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Hesi 10. _
„Und was glaubst Du, daß es seiu kannte?"
„Darüber fehlen wir alle Vermuthuugen."
Der Bankier war im Begriff zu sagen: „Wenn der
Grund nun ein tieferer wäre?" Aber nein — er erschrak
fast über sich selbst — das war ja schon ein Hinweis
auf das, was er mit allen Mitteln zu verbergen trachtete,
auf ein Geheimniß des verschwiegensten Winkels feiner
Seele, das er zu verdecken hatte.
„Und nun," fuhr Konrad fort, „willst Du Deine
väterliche Autorität gebrauchen und mir gebieten, einen
Stand zu wählen, den ich nicht liebe und willst in mir
den Genius der Kunst unterdrücken, durch den allein
ich nur mein Lebensglück finden kann?"
Bollheim fühlte sich tief ergriffen von den Bor-
würfen, die der eigene Sohn ihm machte, Vorwürfe,
wozu Letzterer vollkommen ein Recht hatte. Ach, er
liebte sie'ja, feine Kinder, aber er durfte ihnen seine
Liebe nicht zeigen, denn jede Gegcnäußerung ihrer Liebe
hätte ihn unglücklich gemacht, weil er sich nicht für
würdig hielt, sie zu empfangen. Es überkam ihn eine
weiche Stimmung, als er den stattlichen, von der Natur
so begabten Sohn da vor sich sah, der ihn soeben an-
geklagt hatte, sein Lebensglück zerstören zu wollen. Nein,
er wollte kein Tyrann sein, er selbst stieg ja hoch genug
durch die Heirath mit der Prinzessin, so mochte denn
der Sohn seine Wege wandeln.
„Es wäre mir lieb gewesen, Konrad," sprach er mit
weicher Stimme, „wenn Du meine Wünsche in Bezug
auf Deine Zukunft erfüllt hättest, da Du aber eine so
entschiedene Abneigung gegen die vorgeschlagene Carrisre
an den Tag gelegt hast, so will ich Dich fernerhin nicht
hindern — Deinen Genius der Kunst weiter zu ent-
wickeln."
„Vater, ist das Dein Ernst? -Q, Hab tausend Dank!
O, Du weißt nicht, wie glücklich Du mich durch Deine
Einwilligung machst."
Konrad näherte sich feinem Vater und ergriff seine
Hand. Er fühlte, wie die seinige mit einem festen
Druck umschlossen wurde und sah zum ersten Mal in
seinem Leben eine Thräne in den Augen des Bankiers
glänzen.
„Vergib mir, Vater," sagte er, „wenn ich Dir Un-
recht gethan, wenn ich mich in Dir getäuscht habe;
diese Thräne an Deinen Wimpern ist mir ein Zeichen
väterlicher Liebe."
„Ich habe euch stets geliebt," erwiederte Bollhcim,
innerlich erschüttert.
„Nun habe ich auch den Muth," fuhr Konrad fort,
„Dir mein zweites Anliegen ohne Rückhalt zu offen-
baren."
„Was wünschest Du mehr? Brauchst Du Geld?
Meine Kasse steht Dir offen."
„Nein, Geld nicht, aber mein Lebensglück ist nicht
vollendet, wenn Du mir uicht auch Deine Einwilligung
zu etwas Anderem noch gibst. Ich liebe, Vater, liebe
ein schönes, talentvolles Mädchen von hoher Bildung
und strenger Sittsamkeit. Du kennst sie, Vater, Du hast
vor einigen Abenden ihre liebliche Erscheinung gesehen,
ihre göttliche Stimme gehört. Nur ein Umstand ist
dabei, der Dir zu vernehmen nicht angenehm sein wird,
den ich mich aber verpflichtet fühle, Dir nicht vorzuent-
halten. Aber Du bist ja gerecht, Vater, gegen alle
Menschen-und hast ein wohlwollendes Herz, Du wirst
die Unschuldige nicht entgelten lassen, was ihr Vater-
verbrochen. Es ist sogar noch die Frage, ob er wirk-
lich ein Verbrechen verübt; die Tochter und ich selbst
halten ihn für unschuldig, obgleich er vom Schwurgericht
eines schweren Diebstahls für schuldig erklärt wor-
den ist."
