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Denn die hier angeführten Baulichkeiten sind nur ein
kleiner Theil der für den Hofhalt erforderlichen Ar-
chitektur-Werke, nur diejenigen, welche vier der Haupt-
straßen von Versailles in sich vereinigen. Dazu kommt
noch, daß der königliche Küchengarten aus neunund-
zwanzig ziemlich umfänglichen Einzelgärten und vier-
großen Terrassen bestand und daß der Grand-Commune,
wie man die der vornehmen Hofdienerschast und ihrer
Angehörigen bestimmte Hüusergruppe hieß, von zwei-
tausend Menschen bewohnt war, während es noch eine
beträchtliche Anzahl anderer Hotels und Gebäude gab,
Louis nannte man sie, in denen der König vielen Per-
sonen, Männern und Frauen, lebenslänglich oder zeit-
weilig Wohnungen anwies.
„Wer den Prunk des alten Versailles nicht gesehen
hat, selbst nachdem Ludwig XVI. bereits eiucn Theil
seines Hauses entlassen," sagt der bekannte französische
Schriftsteller und Legitimist Chateaubriand, „der hat
überhaupt keinen wahren königlichen Glanz gesehen."
Und in der That, wir machen uns heute schwerlich auch
nur eine annähernde Vorstellung dieser beständigen und
in den grandiosesten Verhältnissen sich bewegenden Re-
präsentation, zu deren Entfaltung es eines Schwarmes
von Menschen bedurfte, die ihr ganzes Leben hindurch
gewissermaßen auf der Bühne standen. Jeder Prinz
und jede Prinzessin, noch ehe sie die Kinderschuhe aus-
getreten hatten, erhielten ihr eigenes „Haus" eingerichtet;
unter einem solchen Hause aber verstand man eine Ver-
einigung von fünfzehn bis zwanzig verschiedenen „Dien-
sten": Jägerei, Marstall, Kapelle, Kammer, Kabinet,
Conseil, Garderobe, Mundküche und Mundbückerei, Kellerei,
Rentei rc. — ohne einen derartigen Apparat wäre der
Hofhalt der kleinsten Prinzessin nicht für vollständig
erachtet worden. So waren am Hose des Herzogs von
Orleans (des späteren Egalite) zweihundert und vier-
undsicbenzig Chargen in Funktion, bei „Mesdames", den
Tanten des Königs, zweihundert und zehn, bei der Prin-
zessin Elisabeth, Ludwigs XVI. Schwester, achtundsechzig,
Lei der Gräfin Artois zweihundert und ueuuunddreißig,
bei der Gräfin von Provence zweihundert und sechsund-
fünfzig, bei der Königin Marie Antoinette gar vier-
hundert und sechsundneunzig. Als es sich darum handelte,
der erst einen Monat alten Tochter Marie Antoinettens
einen eigenen Hofstaat zu bilden, wollte die Letztere
alles iiberflüssige Personal beseitigt sehen; nichtsdesto-
weniger aber belief sich das also reduzirte „Haus" der
Prinzessin auf achtzig Personen, die einzig und allein
sich mit der Bedienung eines Wickelkindes zu befassen
hatten!
Der König selbst hatte nach der im Jahre 1775
vorgenommenen Vereinfachung des Hofhaltes noch ein
Heer von mehr als neuntausend Mann zum speziellen
Schutze seiner Person unter den Waffen stehender Garden:
Garden zu Fuß und Garden zu Pferde, Gardes du
Corps, französische und Schweizer Garden, Cent-Suisses
(jene Schweizer Leibwache, die beim Ausfahren seinem
Wagen vorausgingen), Garde-Chevauxlegers, Garde-Gen-
darmen, Saalwache, und verausgabte für diesen seinen
militärischen Hofstaat im Jahre eine Summe von nahezu
acht Millionen Livres. Vier Kompagnieen der fran-
zösischen und zwei der Schweizer Garden hielten tagtäglich
zwischen den beiden Gittereinfassungen des Schlosses, im
sogenannten Hofe der Minister Parade ab, und wahr-
haft prachtvoll war das Schauspiel, wenn der König
sich zu Wagen nach Paris oder nach Fontainebleau be-
gab. Vier Trompeter eröffneten und ebenso viele schlossen
den Zug. Aus der einen Seite machten die französischen,
aus der anderen die Schweizer Garden Spalier, so weit
sie sich nur auszudehnen vermochten, vor den Pferden
der Karrossen aber schritten die Cent-Suisses einher in
der Tracht des sechzehnten Jahrhunderts, die Hellebarde
in der Hand, mit breiter Krause, mit Federhut und
buntem, zweifarbigem Wammse. Neben ihnen marschirten
die Garden des Generalprofoßes der Armee, in langen,
mit goldenen Knöpfen übersäeten und scharlachrot!)
