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290

Das Buch für A l l e.

Heft 13

Nach kurzem Besinnen schlug der Professor ebenfalls
den Weg dahin ein, er wollte den Vater Maria's doch
gar zu gern sprechen.
Wellbrandt war aber auch hier nicht, und als er
soeben damit fertig war, fich wegen seiner Störung bei
der Sängerin zu entschuldigen, wurde die Thüre rasch
aufgerissen und ein snnges Mädchen, ein Zeitungsblatt
in der ausgehobenen Hand haltend, trat rasch, mit rothen
Wangen und einem freudigen Ausdruck in ihrem Gesicht,
über die Schwelle.
„Maria, hast Du es schon gelesen?" rief sie, ohne
in denn ersten Augenblicke daraus Acht gebend, daß noch
eine zweite Person außer der Pflegeschwester im Zimmer
war, „hier steht es, die Unschuld, die Ehrenrettung
Deines Vaters."
Die letzten Worte hatte sie schon bedeutend langsamer-
gesprochen als die ersten, denn mitten im Satze war
sie es gewahr geworden, daß Maria nicht allein sei.
Der Professor war fast ganz verdeckt durch einen großen
Trumeau, der heute ausnahmsweise in: Wohnzimmer-
stand, da die Sängerin mehrere neue Kostüme für Rollen,
in denen sie demnächst auftreten sollte, anprobirt hatte.
Aber als nun Wilhelm Dehnhardt einen Schritt
vortrat und seine ganze Gestalt sichtbar wurde, da stieß
Hermine einen Schrei der Ueberraschung ans, sie wurde
abwechselnd bleich und roth und war gezwungen, die
Hand ans das klopfende Herz zu Pressen, das in stür-
mischen Schlügen an die Wandungen der Brust klopfte.
Aber auch der junge Professor wechselte in sonder-
barer Weise die Farbe; die plötzliche Erscheinung hatte
ungefähr wie ein Blitz, der zu seinen Füßen eingeschla-
gen, auf ihn gewirkt, er war wie gelähmt und konnte
keinen Muskel bewegen, nicht einmal diejenigen seiner
Sprechwerkzeuge.
Hermine hatte sich gefaßt. Sie ging direkt ans
Dehnhardt zu und mit einem reizenden Lächeln ihm die
Hand reichend, sagte sie:
„Erst jetzt, Herr Professor, bin ich berechtigt, Sie
in alter Weise zu begrüßen. Meine Verhältnisse haben
sich so glücklich gestaltet, der finstere Alp, der ans mei-
nem Dasein ruhte, ist verschwunden, frei darf ich Jeden:
wieder ii: die Augen sehen — können Sie Ihrer frü-
heren Famula verzeihen, daß sie so unfreundlich, so
schroff gegen Sie war, so reichen Sie mir die Hand."
Durch diese Anrede war auch Dehnhardt wieder zur
Besinnung gekommen. Er ergriff die dargereichte Hand,
aber ohne sie zu drücken, erwiederte er:
„Ich habe kein Recht, Ihnen zu zürnen, da Sie ja
einen Anderen lieben."
„Es war die erste wissentliche Lüge meines Lebens
— können Sie sie mir verzeihen?"
Hermine sah ihn so reizend verschämt dabei an, daß
alle seine festen Entschlüsse, das schöne Mädchen für
immer zu vergessen, vor diesem einen Blick wie Spreu
vor den: Winde aus einander flogen. Unwillkürlich um-
spannte seine Hand die ihrige fester und immer fester,
und fast schüchtern sagte er:
„Träume ich denn? Darf ich denn noch hoffen?"
„Würde ich sonst so zu Ihnen sprechen?"
„Hermine!" schrie Dehnhardt in einen: Hellen Jubel- i
tone ans und in den: nächsten Augenblicke lag sie an
seiner Brust.
Maria entfernte sich diskreter Weise in's Neben-
zimmer, um den Beiden Zeit zu geben, all ihre Liebes-
sreuden und Liebesschmerzen sich gegenseitig mitzutheilcn.
Als sie nach einer halben Stunde in's Zimmer
zurückkehrte, sand sie das Liebespaar schon gerüstet, sich
zu entfernen, um zuerst der Frau Professor Dehnhardt
einen Besuch abzustatten und dann, wie Hermine sich -
ausdrückte, ihrer Mutter auf der Schwaneninsel aber-
mals einen Sohn zuzuführen.
Nach kurzer Unterhaltung nahm das junge Brautpaar
von Maria einen herzlichen Abschied.

