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1L6

iiieine Freundin, die ich liebe und verehre, wiederfinden
kann."
„Wenn ich es Ihnen mittheile, Erlaucht, so begehe
ich eigentlich eineu Verrath au der Freundschaft. Auch
ich habe Hermine herzlich lieb gewonnen, auch uns ver-
bindet eiil rasch entstandenes, aber inniges Band. Nicht
wahr, sie werden Sie es nie entgelten lassen, daß ihr wie-
dergefundener Vater ein heruntergekommener Mensch,
vielleicht sogar ein Verbrecher ist?"
„Ihr Vater ein Verbrecher? O, das arme Mäd-
chen! Wie? Sie konnte glauben, daß ein unverschul-
detes Unglück meine Freundschaft für sie herabstimmen
würde?"
„Nein, sie glaubt auch nicht darau. Aber das Be-
wußtsein, die Tochter eines solchen Vaters zu sein, hat
ihr ganzes Denken lind Fühlen verwandelt. Ihr Stolz
ist verletzt, sie wird beherrscht von einem übertriebenen
Schamgefühl, nnd dieses gebietet ihr, in den nächsten
Tagen die Stadt zu verlassen, um Ihnen, Erlaucht, zu
entgehen, um Sie nicht, wie sie mir selbst gesagt, in
einen Konflikt Zu bringen zwischen Rang nnd Neigung.
O, wie sie mich dauert, die arme Hermine!. Ja, sie
weist sogar die Liebe eines Mannes zurück, der auch
sie liebt, und nur deshalb, damit nicht ihre Schande
einen Schatten auf seine Familie werfe."
„Daran erkenne ich sie, sie denkt groß nnd erhaben.
Also sie liebt? Ich habe das längst zwischen den Zei-
len ihrer Briefe gelesen. Hat sie Ihnen bekannt, wen
sie liebt?"
„Nein, nur sagte sie mir, der Betreffende fei ein
in seinem Fache hervorragender Gelehrter und stamme
von einer wissenschaftlich berühmten Familie ab."
„Ich ahne es. Aber wo, wo ist sie? Sie dars
nicht fort, ich muß sie sprechen."
„Ihnen wird es vielleicht gelingen, sie zu halten lind
ihr erregtes Gemüth Zu besänftigen. Auch ich möchte
sie nicht verlieren, und nur aus dem Grunde verrathe
ich Ihnen ihren Ausenthalt. Hermine ist in unserem
Hause."
Klara erzählte jetzt in kurzen Worten die Veran-
lassung, die sie dahin gebracht, nannte aber absichtlich
nicht den Namen des jungen Mannes, der sie in so
frecher Weise beleidigt hatte, und nachdem sie noch von
ihrer Krankheit berichtet, wie sie dieselbe dabei gepflegt
nnd bei der Pflege lieb gewonnen, schloß sie mit folgen-
den Worten:
„Ich weiß, Hermine wird mir zürnen, daß ich Ihnen
das Alles anvertrant, aber wenn Sic es erreichen soll-
ten, sie von dem Wahn zu befreien, daß die Verkom-
menheit ihres Vaters auch ihr die Achtung raubt, wenn
sie ihren Entschluß ändert und in unserer Nähe bleibt,
fo will ich gern ihren Zorn ertragen, bin ich doch über-
zeugt, daß sie mir später noch einmal dafür danken wird.
Wenn es Ihre Absicht ist, Erlaucht, Hermine zu be-
suchen, fo darf sie es vorher nicht erfahren, sie muß
überrumpelt werden, sonst entflieht sie Ihnen. Ich
möchte Sie aber bitten, bis morgen zu warten, Her-
mine ist heute länger im Garten gewesen, als ihr vom
Arzt erlaubt worden. Ich ging noch zu ihr, bevor
wir hieher fuhren, sie war sehr angegriffen und hatte
das Bett wieder ausgesucht. Ich fürchte, die Aufregung
könnte ihr heute schaden. Wenn ich mir erlauben dürfte,
einen Vorschlag zu machen, und es Ihnen zu der Stunde
Passen würde, so möchte ich Sie bitten, morgen Vor-
mittag um elf Uhr sich Zu uns zu bemühen. Hermine
wird dann wieder in unserem Garten fein, und dann
überfallen wir sie gemeinschaftlich. Von ihren: Fenster
aus könnte sie zufällig Ihre Equipage erblicken, und der
Konsequenz ihrer Anschauungen gemäß uns Beiden ent-
fliehen."
„Ich füge mich ganz Ihren Bestimmungen, liebes
Fräulein, ich werde um die festgesetzte Stunde-koinmen."
