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338

eines feinen, liebenswürdigen nnd außerordentlich ge-
bildeten Mannes.
Lange Zeit beschäftigten die Zurückgebliebenen sich nur
mit ihm. Es schienen zwei Naturen in diesem Manne
zu wohnen, eine rauhe nnd schroffe nnd eine liebens-
würdige und feine. Daß zwischen ihnen eine Versöhnung
nicht stattfand, blieb Allen ein Räthfel.
Albert war stiller geworden, er begab sich auf fein
Zimmer und dort angelangt, warf er sich auf das Sopha
nnd bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Seine Brust
rang nach Athem, gewaltsam suchte er einen Schmerz zu
bekämpfen — er sollte die nicht Wiedersehen, der sein
Herz gehörte nnd die er nie vergessen konnte!
Achtes Kapitel.
Ein neuer Nachbar.
Herr v. Salva reiste am folgenden Morgen in aller
Frühe mit Theodora ab. Albert sah sie vom Parke aus
in der Ferne vorüberfahren nnd es war ihm, als ob
Theodora wie suchend zur Seite blickte nach dem Hause
und dem Parke. Es war gut, daß eine weite Strecke
sie trennte, denn er wäre nicht im Stande gewesen, sein
ungestüm pochendes Herz zu beherrschen, er würde ihr
nachgeeilt fein und ihr ein Lebewohl zugerufen haben.
Nur zweimal war er mit Theodora zufammengetroffen
und doch war es ihm jetzt, als ob Alles in seiner Hei-
math, nach der er so sehr sich zurückgesehnt hatte, ver-
ödet und fremd geworden wäre.
Hatten die Bäume in dem Parke wirklich nicht mehr
das frische Grün? War mit einem Male der Friede
ringsum vernichtet? Wie höhnend schien die Morgen-
sonne ans ihn herabzubticken. Zn seinem Inneren paßte
dieser stille Frieden der Natur nicht, er würde vielleicht
ruhiger geworden sein, wenn es draußen gestürmt Hütte.
Ohne den Seinigen einen guten Morgen zu wünschen,
ließ er sein P erd satteln und ritt in den Wald, um die
kleine Wiese aufzufuchen, an der er sie am Tage zuvor-
getroffen hatte.
Bange Zweifel erfüllten seine Brust. Hatte Theo-
dora doch schon von ihrer so nahe bevorstehenden Reise
gewußt? Hatte sie ihm ein Wiedersehen verheißen, nur
um sich leichter von ihm trennen zu können? Nein, es
konnte nicht sein, ihre dunklen Augen waren nicht im
Stande, die Unwahrheit zu sagen!
Muthiger hob er den Kopf empor, um ihn gleich
darauf wieder sinken zu lassen, denn die Zweifel kehrten
wieder. Es taucht nichts leichter auf als ein Zweifel
der Liebe, weil Herz und Kopf selten denselben Weg
gehen.
Er langte auf der kleinen Wiese an. Wie öde sie
ihm heute erschien. Er sprang vom Pserde und schritt
zn der Stelle, an der er Theodore getroffen. Schmerz-
lich, krampfhaft zog sich sein Herz zusammen. Weshalb
war es ihm nicht vergönnt gewesen, sie wenigstens ein-
mal noch zu sprechen! Erbittert hätte er sich gegen das
Geschick, von dem er sich so hart getroffen wähnte, auflehnen
mögen. Er war durch sein bisheriges Leben, in dem
ihm kaum ein Wunsch versagt geblieben war, in dem
die Liebe seiner Eltern jeden Pfad vor ihm geebnet
hatten, zu verwöhnt, um das Scheitern eines Wunsches
ruhig zu ertragen.
Da erblickte er an derselben Stelle an der Theodora
am Tage zuvor gesessen, einen kleinen Blumenstrauß
und mit einem lauten Ruf der Freude eilte er darauf
zu und hob ihn empor. Es waren nur wenige Wald-
blumen mit einem schmalen Seidenbande zusammen ge-
bunden. Leidenschaftlich küßte er sie, dann ließ er be-
glückt das Ange darauf ruhen, als könnte er aus deu
Blumen lesen, welche Gedanken Theodora gehegt, denn daß
sie den Strauß hieher gelegt, daran konnte er nicht zweifetu.
Es war das Lebewohl, welches sie ihm zurief. Und
hatten die Blumen nicht wirklich eine Sprache? Sagten
ihm die kleinen blauen Augen des Vergißmeinnicht nicht
deutlich, daß er Theodora uicht vergessen möge?
Jetzt wußte er auch, daß er Theodorclls Herzen nicht
fern stand.
