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Verführerischen Prinzessin tag. Rosenbergs Aussagen
vor Gericht und das stolze Schweigen der Beschuldigten
verurtheilten Letztere, ohne daß ihre Richter sie nur. ein
einziges Mal vernommen hätten."
„Meine arme Mutter!"
„Ihnen sowohl wie Ihrer Fran Mutter wird ganz
gewiß sehr viel daran gelegen sein, daß auch die hin-
länglichen Beweise für die Schuldlosigkeit der Reichs-
gräfin Konradine Ihnen zur Disposition gestellt werden,
nicht wahr?"
„O, mein Gott, wenn Sie das könnten!"
„Ich werde das können, indem ich Rosenberg selbst
herbeischafse, der geneigt ist, im Hinblick darauf, daß
eine Strafe für falsche Aussagen längst verjährt ist, ein
offenes Bekenntniß abzulegen."
„Er lebt noch? lind Sie kennen ihn?"
„Er ist ein vollständig heruntergekommener Trunken-
bold, dem nichts an seinem Rus gelegen ist, der nur
noch Sinn hat für seine Branntweinflasche. Es fragt
sich nur, Herr Bernau, ob Sie zu einem Opfer bereit
sind?"
„Welches Opfer meinen Sie?"
„Ich gebe Ihnen zu bedenken, daß ich im Stande
bin, die Ansprüche des Reichsgrafen Andreas durch ein
Wort zu beseitigen und ebenfalls die Unschuld Ihrer
Frau Mutter zu beweisen; ich füge hinzu, daß ich
durch die Prinzessin Elfride vollständig mittellos ge-
worden bin, und so werden Sie es wohl begreiflich
finden, wenn ich durch die Auslieferung zweier für Sie
so wichtiger Geheimnisse versuche, mir eine sorgenfreie
Existenz zu schassen. Ich fordere für mich von Ihnen
die Summe von zwanzigtausend, für Rosenberg zehn-
tausend Thaler, eine Summe, die für Sie bei deu fürst-
lichen Revenüen, die Felsenheim abwirft, von gar keinem
Belang ist."
„Wie soll ich Ihnen eine solche Summe bezahlen,
da ich ja bis jetzt nichts besitze?"
„Sie dürften mir nur zwei Wechsel ausstellen; so-
wie Ihr Recht anerkannt ist, wird Ihnen jeder Bankier
das Zehnfache vorstrecken bis zu dem Tage, wo Sie
Ihr Fideikommiß übernehmen könnten."
„Wer bürgt mir aber dafür' — verzeihen Sie mir
diesen Einwurf — daß Ihre Angaben richtig find und
wirklich den Werth für mich haben."
„Ein langweiliger Pedant," dachte der Andere, sagte
aber laut: „Ich kann Sie nicht zwingen, mir zu glauben.
Reichsgraf Andreas würde mir vielleicht das Doppelte
für mein Schweigen geben, aber ich hasse die Brut und
hasse die Prinzessin, ich will mich begnügen mit der
geforderten Summe, weil ich zugleich daneben meine
Rache befriedigen kann."
„Wollen Sie mir nicht gestatten," sagte Willibald,
deni es fast unheimlich in der Nähe dieses Menschen
wurde, der aus Haß und Rache die Geheimnisse An-
derer verrathen und zugleich sich dadurch bereichern
wollte, „daß ich, bevor ich mich binde, mit meiner
Mutter Rücksprache nehme."
„Sie mißtrauen mir, so will ich Ihnen durch Offen-
barung eines anderen Geheimnisses beweisen, daß ich es
ehrlich mit Ihnen meine, und Sie mögen hieran er-
kennen, daß auch meine anderen Mittheilnngen den an-
gegebenen Werth haben. Ich könnte auch durch dieses
Geheiinniß jede Summe von Ihnen erpressen, und daß
ich es nicht thue, soll Ihnen begreiflich machen, daß
meine Forderung immerhin eine bescheidene war nnd ich
ein einfaches Geschäft mit Ihnen abzuschließen gedenke,
bei dem der größere Gewinn auf Ihrer Seite liegt. —
Sie, Herr Bernau, wurden ein Vierteljahr nach der
Scheidung Ihrer Mutter geboren; mit Ihnen zugleich
kam eine Zwillingsschwester auf die Welt,- und diese
Schwester wurde durch Rosenberg — der Ihre Frau
Mutter wirklich liebte, aber mit Unwillen, als er ihr
seine Liebe erklärte, zurückgewiesen wurde — aus elender
Rachsucht geraubt und, wie Ihre Mutter nicht anders
glauben wird, im nahen Flusse ertränkt. Jeder weiteren
Erzählung dieses Borganges muß ich mich enthalten
bis zu dem Augenblicke, wo Sie mir den Wechsel über-
reichen. Ich kann Ihnen nur sagen, daß sie lebt und
zu einem sehr schönen Mädchen herangewachsen sein soll."