galonnirten Röcken. Die Offiziere aller dieser Elite-
truppen, die Trompeter und Hautboisten, gold- und
silberbedeckt wie sie waren, gewährten einen blendenden
Anblick. Hinter dem königlichen Wagen und zu dessen
beiden Seiten liefen, mit Degen und Büchse bewaffnet,
die Garde-du-CorPs, in rothen Beinkleidern, großen
schwarzen Stieseln und weiß gestickten blauen Röcken,
sammt und sonders Edelleute, die eine strenge Ahnen-
probe bestehen mußten. Es waren ihrer zwölfhundert
aus den vornehmsten Geschlechtern auserlesen. Unter
ihnen machte die sogenannte Flügelgarde — garcle8 äo
la maneba — noch eine besondere Elite-Abtheilung aus.
In ihren Weißen mit goldenen und silbernen Puffen
ausgezierten Röcken, mit reich damaszirten Hellebarden
begleiteten sie den König zu allen kirchlichen und welt-
lichen Feierlichkeiten, verpflichtet, die geheiligte Person
des Monarchen dabei keine Sekunde aus den Augen zu
lassen, damit deren Sicherheit niemals in Gefahr komme.
In den verschiedenen Marställen und Remisen des
Königs standen fast ueunzehnhundert Pferde und über
zweihundert mannigfaltiger Kutschen; vor der Reform
des Hofhaltes jedoch betrug die Zahl der ersteren min-
destens dreitausend. Für die eiucn und die anderen

Das Buch für Alle.
waren über vierzehnhundert Menschen in Thätigkeit,
deren Livreen allein im Jahre die Summe von mehr
als einer halben Million Livres erheischten. Außerdem
gehörten zu dem Departement der Pferde und Wagen
achtunddreißig Stallmeister und Bereiter und zwanzig
Neitmeistcr und Unterreitmeister für die königlichen Pagen,
die der nämlichen Oberleitung unterstellt waren, einige
dreißig Aerzte für Menschen und Thiere, Apotheker,
Intendanten, Schatzmeister, Handwerker, Hoflieferanten
und dergleichen.
Kolossal waren auch die Summen, welche eine andere
der vornehmen Passionen, ohnedies Ludwigs XVI. Lieb-
lingsergötzlichkeit verschlang — die Jägerei. Sie kam
den König Jahr aus Jahr ein auf eine Million bis
zwölfmalhunderttausend Livres zu stehen und nahm
außer den übrigen Pferden noch zweihundert besondere
Jagdpferde in Anspruch. Da gab es ferner eine Hunde-
meute für die Eber-, eine andere für die Wolfs-, eine
dritte für die Nehjagd zu unterhalten, ein sogenanntes
Federspiel (Jagdfalken) für die Krähen-, ein zweites für
die Elster-, ein weiteres für die Sperber-, ein viertes
für die Hasenjagd, und allein für das Futter der Hunde
wurde noch im Jahre 1783 die erkleckliche Summe von
fast vicrnndfünfzigtausend Livres verausgabt. Zehn
Stunden im Umkreise von Paris durfte Niemand jagen
als der König, woher es kam, daß der Wildstand zu
den außerordentlichsten Dimensionen anwuchs und dem
an sich so schwer geplagten und bedrückten Landmann
einen entsetzlichen Schaden zufügte. Fügen wir dazu
noch all die Güter und Herrschaften der vielen könig-
lichen und Prinzen von Geblüt, die sich von Paris bis
nach Orleans erstreckten, so erhalten wir ein Areal von
mehr als fünfzehn deutschen Meilen im Halbmesser, auf
welchem ausschließlich zum Vergnügen des Königs und
seiner Hofleute das Wild gepflegt und geschützt wurde
und der arme Bauer ruhig mit ansehen mußte, wie es
seine Aecker und Gärten verwüstete. Bekanntlich führte
Ludwig XVt. ein Tagebuch, in welchem er die Erfolge
seiner Jagden getreulich verzeichnete. In diesen bis
mitten in die Schrecken der Revolution hinein mit einer-
merkwürdigen Unbefangenheit und Ahnungslosigkeit der
sich für ihn und für die Seinigen wie für das ge-
jammte Königthum vorbereitenden furchtbaren Schicksale
fortgesetzten Jagdanmerkungen heißt es u. A.: „31. Au-
gust 1781 — heute vierhundert und sechzig Stück Wild
erlegt."