Eine neue Welt, ein neues Leben that sich vor ihm aus.
Alle Hindernisse, die sich ihm entgegeustellten, erschienen
ihm gering, denn er fühlte die Kraft in sich, sie zu über-
winden. Theodora war von ihm getrennt, absichtlich
schien ihr Vater sie entführt zu haben, allein sie mußte
ja wiederkehren, und wenn sie zu lange blieb, konnte er-
ste nicht aufsuchen? Mit Freuden würde er ihretwegen
ganz Italien durchforschen.
Als ein Glücklicher kehrte er heim, Alles erschien
ihm jetzt sonniger und lichter. Die Seinigen ahnten
den Grund feiner heiteren Stimmung nicht, sie sahen
dieselbe als die natürliche Freude, wieder in dem lieben
Heimathskreise zu fein, an.
Mit erhöhter Lust arbeitete er; uicht das Juter-
esse an der Kunst allein und auch uicht der Ehrgeiz
trieb ihn dazu, alle Kräfte anzuspanuen, er dachte nur
an Theodora, -und ihretwegen wollte er sich einen Namen
als Künstler verschaffen.
Kurt und Leone waren glücklich, als sie diesen fri-
schen, heiteren rind doch zugleich ernsten Schaffensdrang
ihres Sohnes wahrnahmen. War auch für Alberts

Das Buch für Alle.

Zukunft in reichster Weise gesorgt, so beglückte cs doch
Kurt, daß er ihn einem Ziele entgegenstreben sah, wel-
ches ihm selbst einst als das Höchste erschienen war nnd
von dem ihn nur die Verhältnisse fern gehalten hatten.
In dem Sohne sah er den Traum und Wunsch seiner-
eigenen Jugend in Erfüllung gehen. —
Wenige Tage nach Salvclls Abreise bezog ein Graf
v. Arden eine dicht neben Düringer's Besitzung gelegene
Villa. Kurt kannte diesen Namen nicht, er widmete
dem neuen Nachbar auch wenig Aufmerksamkeit, denn er-
fühlte sich in den: Kreise der Seinigen zn glücklich, um
sich mn feine Nachbarschaft viel zu kümmern. Um
so mehr war er erstaunt, als der Graf ungefähr acht
Tage später sich bei ihm anmelden ließ. Er empfing
ihn in seinen: Zimmer.
„Ich muß mich Ihnen selbst vorstelleu," sprach der
Graf, seinen Namen nennend. „Eine doppelte Veran-
lassung führt mich zu Ihnen. Zuerst ist es meine
Absicht, Ihnen als Ihr neuer Nachbar meine Aufwar-
tung zu machen, dann möchte ich mir aber auch zugleich
eine Anfrage und Bitte erlauben."
Der Gras, ein Mann von höchstens einigen vierzig
Jahren, war in seinen: Aeußereu eine wenig einnehmende
Erscheinung. Sein Gesicht war ziemlich ausdruckslos
und die schlaffen, verlebten Züge desselben deuteten auf
eine bewegte und flott verlebte Vergangenheit, sie ließen
ihn fast um zehn Jahre älter erscheinen, als er war.
Der spärliche und blonde Bart und das noch spärlichere
Haar erhöhten noch die Ausdruckslosigkeit des Gesichtes.
Nur in den hellblauen Augen leuchtete daun und wann
ein leidenschaftliches Feuer auf, und um den Mund zuckte
ein halb spöttisches, halb verächtliches Lächeln.
Kurt fühlte sich im ersten Augenblicke durch die
äußere Erscheinung des Grafen nicht angenehm berührt,
dieser Eindruck wurde indessen sofort durch das sichere,
gewandte und liebenswürdig entgegenkommende Beneh-
men des Grafen gemildert.
In freundlichster Weise begrüßte er den Gast.
„Gestatten S:e mir zunächst, zu meiner Anfrage und
Bitte eine kurze Einleitung zu geben," fuhr der Graf,
als er sich gesetzt hatte, fort. „Ich habe die Ihnen zu-
nächstliegende Villa bezogen und werde sie wahr-
scheinlich auch käuflich erwerben, obschon sie in manchen
Beziehungen meinen Wünschen nicht ganz entspricht.