„Sie lebt?" rief Willibald auf's Höchste erstaunt
ans, „wie? auch die zweite Schwester ist uoch am Leben?
Stehe ich denn inmitten eines Märchens? Ist cs ein
Traum, der mich umfängt? Ich bijte Sie, mein Herr,
treiben Sie keinen Scherz mit mir, sagen Sie mir, ob
es Wahrheit ist, was ^ie soeben gesprochen?"
„Das wäre ein übel angebrachter Scherz und die
Zeit dazu schlecht gewählt, Herr Bernau. Leider bin
ich nicht im Stande, Ihnen den augenblicklichen Auf-
enthalt der Reichsgräfin Hermine angeben zu können,
denn fie ist ihrem vermeintlichen Vater entflohen, jedoch
würde wohl bei einigem Nachforschen zu entdecken sein,
wohin sie sich gewandt hat."
„Hermine heißt sie?" fragte Willibald rasch, von
einer Plötzlichen Ahnung wunderbar erfaßt.
„Sie nennt sich Hermine Stolzer, und weiß auch
nicht anders, als daß es ihr wirklicher Name und der
alte Trunkenbold ihr rechtmäßiger Vater ist."
„O mein Gott!" rief Willibald aus, „Hermine

Das Buch für Alle.
Stölzer ist meine Schwester? Das hübsche, edle Mäd-
chen, das ich ans den Händen des wüsten Reichsgrafen
Andreas errettete?"
„Sie kennen sie?" fragte nun, seinerseits ebenso er-
staunt, der Unbekannte. „Dann wissen Sie vielleicht
auch, wo sie geblieben?"
„Ich weiß cs, sie ist im Hause des Bankiers von
Bollheim, aber schon morgen werde ich sie meiner
Mutter zuführeu. O, welche wunderbaren Verhältnisse!
Kanu sich so etwas im wirklichen Leben ereignen, das
ist ja ein vollständiger Roman, den ich erlebe!"
„Nun, und unser Geschäft, Herr Bernau? Ich will
Ihnen die Sache noch leichter machen. Sie stellen mir
ein Dokument aus, worin Sie fich verpflichten, mir die
geforderte Summe auszuzahlen, sowie Sie gerichtlich
als Sohn des Reichsgrafen und als fein nächster Erbe
anerkannt sind. Sie können mich noch hinzufügen, sowie
die Unschuld Ihrer Frau Mutter an den Tag gelangt
ist. Auf diese Weise stehen Sie ganz gesichert da."
„Wohlan, ich will es!"
„Wollen wir das heute Abend noch abmachen, so
könnten wir uns morgen eine zweite Zusammenkunft
ersparen. Wir brauchen nur in Ihre Wohnung zu
gehen, wo Sie mir das Schriftstück aufsetzen und ich
Ihnen dann sofort dagegen die Geheimnisse überliefere."
Nun, da Willibald fich einmal entschlossen, auf
dieses Geschäft einzugehen, war auch die Neugierde in
ihm erweckt und er sagte rasch:
„Kommen Sie!"
Schweigend wanderten die Beiden neben einander
her. Willibald sah seinen Begleiter bisweilen von der
Seite an, um vielleicht von der wirklichen Persönlichkeit
einen Begriff zu bekommen, aber die Verkleidung war
zu gut, er sah nichts als eine gerade Nase nnd zwei
große scharf blickende Augen.
Er wandelte in der That wie in einem Traume
uud konnte es fich bisweilen gar nicht als möglich denken,
daß Alles, was er seit ein Paar Stunden erlebt, wahr-
haftige Wirklichkeit sei.
Auf Willibalds Zimmer angelangt, bat der Fremde,
seine Mütze auf dem Haupte behalten zu dürfen. Er-
sterer stellte den Revers aus uud unterschrieb ihn, wie
der Unbekannte es wünschte, mit seinem Namen: Reichs-
graf Willibald Felseck von Felsenheim, znr Zeit genannt
Bernau.
„Nehmen Sie es," sprach Willibald, gespannt dem
Blousenmann in's Gesicht sehend, und reichte ihm die
Bescheinigung hin. „Und nun Ihre Mittheilungen."
Dieser nahm das Schriftstück in Empfang und nach-
dem er es in die Tasche gesteckt, sagte er:
„Zuerst das für Sie Wichtigste: Die Prinzessin
Elfride war, bevor fie mit dem Reichsgrafeu Felseck sich
vermählte, vorher schon — so unglaublich es klingt, es
ist aber dennoch wahr und kann nachgewiesen werden —
mit einem Schauspieler Namens Streckenbach vermählt.