Mit Bollheim war plötzlich eine vollständige Ver-
änderung vorgegangen; die Milde, die vorhin auf seinem
Gesicht gelagert, hatte einem Gemisch von Spannung
und Härte Platz gemacht. Jeder Blutstropfen war aus
seineu Waugen verschwunden und schroff und heiser-
fragte er:
„Wie heißt sie?"
„Maria Wellbrandt."
Nun aber sprang er so heftig empor, daß der Stuhl
weit zurückrollte, und mit lauter Stimme rief er:
„Was? Einen solchen Schandfleck willst Du auf
unsere Familie bringen, die Tochter eines vcrurtheilten
Diebes in unser Haus führen? Nimmermehr!"
„Woher diese furchtbare Erregung, Vater? Laß uns
die Sache doch mit Ruhe besprechen. Das arme Mäd-
chen ist ja unschuldig, kannst Du so hart seiu, sie zu
verdammen, weil ihrem Vater eine Schuld vorgeworfen
wird?"
„Sprich nicht mehr davon, neune den Namen nicht
wieder in meiner Gegenwart!"
„Ich fasse Dich nicht. Wie kannst Du den Stab
brechen über dies liebliche Mädchen, das Du doch qar
nicht kennst!"
„Es rollt Verbrecherblut in ihren Adern, ich will
keine Gemeinschaft haben mit solchem Gesindel."
„Ich gebe Dir zu bedeuten, daß ich sie meiner Liebe
für würdig gehalten habe und bitte Dich daher, nicht
solche Ausdrücke über sie zu gebrauchen."
„Brich ab, ich will über diesen Gegenstand kein

Das Buch für Alle.
Wort mehr hören oder ich müßte Dir mein Zimmer-
verbieten."
„Ich sehe allerdings, daß Du zu einer ruhigen Be-
urthcilung der Sachlage augenblicklich nicht geneigt bist
und werde zu einer anderen Zeit auf dies Gespräch
zurückkommen, bis dahin, hoffe ich, wirst Tu eingesehen
haben, wie ungerecht und grausam Deine heutige Ab-
fertigung gewesen ist."
„Erspare Dir jede Mühe, wage es nicht, mir mit
dieser Sache noch einmal zu kommen!"
„Adieu für heute!" sagte Konrad kurz und verließ
das Zimmer.
Er ging direkt zu seiner Schwester Klara, die mit
großer Spannung seiner Zurückkunst harrte, denn sie
wußte, welchen Zweck die Unterredung des Bruders mit
ihrem Vater hatte.
„Nun, Konrad," fragte sie, als dieser zu ihr in ihr
reizendes kleines Boudoir trat, „hast Du etwas er-
reicht?"
Der Gefragte erzählte nun das Gespräch, das er mit
dem Vater geführt und fügte am Schluß hinzu:
„Es war, als ich den Namen Maria Wellbrandt
nannte, als wenn der Vater von einer Tarantel ge-
stochen worden sei, so wüthend sprang er empor, und von
diesem Augenblicke an schien ihn jede vernünftige Uebcr-
legung verlassen zu haben. So habe ich ihn noch nie
gesehen. Ich fürchte, diesen Kampfplatz verlasse ich uicht
als Sieger, aber mein Entschluß steht fest — noch ein-
mal werde ich um seine Einwilligung bitten — schlägt
er mir meine Bitte abermals ab, so bleibt mir kein
anderer Ausweg übrig — ich verlasse dieses Haus —
Maria wird mein Weib und wenn alle finsteren Dä-
monen dieses Hauses sich gegen mich verschwören."
„Ach Gott, wenn Du fortgehst, was soll dann aus
mir werden?"
„Du folgst mir — wenn alles Andere vergeblich ist."
„Jede Stunde fürchte ich, daß er mit der Frage an
mich herantritt, ob ich mich mit den: Reichsgrafen
Felseck verloben will."
„So sagst Du Ja, dies Ja ist keine Lüge; bedinge
Dir aber eine lange Frist aus, bis dahin wird der
Reichsgras Willibald anerkannt sein. Wann erwartest
Du ihn zurück?"
„Er hoffte, vielleicht schon morgen wiederkommen
zu können. Du wolltest zu Maria, gehst Du noch vor
Mittag zu ihr?"
„Sogleich. Nur will ich vorher noch zum Photo-
graphen und mein Bild holen, welches ich Maria ver-
sprochen."
Er nahm Hut und Stock, die er vorher in Klara's
Zimmer abgelegt.