Ich werde etwas beengt wohnen, dafür wird mich aber
die reizende Lage des Hauses, sowie der hübsche Gar-
ten hinreichend entschädigen, außerdem verlangt mich
nach Ruhe und einem mehr stillen Leben. Nur Eines
stört mich sehr schmerzlich, es fehlt die Stallung für
mehrere Pferde. Es sind freilich bereits die Anordnun-
gen zur Erbauung eines Stalles getroffen, ehe derselbe
indessen vollendet ist, werden Monate vergehen und ich
würde es kann: ertragen, das Vergnügen des Reitens
so lauge entbehren zn müssen. Sowohl ich selbst wie
meine Fran sind große Freunde des Reitens, der nahe
Wald verlockt täglich dazu, uud sie würde das Vergnü-
gen vielleicht noch schmerzlicher vermissen als ich. Es
wurde mir nun gesagt, daß Sie eine große Stallung be-
sitzen und dieselbe nicht vollständig besetzt haben, würden
Sie mir, bis mein Stall beendet ist, den Raun: für
zwei Pferde gestatten."
„Mit den: größten Vergnügen," fiel Kurt ein.
„Sie verpflichten mich durch Ihre Liebeuswürdigkeit
zu größten: Danke. Ich will offen gestehen, daß ich
nicht ohne ein Gefühl der Befangenheit Ihnen meine
Bitte genannt habe, da ich nicht das Vergnügen hatte,
Sie zu kennen. Selbstverständlich füge ich mich von
vornherein mit Vergnügen jeder Bedingung, die Sie
stellen und werde auf das Sorgsamste bemüht sein, daß
Ihnen durch Ihre Freundlichkeit so wenig-Störung als
irgend möglich erwächst. Ich erkläre mich auch bereit,
die Pferde an jedem Tage, au den: es Ihnen nicht
mehr gefällt, sofort zurück zu nehmen."
„Herr Gras, Sie legen dem geringen Dienste eine
zu große Bedeutung bei," erwiederte Kurt. „Eine Stö-
rung kann für mich dadurch uicht entstehen, denn meine
Stallung ist groß genug, daß ich Ihnen deu Platz für
vier Pferde einrüumen kann, ohne mich deshalb in: Ge-
ringsten einschränken zu müssen. Sie können von dieser
Stunde an darüber verfügen, und wenn Sie noch keine
Pferde besitzen, so stelle ich Ihnen die meinigen mit
Vergnügen zur Benutzung anheim."
„Herr Düringer, Sie rechtfertigen in der glänzend-
sten Weise den Nus der Liebenswürdigkeit, den Sie ge-
nießen," entgegnete der Graf. „Ich darf deshalb Wohl
zugleich die Bitte um gute Nachbarschaft hinzufügen."
In halb vertraulicher Weise streckte er Kurt die
Hand entgegen, welche dieser freundlich annahm.
„Sie haben eine reizende Besitzung," fuhr Arden fort.
„In Ihren Park habe ich nur von außen einen flüch-
tigen Blick geworfen, derselbe hat mich indessen bereits
mit den herrlichen Anlagen bekannt gemacht; ich be-
wundere Ihren vorzüglichen landschaftlichen Geschmack."
„Dies Kompliment darf ich nicht annehmen," be-
merkte Kurt lächelnd. „Mir gebührt kein anderes Ver-
dienst, als die Anlagen, die ich bereits vorfand, mit
Sorgfalt gepflegt und hier und dort ergänzt zu haben.
Macht es Ihnen Vergnügen, sich den Park anznsehen?

Heft ID
Ich muß Ihnen doch auch die neue Behausung sür
Jhre Pserde zeigen."
„Ich befürchte nur, daß ich Sie stören könnte,"
warf der Graf ein.
„Nicht in: Geringsten," versicherte Kurt.
Er führte den Grasen tu deu Park und stellte ihn:
Leonore und seine Kinder vor, die er an den: gewohnten
Platze traf. Auch gegen sie benahm Arden sich mit der
entgegenkommendsten Artigkeit und einer so leichten Sicher-
heit, die auf das Deutlichste verrietst, daß er sich stets
in den feinsten Kreisen bewegt hatte. Er bat Leone,
ihr seine Fran vorstellen zu dürfen, die eine so liebens-
würdige Nachbarschaft um so höher schätzen werde, weil
sie in der Stadt nicht eine einzige Bekannte besitze.
Als Arden sich entfernt hatte und Kurt mit Leone
allein war, fragte er sie über den Eindruck, den der
neue Nachbar auf sie gemacht habe.
„Seine Persönlichkeit hat wenig Gewinnendes," ent-
gegnete Leone. „Uebrigens kenne ich ihn noch zu wenig,
um mir ein Urtheil anmaßen zu können."
„Sein Gesicht ist nicht hübsch, es gewinnt indessen
sofort durch die Unterhaltung," entgegnete Kurt. „Sein
Benehmen ist ungemein sicher und fein und in seiner
Freundlichkeit liegt etwas Bestechendes."