An demselben Morgen hatte Willibald einen Brief
folgenden Inhalts nut der Stadtpost bekommen:
„Sehr geehrter Herr!
Da ich Ihnen eine Mittheilung von großer Wich-
tigkeit zu machen habe, ersuche ich Sie heute Abend um
eine kurze Unterreduug. Ich kann Ihnen ein unschätz-
bares Material zum Beweise der Unschuld Ihrer Frau
Mutter überliefern. Der Argwohn der Prinzessin El-
fride hat meinen Aufenthalt entdeckt, ich erhielt gestern
Abend einen Brief von ihr, der von den furchtbarsten
Drohungen strotzte. Sie schrieb nur auch, daß Sie ihr
einen Besuch abgestattet — verehrter Freund, der Edcl-
muth, den Sie ihr gegenüber bewiesen, war, verzeihen
Sie mir, die Bemerkung, kein Akt der Klugheit. Zum
mindesten war er verfrüht — Sie hätten der Sippschaft
sofort mit dem Gewicht einer öffentlichen Anklage ent-
gegen treten müssen! Die Mntter hätte sich auch jetzt
willig in Alles gefügt, aber der Sohn Andreas
rast und wüthet und will nicht freiwillig von seinem
Erbe lassen. Sie haben sich Ihren Feinden zu früh
offenbart und haben nun alle möglichen Chikaneu zu
befürchten, denn Andreas ist ein böser Mensch und zu
Allem fähig. Sie ahnen natürlich, wer Ihnen die