„Ich begleite Dich bis vor die Thüre," sagte die
Schwester, „und gehe von dort in den Park, mir ist
nicht ganz wohl, die frische Luft wird mich kurireu."
„Sehnsucht?"
„Es ist möglich, ach, ich liebe ihn zu sehr!"
Sie legte ihren Arm in den des Bruders und Beide
gingen nun gemeinsam die Treppe hinunter.
Gleich daraus, nachdem Konrad sich entfernt und
Klara um die Villa herum in den Garten hinein ge-
gangen war, uni hier, wie sie es selbst nannte, ein wenig
zu träumen, fuhr eine Droschke vor dem Hause vor.
Ein ältlicher Herr mit grauem Haar und grauem herab-
hängendem Backenbart stieg heraus, rief dem Kutscher
zu, hier auf ihn zu warten, und betrat daraus die Villa.
Er fragte den auf dem Flur anwesenden Diener, ob der
Frecher v. Bollheim zu Hause fei, und als dieser ihm
die Frage bejahte, bat er ihn, den Mr. Johnson seinem
Herrn zu melden.
Der Diener entfernte sich, kam aber sogleich wieder
zurück und sagte:
„Mr. Johnson ist dem Herrn Baron sehr willkommen.
Haben Sie die Güte, mir zu folgen."
Langsam stieg Johnson die Treppe hinauf, es war
ihm, als wenn ihn plötzlich eine Lähmung befallen, so
schwer wurde ihm das Steigen. Eine sonderbare Be-
klemmung erschwerte ihm den Athem, er wäre gern
wieder umgekehrt, denn eine Ahnung sagte ihm, daß er
mit diesem Manne einen schweren Kampf zu bestehen
haben werde.
Endlich öffnete der Diener eine Thüre und im näch-
sten Augenblicke stand Johnson Vvr dem Freiherrn von
Bollheim.
16.
Der Bankier v. Bollheim wanderte, nachdem sein
Sohn ihn verlassen, mit den Händen vor dem Gesicht
eine kurze Zeit im Zimmer auf und ab, dann ließ er-
sieh erschöpft und gebrochen auf seinen Lehnstuhl nieder
und es war ihm, als wenn ihn Plötzlich das Fieber be-
fallen, so zogen kalte Frostschauer durch alle seine Glie-
der. Eine Menge Gedanken wirbelten in seinem Gehirn
durch einander, aber alle sammelten sich von Zeit zu
Zeit in dem einen Brennpunkt: Maria Wellbrandt ist
die Tochter des Mannes, des unschuldig Verurtheil-
ten, den du iu die weite Welt gejagt, der iu der Fremde
vielleicht umgekommen ist, den du alsdann nicht allein
vertrieben, den du auch gemordet hast. Zwei mächtige Ge-
danken waren es hauptsächlich, die ihn in diesem Äugen-

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blick wie einen Spielball hin und her warfen, es war
der Wunsch, daß Wellbrandt noch lebe, dann wenig-
stens war er kein Mörder, und es war die Furcht, er
könne noch leben. Diese Furcht jedoch siel so beäng-
stigend auf seine Seele, daß der Wunsch sich plötzlich
in das Gegentheil verkehrte und er die Gewißheit her-
bei sehnte, er möge längst gestorben sein. Ja, daun
war er doch davor gesichert, diesem Schreckbilde seiner
Phantasie zu begegnen. Also die Sängerin war
Wellbrandt's Tochter! Er wußte von seinen Fa-
milienverhältnissen nichts. Er hatte damals, als die
That geschehen, es nicht gewagt, sich danach zu erkundi-
gen, aus übertriebener Gewissensangst: das Gesicht, wo-
mit er die Frage aussprüche, könne ihn verrathen. Aber
das, was noch nach Jahren an ihm zum Verräther
werden sollte, der Brief, den hatte er geschrieben, theil-
weise um dem Unschuldigen die Freiheit wieder zu geben,
zum größten Theil aber aus Besorguiß, der wahre Thä-
ter könne gerade von dem Verurtheilten, wenn die Straf-
zeit zu Ende, am ersten entdeckt werden, gelang aber die
Flucht desselben, so war zu hoffen, daß er niemals wic-
derkehreu würde.