Für das Seelenheil des Königs hatten fünfundsiebcnzig
Personen zu sorgen: Almoseniere, Kaplänc, Beichtväter,
Prediger, Kapelldicner, Sänger, Organisten und Kom-
ponisten von Messen und anderen geistlichen Musikstücken;
seine leibliche Wohlfahrt ruhte in den Händen von acht-
undvierzig Menschen: Aerzten, Chirurgen, Apothekern,
Augenärzten, Operateuren, Hühncraugenschneidern, Glie-
dereinrenkern und Scheidekünstlern, während die weltliche
Hofmusik ein Corps von hundertachtundzwanzig Sän-
gern, Tänzern, Zinkenistcn, Kapell- und Generalkapell-
meistern beschäftigte und seine Privatbibliothek von drci-
undvicrzig Custoden, Lektoren, Dolmetschern, Graveuren,
Stempelschneidern, Geographen, Buchbindern und Buch-
druckern verwaltet und bedient wurde. Für die Reiseu
des Königs war eine Gruppe von achtuudsechzig Hof-
beamten angcstellt: Ouartiermeisteru, Fourieren und
Guiden. Das in Versailles so hochwichtige Departement
der Ceremonieen und Festlichkeiten endlich setzte ein Per-
sonal von zweiundsechzig Köpfen in Bewegung: Herolden,
Schwertträgern, Einführern und Musikanten.
Und welche weitläufige und kostspielige Maschinerie
wurde erst gebraucht, um die königliche Tafel herzustellen!
Diese letztere bestand aus einer ganzen Reihe einzelner
Abtheiluugen: der Tafel für den König selbst und seine
jüngsten Kinder; den verschiedenen Tafeln für den Oberst-
hofmeister, den Oberstkammerherrn, die im Schlosse woh-
nenden Prinzen und Prinzessinnen; den Tafeln für die
Haushofmeister, die Almoseniere, für die Kammerherren
und Hofjunker im Dienst, sowie für die königlichen
Kämmeriere. Alle zusammen bedurften eines Trosses
von dreihundert und dreiundachtzig Beamten und hundert
und drei Dienern und Aufwärtern und kosteten mit den
Tafeln der Schwester und der Tanten des Königs nicht
weniger als jährlich drei Millionen sechsnmlhundert und
einige sechzigtanscnd Livres. Erhielt doch der Wildpret-
händler allein im Jahre für das dem Hofe gelieferte Fleisch
nahezu seine Million Livres, während das Herbeiholen
des Trinkwassers aus dem unweiten Ville-d'Avray (das
Versailler Wasser war und ist noch schlecht) zugleich
einen umfänglichen Apparat von Wagen, Pferden und
Menschen und einen jährlichen Aufwand von mehr als
siebenzigtauscnd Livres nothwendig machte. Der Kopf
schwindelt uns, wenn wir in den noch erhaltenen Hof-
staatsbüchern das Verzcichniß der für die königliche
Tafel in Thätigkeit befindlichen Personen und deren
Titel lesen. Obermundküchenmeister, Haushofmeister,
Controleure, Controleurassistenten, Edellente von der
Mundbückerei, Weinschenken und Vorschneider, Küchen-
beiläufer und Küchcntrabauten, Oberkvche sammt Ge-
hilfen und Geschirrwüschcrn, Küchenjungen und Aus-
läufer, Weinholer und Bratenmeister, Suppenköche und
Hofküchengürtner, Pastetenbücker und Tafeldiencr, Braten-

Heft 4.
träger und Bratspießregulatoren, Haushofmeister und
Köche des ersten Haushofmeisters — das sind noch bei
Weitem nicht alle der mannigfaltigen höheren und nie-
deren Würdenträger im Bereiche der mit der Herrichtung
der königlichen Tafel — Lervtas cle bouebs (Mund-
dienst) heißt das Departement offiziell — betrauten
Hofdienerkategorie.
Nahen wir uns schließlich dem Allerheiligsten des
Palastes, den Gemächern des Königs, so finden wir eine
neue goldene Wolke von baßeren und kleineren Sternen,
welche die Sonne der Mcyestät umkreiste. Zwei Würden-
träger höchsten Ranges glänzten an der Spitze dieses
Trabantenschwarmes, jeder derselben als Vorsteher von
mehr als hundert Untergebenen: einerseits der Qberst-
kammerherr mit den ersten Hoscavalieren, mit den
Kammerpagen, ihren Gouverneuren und Lehrern, mit
den Thürhütern der Antichambre, mit den vier ersten
und den sechzehn Unterkammerdienern, mit den gewöhn-
lichen und den besonderen Mantelträgern, mit den Bar-
bieren, Tapezierern, Uhrmachern, Sänftenträgern; an-
dererseits der Oberstgarderobenmeister mit den gewöhnlichen
und besonderen Garderobemeistern, mit den Koffer- und
den Ballspielträgcrn, den Schneidern und Wäschern, dem
Stärkemeister und seinen Gehilfen, mit den simplen Hof-
junkern, den Thürstehern und Kabinetssekretären, im
Ganzen hundertundachtzig Personen für den Dienst um
die Person des Monarchen, für alle seine Bedürfnisse,
selbst die kleinsten und geheimsten. Waren doch eigene
Diener im Amte, die weiter nichts zu thun hatten, als
die Kugeln für das damals sehr beliebte Mailspiel zu
holen, oder Mantel und Rohrstock des Königs zu halten,
oder diesem die Hände abzutrocknen, oder die Maulthiere
zu führen, welche sein Bett tragen mußten, wenn er sich
von einem seiner Schlösser nach dem anderen begab,
oder seine Stubenwindhunde zu Pflegen, oder ihm das
Halstuch zu Linden, oder noch vertrautere. Dienste
zu leisten, auf deren Anführung wir hier verzichten
müssen.
