller, der eben-
falls in Melancholie versank. Von Philosophen sei ausge-
sührt derBegründer des sogenanntenPositivismus, August
Comte, der ein Jahr lang in der Irrenanstalt in Cha-
renton war; zwei Jahre daraus gab er sein Werk über
die Positive Philosophie heraus, woran er 14 Jahre ge-
arbeitet hatte. Berühmte Komponisten, die in Geistes-
krankheit verfielen, find u. A. Donizctti und Robert
Schumann. Beide starben in Irrenanstalten an Wahn-
sinn mit Lähmung; Letzterer hatte vorher schon durch
einen Sprung in den Rhein seinem Leben ein Ende zu
machen gesucht. Viele berühmte Sänger und Schau-
spieler verfielen, wie wir noch anführen wollen, iu
Geisteskrankheiten: wir erinnern nur an Ad. Nourrit,
Staudigl, Theodor Formes, Dawison und Andere. Unter
den Malern sei nur Alfred Rethel erwähnt, der eben-
falls erst durch den Tod aus der Nacht des Geistes er-
löst wurde. F. R.
 
Annotationen