Und nun, nach dieser langen Reihe von Jahren,
nachdem allmählig, wenn auch uicht das Gefühl der
absoluteu Sicherheit, so doch eine Art sicherer Ruhe
in sein Herz zurückgekehrt war, die nur zeitweise von
ängstlichen Gedankenträumen unterbrochen wurde, nun
trat Plötzlich aus dem Nebel der Vergangenheit eine
Gestalt hervor. Diese Gestalt trug einen Namen, der
den für ihn fürchterlichsten Klang hatte, und diese Ge-
stalt war die Tochter des Entflohenen. Und in diese
Tochter hatte sich sein Sohn verliebt, und sie sollte auch
seine Tochter werden! Vor ihn hingestellt wurde dann
das lebendig gewordene Gewissen; die nagende Erinne-
rung, täglich durch ihren Anblick aus's Neue wachge-
rufeu, sollte jede Stunde ihm vergiften. — Nein, nein,
das ging über seine Kräfte, diese ungeheure Qual würde
ihn wahnsinnig machen!
„Es ist mir jetzt schon fast, als wenn sich meine
Sinne verwirren wollten," sprach er laut und sprang
empor und machte wiederum rasche Schritte durch das
Zimmer.
„Ich fürchte mich vor mir selber," fuhr er fort,
„vor dem Alleinsein mit meinen eigenen Gedanken, die
kein Erbarmen haben. Ich will zur Stadt, ich will
Menschen sehen, damit in der Unterhaltung mit ihnen
die Logik wieder die Zügel iu die Hand bekommt;
hier sind sie ihr entglitten und wildstürmend rasen die
Kinder des Geistes dahin, keinem Mahnruf mehr ge-
horchend."
Der Diener kam und meldete Mr. Johnson.
„Er ist willkommen," sagte er rasch. Ihm wäre der
geringste Arbeiter in diesem Augenblicke willkommen ge-
wesen, nur um für kurze Zeit sich seinen quälenden Ge-
danken entziehen zu können, denen er aus eigener Kraft
sich nicht zu entreißen vermochte.
Aeußerlich war er schon wieder ruhig und ging dem
eintreteuden Besuche einige Schritte entgegen, indem er
sagte:
„Ah, Herr Johnson, es freut mich, daß ich schon so
bald wieder das Vergnügen habe, Sie zu sehen. Neh-
men Sie gefälligst Platz. Haben Sie sieh schon die
Lehrlingsschule und das Hospital einmal angesehen?"
„Ich wurde bis jetzt noch daran verhindert, Herr
v. Bollheim," erwiederte der Fabrikant, sich langsam
auf einen Stuhl niederlassend. „Ein anderer Umstand
hat, seitdem wir uns gesehen, alle meine Gedanken der-
artig in Anspruch genommen, und eben dieser Um-
stand führt mich heute abermals zu Ihnen."
„Kann ich Ihnen iu irgend etwas dienen, so bin
ich gern bereit dazu."
„Ich komme allerdings zu Ihnen nut einem Gesuch,
Herr Baron, aber ich erlaube mir, Ihnen zu bemerken,
daß ich Ihnen heute schon einen Dienst von so immen-
ser Größe geleistet habe, daß Sie selbst erstaunen wer-
den, wenn Sie ihn erfahren haben."
„Sic spannen meine Neugierde — ich bitte Sie, mir
zu sagen —"
„Ich muß gestehen, daß ich freiwillig diesen Akt
der Großmuth nie vollzogen hätte, daß ich nur durch
die Thränen, durch die Bitten eines jungen Mädchens
gerührt, den Abgrund wieder zudeckte, au dem Sie, Herr
v. Bollheim, seit einigen Tagen ahnungslos wandelten,
in den ein einziges Wort von mir Sie hinabstürzeu
kann!"
Der Bankier erbebte, seiu Gesicht wurde um einen
Ton bleicher, er hatte das Gefühl, als wenn etwas
Schreckliches sich ihm nahte, das iu der nächsten Stunde
ihn erfassen und zermalmen würde. Was waren das
für fonderbare Reden, die der Fremde führte, welch einen
anderen Abgrund gab es für ihn als den, den er fchou
seit Jahren beständig vor Augen gehabt? Und wer war
das junge Mädchen, von dem er sprach? War es die-
selbe, deren bloße Erwähnung vor einer halben Stunde
schon ihm fast die Sinne geraubt? Uud wer war dieser
Mann selbst? Großer Gott, wenn—?
Er suchte sich gewaltsam zu fassen, und sagte so
ruhig wie möglich:
 
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