Sie reichte Klara die Hand und fuhr fort:
„Ich danke Ihnen herzlich für die bereitwillige Zu-
sage Ihrer Unterstützung, hoffen wir das Beste. Sie,
Fräulein v. Bollheim, sind Herminens Freundin, ich
bin es auch, das knüpst schon in der ersten Stunde zwi-
schen uns ein unsichtbares Band, möge es für die Zu-
kunft ein noch festeres werden."
„Erlaucht sind zu gnädig!" erwiederte Klara herzlich.
„Hier sind die Photographieen," sagte die Reichs-
gräsin, „Wersen Sie noch einen raschen Blick darauf, be-
vor wir in den Salon znrückkehren."
Während Klara die Bilder betrachtete, warf Isa-
bella die Frage hin:
„Sie erwähnten vorhin eines Herrn Bernau, der
mit Ihrem Herrn Bruder die arme Hermine befreit
ist er von Adel? Der Name interessirt mich, weil
meine verstorbene Mutter ciue Gräfin Bernau war."
„Ach nein, von Adel ist er nicht, er ist nur ein
Bürgerlicher."
„Sie sagen das mit einem Seufzer?"
„Habe ich wirklich geseufzt?" sagte Klara crröthend.
„Das war nur Zufall."
„Der Schelm!" dachte Isabella und sagte laut:
„Wenn es Ihnen recht ist, so gehen wir in den
Salon zurück, unsere lange Abwesenheit könnte sonst be-
fremden. Mein Bruder würde sich nicht scheuen, mich

Das Buch s ü r A l l e.
nachher nut lästigen Fragen zu beehren, ich habe aber
nicht Lust, mich weder vor ihm noch vor meiner Blut-
ter wegen meiner Neigungen zu rechtfertigen."
Sie sagte das mit verächtlich aufgeworfenen Lippen;
dieser Einblick in das Verhältnis; zu ihren Verwandten
war ja kein geringes Maß von Vertrauen, welches sie
den: jungen Mädchen schenkte.
Von einem plötzlichen Gedanken erfaßt, sagte Klara
plötzlich:
„Mit Angst nnd Zittern bin ich hieher gefahren,
und bin nun doch so befriedigt und glücklich durch Ihre
Güte und Freundlichkeit gegen mich."
„Warum mit Angst und Zittern?"
„Weil ich fürchtete, daß nut dieser Visite eine Zur-
schaustellung meiner Person verbunden werden sollte."
„Ah, ich verstehe. Ich weiß genug. Das möchte
man wohl, eine unentweihte Rose —"
Sie reichte Klara abermals die Hand und sagte:
„Ein Schutz- und Trntzbündniß gegen diesen Plan."
„Wie soll ich Ihnen danken!"
„Aber nun müssen wir eilen!"
Die beiden Damen erhoben sich und schritten der
Thüre zu. Bevor sie letztere erreichten, stand Isabella
noch einmal still:
„Ich bin bei meinen Großeltern erzogen, Beide wa-
ren hochgebildet, ihr Unigang bestand zum größten Theil
ans Gelehrtci: und Künstlern, weniger aus Leuten von
Geburt; Herz nnd Geist waren die Parole, um Freund-
schaften zu schließen, gemeine Gedanken durften sich
Ihnen nicht nahen — ich fühle wie fie und werde
nur diese Gefühle hier zu bewahren wissen. Prinz Fer-
dinand denkt ebenso. Wir müssen uns häufiger sehen,
Klara. Nun kommen Sie!"
Das junge Mädchen drückte schweigend die Hand
der Reichsgräfin, von der die ihrige noch immer gehalten
wurde, ein dankbarer, von einer Thrüne der Rührung
Plötzlich feucht gewordener Blick traf die hochgestellte
Dame, deren Gesinnungen einen wirklichen, echten Adel
offenbarten, nnd Isabella, hingerissen voi: diesen: Blick
des jungen Mädchens nnd überwältigt von der ganzen
lieblichen Erscheinung, zog Klara au ihre Brust und
drückte einen Kuß auf ihre Stirne.
Nun gingen sie.
In: Saal unterhielte!: sich unterdeß die Prinzessin
und der Freiherr sehr angelegentlich, Andreas aber blieb
ihnen, namentlich der Mutter, nach wie vor ein Räth-
sel. Er schien seinen eigenen Gedanke:: nachzuhängen
und gab nur einsilbige, halbverworrene Antworten, wenn
an ihn Fragen gerichtet wurden.