Augen geöffnet hat, und da ich vor der Tücke des jungen
Tigers keinen Augenblick sicher bin, denn er hat mir-
blutige Rache geschworen, so habe ich meine Wohnung
verändert und bin vor's Thor gezogen. Ich weiß, daß
er eine Menge Spione ausgeschickt hat, um meinen Auf-
enthalt auszukundschasten, daher trage ich mich nicht in
die Stadt und muß Sie schon bitten, zu einen: an-
deren Rendezvous-Platz zu kommen, wie dem bisherigen.
Sie werden: gewiß den Kngelfang kennen, wo meistens
die Duelle abgehalten werden, er liegt etwas abseits,
aber er ist für mich zur Zeit der gefahrloseste Ort, auch
liegt er iu der Nähe meiner Wohnung. Sowie ich
Ihnen die Dokumente übergeben habe, verlasse ich die
Stadt, Uw ich mich vor der Rache meines Feindes nicht
mehr sicher fühle. Mit Rosenberg habe ich Alles ge-
ordnet, Sie können nur morgen zu ihn: gehen. Kom-
men Sie gefälligst Präzise um neun Uhr, da ich Ihnen
auch noch einige sehr wichtige Verhaltungsmaßregeln
Ihren Gegnern gegenüber mittheilen will. Ich ersuche
Sie in Ihrem Interesse, ja heute zu kommen, da ich
unter allen Uniständen in dieser Nacht die Residenz ver-
lasse. Ergebenst A. B. E."
Willibald hatte ganz arglos diesen Bries zu Ende
gelesen und faßte sofort den Entschluß, nm neun Uhr
an dem sogenannten Kngelfang sich einzustellen. Er
wußte genau, wo er lag, und kannte ebenso genau den
Weg dahin, so daß er ihn bei dunkelster Nacht finden
konnte, da er ja schon mehrmals dort einer Mensur
be:gewohnt hatte. Jndeß in: Lauf des Tages kau: ihn:
dann und wann ein leiser Argwohn, ob ihm nicht viel-
leicht eine Falle gelegt werden sollte; der Charakter-
seines A. B. C.-Korrespondenten war jedenfalls ein solcher,
der sich den: Meistbietenden unbedenklich verlauste, und
ein Verkehr, wenn auch nach den: Briefe nur ein schrift-
licher, hatte bereits zwischen ihn: und der Gegenpartei
stattgefunden. Diesen Argwohn redete er sich aber jedes-
mal wieder aus, sowie er aufkeimte, er hatte Muth
genug und wäre sich erbärmlich vorgekommen, wenn er
hier geschwankt Hütte, da es sich um die Ehre seiner
Mutter handelte. Vorsichtig wollte er sein und für alle
Fälle eine Waffe mitnehmen.
Der Abend dieses verhängnißvollen Tages brach früh
herein, in: Süden und Westen lagerte eine dicke schwere
Wolkenschicht, die die Sonne verhinderte, der Erde ihre
Abschiedsstrahlen zuzusenden. Es war ein heißer Tag
gewesen, die Lnft war dumpf und dick und erschwerte
das freie Athmen.
Reichsgräfin Isabella war soeben von: Schloß ge-
kommen, wo sie ein Familicndiner mitgemacht, und wollte
nur die Toilette wechseln, um dann nach der Schwanen-
insel hinauszufahren, wo sie den Abend bei ihrer Mutter
zu verbringen gedachte. Sie hatte kann: ihr Zimmer-
betreten, als es an die Thüre klopfte.
Auf ihr „Herein" trat der Kammerdiener Hantelmann
in großer Aufregung über die Schwelle.
„Verzeihen Erlaucht, wenn ich es wage, so respekt-
widrig hier einzutreten; ich fürchte, wenn nicht recht-
zeitig Hilfe aufgebotei: wird, daß noch heute Abend ein
Mord geschieht."
„Großer Gott, ein Mord? Wer soll ermordet
werden?" rief in furchtbarer Bestürzung die Reichsgräsin
aus.
„Der juuge Herr Bernau."
„Rasen Sie, Hantelmann?" sagte Isabella mit blassen
Wangen und an allen Gliedern zitternd.
„Ich rase nicht, Erlaucht, obgleich ich in einer schreck-
lichen Aufregung bin."
„Um Gottes willen, sprechen Sie, woher wissen
Sie -?"
„Ich habe heute Nachmittag ein Gespräch zwischen
Seiner Erlaucht den: Reichsgrafcn Andreas und den:
Herrn v. Lettow belauscht. Und wenn ich auch nicht
Alles von ihrer ziemlich leise geführten Unterhaltung
verstanden habe, so habe ich doch deutlich gehört, daß
Herr v. Lettow den Herrn Bernau nach dem unheim-
lichen Kugelsang draußen vor den: Thore um neuu Uhr-
bestellt hat, um ihn: ein Dokument zu übergeben, das
die Unschuld seiner Mutter beweisen könne. Beide, der
Reichsgras und Herr v. Lettow wollen verkleidet dahin
gehen und wenn der Letztere das Papier den: jungen
Mann übergibt, will der Reichsgraf Andreas aus seinen:
Versteck hcrvorspringen, ihn niederstoßen oder ihn: eine
Kugel durch den Kops schießen."
„Mein Gott, mein Gott! Mir schwindelt!"
„Ihre Hoheit muß mit in: Bunde sein, denn ich
hörte Seine Erlaucht sagen: Meine Mutter hat Ihnen
den Auftrag gegeben, Herr v. Lettow — ich weiß es,
machen Sie keine Einwendungen — wenigstens hat sie
Ihren Vorschlag gut geheißen, aber ich selbst will die
Sache in die Hand nehmen. Ich will, ich muß cs, es
treibt mich eine unwiderstehliche Gewalt dazu; ich finde
nicht eher Ruhe, als bis ich in dem Blut dieses her-
gelaufenen Schuftes, der nur mein Erbe stehlen will,
der nur die Geliebte geraubt, meine Rache gesättigt
habe?"
„Entsetzlich!" ries Isabella aus und hielt sich krampf-
haft an der Tischplatte, nm nicht nmzusinken.
„Ich wußte, als Herr v. Lettow sich entfernt hatte, in