Nicht umsonst hat man sie ,die wilde Prinzeß' genannt,
sie war ein wildes, zügelloses Weib, das sich keinen
Wunsch versagte und war er auch uoch so exorbitant.
In diesen Schauspieler hatte sie sich verliebt uud ward,
um sich ihm zu nähern — auch das klingt ebenso un-
wahrscheinlich — für kurze Zeit unter dein Namen
Fräulein Weldeck selbst Schauspielerin. Daun ließ sie
sich, um das Maß der Thorheit voll zu machen, in
aller Form ehelich nut dem Schauspieler verbinden.
Ihr wankelmüthiges Herz ward indeß schon sehr bald
seiner überdrüssig, sie entfloh ihm und lernte gleich dar-
auf Ihren Herrn Vater kennen. Mit allen Künsten
der Koketterie umstrickte das wirklich schöne Weib deu
leidenschaftlichen, leicht erregten Reichsgrafen Felseck
und vermählte sich mit ihm, nachdem die Scheidung von
seiner ersten Gemahlin vollzogen, jedoch ohne daß ihre
Ehe mit dem Schauspieler vorher gerichtlich wieder ge-
trennt worden war. Freilich glaubte sie, daß die Schei-
dung regelrecht vor sich gegangen sei, denn sie hatte einen
Frenud zu dem Schauspieler geschickt, damit er diese
Angelegenheit für sie besorge; der Freund kam zurück
und sagte auch, daß sie jetzt geschieden sei, und in ihrem
Leichtsinn glaubte sie ihm Alles ohne jede Prüfung.
Die Wahrheit der Sache war aber die: Der Schauspieler
sträubte sich mit Händen uud Füßen gegen eine Schei-
dung, und das Einzige, was der Freund, dem sehr viel
an dem Zustandekommen der Heirath mit dem Reichs-
grasen gelegen war, erreichte, bestand in der durch
glückliche Machinationen bewerkstelligten Entfernung
Streckenbach's nach Amerika. Nun war er aus dem
Wege. Was die Prinzessin vor Entdeckung schützte, Mar-
der Umstand, daß sie keinem Menschen, als sie die tolle
Maskerade, Schauspielerin zn werden und sich als solche
zu verheirathen, aufführte — daß sie Niemandem, selbst
ihrem Manne nicht, es verrathen, daß sie eine Fürstin
sei. Im Kirchenprotokoll zu Lindcnbach können Sie die
Bestätigung dieser Heirath finden. Mit einer vom
dortigen Geistlichen ansgestellten schriftlichen Attestirnng
dieses Ehebündnisses machen Sie die Ehe der Prinzessin
Elfride zu einer illegitimen nnd den Herrn Andreas zu
einem illegitimen Sohn."
„Die Strafe ist sehr hart," sagte Willibald.
„Aber verdient! Mag sie nur wieder hernntersteigen

M 9.
von dem hohen Pferd, auf das sie sich gesetzt, und ihr
Sohn mit ihr. Lächerlich! Plötzlich hier die Rolle der
Tugendhaften spielen zu wollen und sich einsallen zu
lassen, hochmüthig auf frühere Freunde hinabzublicken!
- Was nun den zweiten Punkt betrifft," fuhr er gleich
darauf fort, „fo will Rosenberg eidlich erhärten, daß
er Ihre Mutter absichtlich verleumdet hat. Derselbe
hatte allerdings in der ersten Wuth die Absicht, nach-
dem er Ihre Schwester aus der Wiege gerissen, das
Kind zu tödten, fand aber den Muth nicht dazu, son-
dern nahm es mit in diese Stadt. Hier gab er es bei
einer Frau in Kost, bezahlte für das erste Vierteljahr
voraus und erfand dann eine Geschichte, daß er eine
weite Reise zu machen habe. Er könne zu Verwandten
seine Tochter nicht geben, da er sich mit ihnen über-
worfen habe, gab sich selbst und dem Kinde einen an-
deren Namen, ließ sich von der Frau einen Empfangs-
schein ausstellen und verschwand, um nicht wiederzukehren.
War er früher schon ein mauvaw snjet, so versank er
in Kalifornien ganz in Schmutz und Elend und kam
zurück mit der Absicht, das Geheimniß von Ihrer
Schwester Geburt pekuniär so Vortheilhaft wie möglich
zu verwerthen. Er wohnt in der Klosterstraße und
nennt sich Casimir Stölzer."
„Wie?" rief Willibald, „dieser Stölzer, den Hermine
für ihren wirklichen Vater hielt, ist Rosenberg?"