„Aber nichts Erwärmendes," bemerkte Leone.
„Nichts Erwärmendes?" wiederholte Kurt lächelnd,
da er in der That nicht recht begriff, was sie mit den:
Worte meinte.
„Ja, seine Freundlichkeit kommt nicht aus dem Her-
zen, sondern ist bei ihn: eine Gewohnheit, nur eine Ge-
sellschaftsform, die allerdings im Verkehr mit ihn: an-
genehm berührt."
„Ich glaube, Du beurtheilst ihn etwas zu hart,"
bemerkte Kurt. „Du wirst ans seiner Unterhaltung
wahrgenommen haben, daß er eine feine Bildung besitzt."
„Gewiß, sollte sich dieselbe mit meinen Worten nicht
Vereinen lassen?" fuhr Leone ruhig fort. „Es liegt in
all seiner Freundlichkeit doch immer ein Hauch der
Herablassung, er glaubt als Graf höher zu stehen und
ist nicht im Stande, dies ganz zu verbergen."
„Mir ist dies nicht ausgefallen."
„Weil Du an die meisten Menschen den Maßstab
Deiner eigenen Geradheit und Herzensgütc legst — doch
wir werden mit dem Grasen wahrscheinlich nie anders
als gesellschaftlich verkehren, da hat sein feines, liebens-
würdiges Wesen ja einen höhen Werth."
Albert, der zu ihnen trat, unterbrach das Gespräch,-
Kurt mochte es in seiner Gegenwart nicht fortsetzen, da
aus Leonens Worten ein leises Mißtrauen gegen den
Grasen klang, welches er nicht theilte und auch iu Al-
bert nicht Hervorrufen mochte.
Schon zwei Tage später stellte der Graf seine Ge-
mahlin vor.
Es war eine noch junge, höchstens einige Zwanzig
Jahre alte und reizende Frau. In ihren feinen und
blassen -Zügen lag etwas Leidendes, demselben schien ihr
heiteres und lustiges Wesen indessen zu widersprechen.
Sie kam Leone und Else in der liebenswürdigsten Weise
entgegen und in ihren: Wesen lag in der That etwas
Bestechendes. Sie klagte, daß sie nicht eine einzige Be-
kannte in der Stadt besitze, sie bat so dringend, sich
Leone anschließen zu dürfeu, daß diese wirklich gerne
und ersreut einwilligte.
Leone erwartete von diesem Umgänge namentlich für
Else einen Gewinn, Beide wurden ja nur durch wenige
Jahre von einander getrennt, und die Gräfin, die über
Literatur, Kunst und Musik iu der sichersten Weise
sprach, schien trotz ihrer Jugend bereits sehr reiche Er-
fahrungen zu besitzen. Es lag auch in der Lebhaftig-
keit ihres Geistes etwas Blendendes.
Schon an: folgenden Tage erwiederten Kurt und Leone
den Besuch des Grafen.
Nicht ohne Staunen sah Kurt, welche Thätigkeit aus
deu: Grundstücke, welches der Graf bezogen, herrschte.
In: Garten war eine Anzahl Arbeiter beschäftigt, einen
neuen Weg anzulegcn und verschiedene Verschönerungen
vorzunehmem, hinter den: Hause wurden bereits die
Vorarbeiten zum Erbauen des Stallgebäudes getroffen,
Alles deutete darauf hin, daß der Gras sich hier dauernd
niederzulassen gedachte.
Aus der geschmackvoll mit Topfgewächsen geschmück-
ten Hausflur trat ihnen der Diener des Grafen ent-,
gegen. Er schien zn stutzen, als er Kurt und Leone
erblickte, seine nicht angenehmen stechenden Augen ruhte::
eine flüchtige Sekunde auf ihnen.
Er bestätigte Knrts Frage, ob er den Grafen da-
heim treffe.
„Wen habe ich die Ehre zu melden?" fragte er.
Kurt uaunte seinen Namen.
lieber das verschmitzte Gesicht des bereits bejahrten
Dieners zuckte es wie ein halb spöttisches Lächeln hin.
Er entfernte sich.
„Es ist mir, als ob ich diesen Menschen bereits
früher gesehen habe," bemerkte Kurt zu Leone.
„Du täuschest Dich vielleicht, mir ist das Gesicht
vollständig fremd," entgegnete Leone.
„Auch er schien mich zu erkennen," fuhr Kurt fort.
„ES ist ja möglich," bemerkte Leone. „Jedenfalls
 
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