Als Klara und Isabella znrückkehrten, nahmen seine
Augen einen sonderbaren Glanz an, er richtete sich in die
Höhe, sank aber gleich wieder zusammen, doch blieben
seine Blicke unverwandt aus der Gestalt uud den: Ge-
sicht des jungen: Mädchens haften.
Nach einigen Minuten erhob sich der Freiherr, die
formelle Visite war zu Ende, man nahm höflichen Ab-
schied und Klara und ihr Vater entfernten: sich. An-
dreas sah die Scheidende an, als wenn er sie nut den
Augen verschlingen wollte. Auch Isabella verließ das
Zimmer.
Nun erst kam Leben in die Gestalt des Sohnes, er
ging an's Fenster und sah der abfahrenden Equipage
des Bankiers so lange nach, bis sie seinen Angen ent-
schwunden war, dann wandte er sich an seine Mutter
und sagte mit hastigen: Athen: und in abgebrochenen
Sätzen:
„Maina, zum ersten Male in meinem Leben — bin
ich in einem Traume befangen, oder — welch ein furcht-
bares Herzklopfen, es ist, als — wie ausgelöscht sind
alle anderen Empfindungen, nut Widerwillen denke ich
- dieser Engel kann einen Teufel zur Tugend — ich
weiß nicht, was mit nur vorgegangen ist —"
„Du schwärmst, Andreas! So scheint Dir das
Fräulein v. Bollheim nicht mißfallen zu haben?" sagte
mit zufrieden lächelnden Mienen die Prinzessin.
„Das weiß ich, Mama, daß ich dieses Mädchen lieben
werde, heiß, mit der ganzen Kraft meiner Seele! Jetzt,
o, schon jetzt! Vor keinen: Menschen habe ich mich ge-
demüthigt, ihr Sklave Null ich werden! Ach, ihr zu
dienen muß eine Wollnst sein! An Dir ist's jetzt,
Mama, die Sache iills Reine zu bringen, nnd so bald
wie möglich — Du hast sie heraufbcschworen! Wehe
Dir, wehe ihr, wehe uns Allen, wenn Du es nicht zu
Stande bringst!"
„Bravo, Andreas, so gefällst Du mir. Die Sache
ist entschieden, sowie sie Deine Billigung hat. Ich habe
des Vaters Wort!"
„Und das der Tochter?"
„Sie ist ein wohlerzogenes Kind, die Millionärin
ist Dein!"
„Und wen:: nicht — ?"
Er vollendete den Gedanken nicht, sondern verließ
den Salon nnd ging in sein Zimmer, wo er ausgestreckt
auf feiner Chaiselongue Stunden lang träumte und sich
Bilder schuf, die nicht wie sonst von einer seine Nerven
aufregende,: und zerstörenden Leidenschaft gestaltet wür-
den, sondern voi: der Liebe, der wirklichen nnd wahren,
die zum ersten Male sein Herz berührt hatte.

6.
Mit geschlossenen Augen lag er da. Plötzlich sprang
er mit einen: wilden Aufschrei in die Höhe? Zwischen
die beglückenden Bilder, die seine Phantasie ihn: vor-
gaukelte, dräugte sich ein anderes Bild, eine grauen-
hafte Gestalt mit hohlen, unheimlich rollenden Augen,
auf dem Haupt statt der Haare sich ringelnde Schlan-
gen, mit ansgestreckten, fleischlosen Armen, in der Rech-
ten einen blitzenden Dolch.
Es war die Eifersucht.
10.
Der Fabrikbesitzer Johnson eilte, nachdem er den
amerikanische!: Gesandten verlassen, in einer furchtbaren
Aufregung, die er bis dahin mit Aufbietung seiner gan-
zen Kraft nur bemustern konnte, in das Hotel Merwitz
zurück. Auf seinen: Zimmer angelangt, schloß er mit
zitternden Händen seinen Reisekoffer auf, holte dei: von
den: alten Theaterdiener Hantelmann empfangenen Brief
hervor, fuhr mit der Hand in die Tasche seines Rockes
und brachte die von Bollheim ausgestellte Vollmacht
zum Vorscheiu, stürzte nach dem Fenster hin, und beide
Schriftstücke neben einander aus die Fensterbank legend,
starrte er eine lange Zeit unverwandt auf die Papiere
hin. Allmählig nahmen seine von höchster Aufmerksam-
keit zeugenden Gesichtszüge einen Weichen verklärten Aus-
druck an, die Augen füllten sich mit Thränen und die
Hände faltend, sprach er mit leiser Stimme:
„Hab Dank, mein guter Gott, für diese Entdeckung!