meiner Rathlosigkeit nicht, was ich anfangen sollte.
Wäre es mir bekannt, wo Herr Bernau wohnte, so wäre
ich geraden Wegs zu ihn: gegangen und hätte ihn ge-
warnt, so aber nahm ich mir ohne zu fragen Urlaub
und ließ mich nach der Villa des Herrn v. Bollheim
hinausfahren, da ich gehört, daß Herr Bernau mit den:
Sohne des Freiherr:: sehr befreundet ist. Aber der junge
Herr v. Bollheim, hieß es, sei schon in's Theater ge-
gangen, wo seine Oper aufgeführt wird. Von Ihnen
konnte ich mir keine Instruktionen erbitten, da Sie auf's
Schloß zum Diner gefahren waren, und ein Stein fiel
mir vom Herzen, als ich, von Herrn v. Bollhein: un-
verrichteter'Sache heimkehrend, jetzt die Equipage von:
Schloß zurückkommen sah. Wenn Hilfe geschafft werden
soll, muß es rasch geschehen, die Zeit verrinnt. Seine
Erlaucht bat soeben das Haus verlassen und der Dolch
und die Pistole, die ich vorhin auf den: Tisch in seinen:
Zimmer sah, sind jetzt nicht mehr da."
„Er ist schon fort? O, das ist fürchterlich! Wie
weit ist es bis zum Kugelfang?"
„Von hier sicher eine gute halbe Stunde."
„Eilen Sie sofort in's Theater — warten Sie, ich
will ein paar Worte aufschreiben — suchen Sie Herrn
v. Bollhein: dort auf und übergeben Sie ihn: den Brief.
Kommen Sie sofort zurück und melden mir, ob Sie
ibn gesunden, wenn nicht, so will ich selbst hinaus und
Sie begleiten mich — die Dazwischenkunft irgend eines
Menschen wird vielleicht genügen, das Entsetzliche zu
verhindern."
Sie schrieb rasch mehrere Zeilen auf einen Bogen
Papier, faltete ihn zusammen und übergab ihn den:
Kammerdiener.
Dieser eilte davon und kau: schon nach kurzer Zeit
zurück und meldete:
„Ich habe Herrn v. Bollheim getroffen, er war
furchtbar erschrocken und versprach, sich sogleich aus den
Weg zu machen. Er flüsterte einen: älteren Manne,
der neben ihm saß, etwas in's Ohr, dieser erhob sich
und Beide verließen dann das Theater."
„Gott sei Dank! O, kämen sie noch früh genug, um
das Grauenhafte zu verhindern!"
In einer furchtbaren Erregung blieb die Reichsgräsin
Isabella auf ihrem Zimmer und bestellte die Equipage
wieder ab, die sie nach der Schwanen-Jnsel hinausfahren
sollte.
Reichsgras Andreas hatte das Haus verlassen. Der
Abend war hereingebrochen, kein Stern am Himmel zu
sehen, die Luft heiß, drückend, gewitterhast, es war,
als wenn man die angehäufte Elektricität beim Athmen
fühlte.
Ter bleiche junge Mann bestieg eine Droschke und
ries dem Kutscher zu:
„Webervorstadt, Hotel zur Sonne."
Die Gaslampen waren bereits angezündet, die Straßen
belebt von einer Menge flanirender Menschen, aber der
Insasse der Droschke sah weder nach rechts noch links,
sondern hatte die Augen geschlossen. Was für Gedanken
mochten Wohl dnrch seinen Kopf gehen?
Der Wagen hielt vor dem Gasthaus zur Sonne,
! einer Fuhrmannskneipe gewöhnlichster Art. Vor der-
selben, zwischen ihr und der Straße auf einem gepflaster-
ten Platz, standen mehrere Frachtwagen, leere und be-
packte, sowie ein großer Omnibus.
Andreas warf den: Kutscher einen Thaler hin, ging
über den Platz und betrat das Haus.
Nach einer Viertelstunde kamen zwei Männer, ein
kleiner und ein großer aus dem Hause; beide trugen
eine Arbeiterblouse, einen großen Vollbart und einen
tief in's Gesicht gedrückten Hut.
Der größere der beiden Männer stand still und sah
nach allen Seiten umher.
„Was haben Sie?" fragte der Kleinere.
„Sagen Sie einmal aufrichtig, Erlaucht, haben Sie
mich seit einigen Tagen durch irgend einen Aufpasser
beständig beobachten lassen? Da wir nun einmal so-
weit sind und diesen Weg gemeinschaftlich machen, kön-
nen Sie es ja gerne cingestehen."
„Nein, auf Ehrenwort nicht."
„Oder Ihre Frau Mutter?"
„Ebenso wenig, das würde sie mir gesagt haben."
„Ich werde ohne Zweifel in den letzten Tagen dnrch
Jemanden beobachtet. Es ist mir mehr des Abends als
des Tages ausgefallen. An: Tage wird man es in den:
regen Menschenverkehr nicht gewahr. Trete ich aber
Abends aus einen: Hanse, so sehe ich, wie sich von der
Bank oder der Steintreppe des gegenüberliegenden Ge-
bäudes, oder weiter entfernt, eine Gestalt langsam er-
hebt und nur ebenso langsam folgt. Der Zwischenraum
ist so groß, daß ich eigentlich nichts sehe, aber in ab-
gelegenen Straßen höre ich den Schritt. Ich habe mich
schon mehrmals umgewandt und bin znrückgegangen,
nm diesen: schleichenden Verfolger entgegen: zn gehen
und ihn mir etwas näher anzusehen. Dann finde ich
aber Niemanden, er mnß entweder in einen Gang oder
in ein Hans getreten sein oder sonst ein Versteck ge-
funden haben. Jedenfalls ist es kein Zufall, auch keine
Einbildung von nur, immerhin aber ein unbehagliches,
peinliches Gefühl."
 
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