„Ja. Nur bitte ich, lassen Sie selbst sich nicht mit
ihm ein, er hat Stunden, wo er fast irrsinnig ist,
treffen Sie ihn in einem solchen Raptus, fangen Sie
nichts mit ihm an. Ueberlasfen Sie die Sache getrost
mir, er soll, wann Sie es verlangen, feine Aussagen
gerichtlich niederlegen. Er hat vor mir unbedingten
Respekt und thut, was ich von ihm verlange. Nun
wissen Sie vorläufig das Nothwendigste, Herr Bernau;
haben Sie noch Fragen irgend welcher Art au mich zu
richten, so schreiben Sie mir unter der alten Adresse.
Es ist schon spät, leben Sie wohl, viel Glück auf Ihrem
Wege des Kampfes, der Sieg ist unzweiselhaft. — Noch
Eins," sagte er, „wenn Sie Besitzer von Felsenheini
sind, so gönnen Sie mir aus Ihrem Schlosse eine An-
stellung, sei es als Sekretär, Rechnungsführer, Ver-
walter oder wie der Posten heißen mag. Ich werde
Ihnen mit aller Treue uud Gewissenhaftigkeit dienen.
Wenn Sie so weit sind, lasse ich die Maske fallen."
„Da ich nicht das Vergnügen , habe, mein Herr,
Sie zu kennen, so kann ich mich wirklich zu dem Ver-
sprechen jetzt noch nicht entschließen. Sprechen wir
darüber weiter, wenn alle Schwierigkeiten überwunden
sind."
„Er ist ein Pedant!" flüsterte leise der Unbekannte,
„nut dem nichts zu machen ist!" uud ging mit einem
kurzen „Gute Nacht!" von dannen.
Nun erst, als Willibald allein, war, lenkten seine
Gedanken in ruhigere Bahnen ein, nun erst kam die
Freude über die schwer wiegenden Mittheilungen des
räthselhasten Verkäufers wichtiger Geheimnisse zum
Durchbruch. Diese Freude galt jedoch nur sehr wenig
seiner künftigen, durch Reichthum und Ansehen fich aus-
zeichnenden Stellung, sondern hauptsächlich dem Glück,
das seine Mutter empfinden würde, wenn ihre Ehre
wieder hergestellt sei. <Lo wanderten seine Gedanken
hin und her, von Isabella zu Hermine, von dieser zur
Prinzessin Elfride und deren Sohn, und dachte er an
Letztere, so empfand er trotz alledem ein tiefes Mitleid,
daß sie unn von ihrer gesellschaftlichen Höhe, auf der
sie Jahre lang sich so sicher und geborgen gefühlt, in
eine so bodenlose Tiefe hinabsteigen sollten. Zwischen-
durch tauchte dann wieder das liebliche Elfengesicht seiner
Klara auf, und die Frage, was sie wohl dazu sagen
würde, beschäftigte ihn immer wieder auf's Neue.
An Schlaf war für diese Nacht nicht zu denken,
das wußte er; das Peinlichste für ihn war, den langen
Rest der Nacht wachend hinbringen zu müssen, ohne
Jemandem sein volles Herz ausschütten zn können.
„Ob der Onkel Geheimrath wohl noch wach sei?"
Er wollte wenigstens einmal nachsehen. Aber außer
ihm war schon Alles zn Bett gegangen, auch Broock-
mann.
So wollte er doch den Versuch machen, ob er
wohl schlafen könne. Er entkleidete sich, und nach-
dem er noch einmal alle Erlebnisse des Abends hatte
Revue Passiven lassen und den Entschluß gefaßt, die
Fürstin Elfride und feinen Stiefbruder, wenn mög-
lich, vor einer öffentlichen Schande zn bewahren, schlief
er wirklich ein, wurde aber doch von wenig er-
quicklichen Traumbildern umfangen. So träumte ihm,
daß er mit der wilden Prinzeß in einem Garten ans
und ab wandelte nnd diese ihm eine Rose überreichte,
damit er daran riechen sollte. Plötzlich fing diese Rose
an zu wachsen, immer mehr und mehr, immer größer-
ward sie und größer, bis sie einen furchtbaren Umfang
erreichte, so daß sie den ganzen Garten wie ein Dach
überspannte nnd es aussah, als wäre er wie in einem
Dom mit rosenrother Decke. Nun fing die Blume an
sich zn entblättern und wie dichte Schneeflocken ans ihn
herabznfallen, immer höher wurde der rothe Schnee,
schon reichte er ihm bis an die Brust nnd machte es
unmöglich, nur einen Schritt vorwärts sich zn bewegen.
 
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