Außer Versailles bestanden indeß noch mindestens
ein Dutzend anderer größerer und kleinerer königlicher
Residenzen: Marly, die beiden Trianon, la Muette,
Meudon, Choisy, Saint-Hubert, Saint-Germain, Fon-
tainebleau, Compiögne, Saint-Cloud, Rambouillet, Cham-
bord, der Louvre, die Tuilerien, die fast sämmtlich ihre
Gärten, ihre Parks und Jagdgehege besaßen, sammt
ihren Gouverneuren, Inspektoren, Rendanten, Kastellanen,
Brunnenmeistern, Gärtnern, Forstmeistern, Maulwurfs-
jägern, Wachen zu Fuß und zu Pferde. Die Unter-
Haltungs-, Bau-, Reparatur- und Kulturkosten für diese
sämmtlichen Schlösser und Gartenanlagen beliefen sich
des Jahres durchschnittlich auf mehr als zwei Millio-
nen Livres und riesenhaft war der Aufwand, welchen
die zeitweilige Uebersiedelung des Hofes von einem dieser
Königssitze nach dem andern verursachte. So kostete die
Reise von Versailles nach Fontainebleau immer ihre
vier- bis fünfmalhunderttausend Livres!
In Summa waren es wenigstens fünfzehntausend
Personen, die zum engeren und weiteren Hofhalte des
Königs gehörten; dieses Heer höherer und niederer Die-
nerschaft aber belastete das Budget des Monarchen jähr-
lich mit vierzig bis fünfzig Millionen Livres, einer
Summe, die heute die doppelte Ziffer repräsentiren
würde und in jener Zeit mehr als den zehnten Theil
der Staatseinnahmen betrug. —
Eine Schilderung des Versailler Riefeuschlosses, sei-
ner äußeren und inneren Herrlichkeit, seiner Gürten und
Wasserkünste, wie dies Alles vom vierzehnten bis zum
sechzehnten Ludwig die Bewunderung der Welt erregte,
liegt nicht im Plane unserer Darstellung. Wir wenden
uns vielmehr einigen einzelnen Akten des Hoflebens zu,
welche die Glanzentfaltung und Selbstüberhebung des
altfranzösischen Königthums in besonders Prägnanter
Weise charakterisircn, und folgen dabei im Wesentlichen
den erst neuerdings veröffentlichten hochinteressanten Auf-
zeichnungen eines der ehemaligen Kammerpagen Lud-
wigs XVI., des Grafen Felix v. Hszecques. Um unter
diese Kammcrpagen ausgenommen zu werden, deren
Dienst sich lediglich auf das Innere des Schlosses und
auf die Person des Monarchen beschränkte und aus denen
sich das Offiziercorps der verschiedenen Garden und
namentlich der adeligen Leibwache rekrutirte, mußte
man einen mindestens zweihundert Jahre zurückreichen-
dcn Adel von väterlicher und mütterlicher Seite Nach-
weisen und ein jährliches Taschengeld von sechshundert
Livres beziehen. Wurden diese beiden unerläßlichen Be-
dingungen erfüllt, so hatten die Eltern für Unterhalt
und Fortkommen des Sohnes nicht weiter zu sorgen:
Kleidung, Beköstigung, Unterricht rc. — Alles spendete
der König seinen Pagen mit wahrhaft fürstlicher Mu-
nifizcnz und Stattlichkeit. Mit welchem verschwenderi-
schen Luxus bei der Ausstattung dieser jnngen Edellcute
zn Werke gegangen wurde, bekundet die Thatsache, daß
ein einziges Galakleid der Kammcrpagen ans fünfzehn-
hundert Livres zu stehen kam. Es war von karmoisin-
farbigem Sammet und aus den Nähten mit Gold be-
stickt. Der Hut war mit einer Feder garnirt und von
breiten spanischen Spitzen umgeben.
Den Kammerpageu lag es ob, dem großen Lever
 
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