— O, kein Zweifel," fuhr er lauter fort, „das hat
eiue Hand geschrieben, das wird jedes unbefangene
Auge mir bestätigen, jedes Gericht anerkennen müssen.
Mein Muth war schon gesunken und dennoch trieb meine
Ahnung mich immer wieder mit meinen: Argwohn in
dieses glänzende Hans, und meine Nachforschungen,
meine Erkundigungen drehten sich zuletzt nur noch um
den Millionär, um den Freiherrn v. Bockheim. Aber
er war nicht immer Millionär. Stimmt nicht Alles?
Er hat sich als Commis mit einem kleinen Gehalt ver-
heirathet, er hat in Noth und Armuth gelebt, ein Col-
lege von ihn: in einen: anderen Geschäft, der jetzige
Kaufmann Stahl, hat ihm mehrfach kleine Summen
geliehen, ihn: hat er sein Elend geklagt. Plötzlich etablirt
er sich und alle Noth hat ein Ende, und das um die-
selbe Zeit, wo dem Herrn Kleinschmidt die fünftausend
Thaler gestohlen wurden. Hat dieses Schandgeld nicht den
Grund zu seiuen Millionen gelegt? O, es ist klar wie
der Tag!"
Mr. Johnson, oder vielmehr Wellbrandt — nm
seinen wahren Namen zu nennen — nahm die beiden
Papiere in die Hand und fing an, mit hastigen Schrit-
ten im Zimmer auf uud ab zu wandern.
„Zwanzig Jahre nnd darüber," fo sprach er weiter,
„bin ich in anderen Weltthcilen umher geirrt, habe alle
Arten des Kummers kennen gelernt, habe in Todes-
gefahr geschwebt, und wäre ich darin umgekommen, so
wärest Du auch noch mein Mörder gewesen, Du stolzer,
geadelter Kaufmann! Zwanzig Jahre und darüber hast
Du mich fern gehalten von meinem einzigen Kinde, ich
habe es nicht Pflegen können, ich habe es nicht heran-
wachsen sehen, kein Band der Liebe habe ich mit ihm
knüpfen können, und wenn nicht ein guter Stern meine
Maria geleitet hätte, wenn sie im Elend nntergcgangcn
wäre, so wäre es Dein Werk gewesen, Du ehrloser Dieb!
Und wenn es mir auch gelingt, mein Kind wieder-
an die Brust drücken zu können, was Du mir nie er-
statten kannst, Du Räuber meiner Ehre, das sind die
Erinnerungen an ihr Gedeihen nnd Wachsen: von Jahr
zu Jahr, an ihre Entwickelung, an die Entfaltung ihres
Geistes und Körpers. Das hast Du mir für iininer
gestohlen, Du zwiefacher Dieb! Und meinst Du, das
soll Dir ungestraft hingehen? Nein, Verruchter, und
abermals nein! Und kann die Gerechtigkeit auch ihren
Arm nicht mehr nach Dir ausstrecken, weil die That
verjährt ist, so soll sie Dich dennoch fassen. Herunter-
reißen will ich Dir den erborgten Mantel der Tugend,
in den Du Dein falsches Herz gewickelt, Herabreißei:
Dir die Maske der Wohlthätigkeit, womit Du die
Menge blendest, Rache will ich für mein geraubtes Glück
und wieder haben will ich meinen ehrlichen Namen!
„Hier sind die Beweise und noch heute schlage ich
Lärm!
„Und sah er wohl aus wie ein Dieb? Waren das
die Züge eines Missethäters, der so schlecht nnd grau-
sam sei:: konnte, einen ehrlichen Mann in Schande zu
bringen, ihn aus der Heimath zu treiben, ihn von den:
Herzen seines Kindes, den: theuersten Kleinod, was er
ans Erden besaß, unbarmherzig hinweg zu reißen?
Machte er nicht ganz den Eindruck eines rechtschaffenen
und Niohlthätigen'Atannes? Und doch im tiefsten Grunde
seines Herzens fo verderbt! Weshalb ist er wohlthätig,
weshalb diese großen Institute, die ihm den Adel ein-
gebracht? Um seinen Mitmenschen Sand in die Angen
zu streueu, um seine schlechte Seele dahinter zu ver-
bergen! Aber die Nemesis ist da, jetzt sollst Tu herunter
von Deiner angemaßten Höhe, und die Leute, die früher
tief den Hut vor Dir abgezogen, werden von nun an
mit Fingern auf Dich zeigen!"
In Wellbrandt's sonst so gntmüthigem, Wohlwollen--
 
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